Standortpolitik

Drohender Infarkt

Andreas Gebert ©
Auf Gasmangellage vorbereiten – IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl

Die IHK-Vollversammlung steht im Zeichen der Energie- und Rohstoffkrise: Das Plenum verabschiedet eine Klimaschutzposition und Notfallmaßnahmen zur Energiesicherung.

MARTIN ARMBRUSTER, Ausgabe 09/2022

Der Blick von der Westerhamer IHK Akademie in die Berge war schön wie immer. Wenigstens das. Ansonsten konnte auf der Sitzung der IHK-Vollversammlung Anfang Juli von Sommeridylle keine Rede sein. Dafür war die Nachrichtenlage zu bedrückend (»Deutschlands Gas-Trauma«, Wirtschaftswoche) und die Sorgen der Unternehmer zu groß.

Situation ein »Wirtschaftskrieg«

IHK-Präsident Klaus Josef Lutz versuchte erst gar nicht, die Situation zu beschönigen. Er sprach vielmehr von »Wirtschaftskrieg«. Tags zuvor hatte er bereits auf einer Pressekonferenz mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gewarnt, dem Freistaat drohe Energieknappheit, Stagflation sowie Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit.

Eigentliches Problem nicht erkannt

Was Lutz für alarmierend hält, sind nicht nur schlecht gefüllte Gasspeicher. Er sagte, die Politik sehe das eigentliche Problem nicht: die geostrategische Lage. Das Ziel, Russland wirtschaftlich zu isolieren, sei für Europa nicht zu erreichen. Tatsächlich gebe es eine Blockbildung zwischen den BRIC- und den G7-Staaten.

Was dies laut Lutz so bedrohlich macht: Die BRIC-Länder, also Brasilien, Russland, Indien und China, haben großen Einfluss auf einen erweiterten Kreis von sympathisierenden Staaten in Südamerika, Asien und vor allem Afrika. So versammelt BRIC einen Block von rund 70 Prozent der Weltbevölkerung mitsamt den Bodenschätzen, die der Westen für Klimaschutz, E-Mobilität und Digitalisierung braucht.

Diversifizierung Rohstoffimport nötig

Lutz stützte seine Aussagen auch auf eine Rohstoffstudie, die das ifo Institut aktuell im Auftrag der IHK für München und Oberbayern erstellt hat: Erneuerbare Energien, Batterien oder Robotik – bei vielen Schlüsseltechnologien ist Deutschland abhängig von importierten Rohstoffen. Bei neun kritischen Mineralien besteht ein dringender Diversifizierungsbedarf: Kobalt, Bor, Silizium, Grafit, Magnesium, Lithium, Niob, seltene Erden und Titan. Meist dominiert China die Versorgung.

Gefahr einer Hungerkrise

Lutz erklärte, wegen des Kriegs könnten in einigen Ländern auch Getreide, Fleisch, Milch und Käse knapp werden. Die Gefahr einer Hungerkrise in Teilen Afrikas und Asiens sei real.

»Wir haben keine Puffer«

IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl rief die Unternehmer dazu auf, sich und ihre Kunden auf eine »Gasmangellage« vorzubereiten. Gößl ergänzte dies mit einem Bericht aus dem »Bayerischen Krisenstab Gas«. Sein Fazit: »Wir haben keine Puffer.« Die deutsche Energiepolitik stehe vor einem Scherbenhaufen.

Er warf der Bundesregierung Versäumnisse vor. Man hätte die Gasspeicher viel früher befüllen, Kohlekraftwerke längst wieder ans Netz anschließen, die Laufzeit der drei aktiven Kernkraftwerke verlängern, zahlreiche bürokratische Hemmnisse im Ausbau der erneuerbaren Energien wegräumen und den innerbetrieblichen Brennstoffwechsel weg vom Gas verwaltungsrechtlich drastisch erleichtern müssen.

10-Punkte-Programm verabschiedet

Was also tun? Was die Vollversammlung klar ablehnte, war eine erneute befristete Senkung der Mehrwertsteuer. Stattdessen verabschiedete sie einstimmig die »Notfallmaßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung«. Das 10-Punkte-Programm fordert die Politik dazu auf, schnell alles zu tun, was die Abhängigkeit von russischem Gas verringert. Das bedeutet auch: Schluss mit jahrelang aufgebauten Genehmigungshürden und den Tabus für Kernkraft und nationale Gasförderung.

»Klimaschutz mit Wirtschaft«

Intensiv diskutierte das Plenum die Position »Klimaschutz mit der Wirtschaft«. Die befassten IHK-Fachausschüsse hatten viel Arbeit in eine Beschlussvorlage investiert. Der Ausschuss Umwelt und Energie hatte das Papier federführend erstellt, die Ausschüsse Unternehmensverantwortung, Außenwirtschaft sowie Industrie und Innovation hatten mitgewirkt.

Keine Angleichung Umweltstandards »nach unten«

Die lebhafte Diskussion unter den Mitgliedern der Vollversammlung drehte sich um die passende Balance zwischen ambitioniertem Klimaschutz und nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit. Weniger Verschwendung, aber auch weniger Ideologie und Planwirtschaft – dafür mehr Innovation, mehr Wiederverwertung, mehr Effizienz und mehr Technologieoffenheit, lautete die Losung. Im Rahmen eines hoffentlich machbaren internationalen Klima-Clubs solle es keine Angleichung der Umweltstandards »nach unten« geben, sehr wohl aber fairen Wettbewerb. Letztlich sei Klimaschutz nur mit einer starken Wirtschaft möglich. Man dürfe die soziale Frage nicht ausblenden, sonst werde die Akzeptanz für Klimaschutz schwinden.

Pragmatische Lösungen

Am Ende kristallisierte sich heraus: Nur Taten in Form pragmatischer Lösungen helfen jetzt weiter. Das Plenum verabschiedete die Klimaschutzposition inklusive vorgeschlagener Ergänzungen.

Das Ergebnis der Veranstaltung war gleichwohl bitter. Niemand weiß, unter welchen Bedingungen sich die Vollversammlung Ende November zu ihrer nächsten Sitzung trifft. Letztlich entscheidet maßgeblich Russlands Präsident Wladimir Putin, wie der Winter für Oberbayerns Wirtschaft wird.

IHK-Positionen

Die Positionen der IHK München und Oberbayern sind online auf der Webseite der IHK abrufbar.

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