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Im Höhenflug

DLR (CC-BY 3.0) ©
Hybrid-elektrisches Regionalflugzeug – das DLR forscht in Oberpfaffenhofen zu alternativen Antrieben (Simulation)

Die Region Oberpfaffenhofen zählt zu den führenden deutschen Standorten der Luft- und Raumfahrtbranche. Die angesiedelten Unternehmen planen die Mobilität zu revolutionieren.

Steffi Sammet, Ausgabe 01/21

Wer einen Blick in die Zukunft werfen will, muss sich keine Zeitmaschine bauen. Es reicht, auf der Autobahn 96 München–Lindau die Ausfahrt Oberpfaffenhofen zu nehmen. Schon nach einigen hundert Metern tauchen Hallen mit mächtigen Satellitenschüsseln und Antennen auf dem Dach auf und Gebäude, die wie Raumschiffe anmuten. In ihrem Inneren tüfteln Tausende Ingenieure an Flugtaxis, emissionsarmen Elektroflugzeugen oder an der Abwehr von Asteroiden. Andere integrieren in Reinräumen Kameras und optische Instrumente für eine Marsmission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA).

Hinter den Laboren und Werkstätten steigen Flugzeuge vom angrenzenden Flughafen zu Testflügen auf. »Keine Frage, an diesem Standort revolutionieren die Menschen die Luft- und Raumfahrt«, schwärmt Christian Juckenack, Berater der Standortleitung und der Eigentümer des Flughafens Oberpfaffenhofen. Von den Erkenntnissen, die die Luft- und Raumfahrtunternehmen hier im Air Tech Campus (ATC) gewinnen, so Juckenack, profitierten später viele andere Industriezweige.

Cluster mit Vorzeigecharakter

Die Luft- und Raumfahrtindustrie zählt zu den Technologie- und Konjunkturmotoren hierzulande: 2018 erzielten die deutschen Unternehmen der Branche etwa 40 Milliarden Euro Umsatz. Einen erheblichen Teil davon erwirtschaften die etwa 50 Firmen und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Campus Oberpfaffenhofen mit 7.000 Mitarbeitern, 3.400 davon auf dem Gelände des Flughafens.

Die Anziehungskraft der Region ist hoch. Die OHB System AG etwa zog 2015 von München in ihr neues Raumfahrtzentrum »Optik und Wissenschaft«. Das Unternehmen ist auf kleine und mittlere Satelliten spezialisiert und unter anderem an der ExoMars-Mission der ESA beteiligt sowie am Programm »Meteosat Third Generation«, das die Entwicklung der nächsten Generation von europäischen Wettersatelliten für numerische Wetterprognosen und kurzfristige Vorhersagen umfasst.

»Bedeutendster Werks- und Forschungsflughafen«

Das Herzstück des Air Tech Campus ist der Flughafen. Der ehemalige Dornier-Hauptsitz »ist in Deutschland der bedeutendste Werks- und Forschungsflughafen«, erklärt Flugbetriebsleiter Hilko Riedl. Auf dem 2,7 Millionen Quadratmeter großen Gelände sind derzeit 35 Unternehmen ansässig, die zusammen die gesamte Prozesskette der Flugzeug- und Luftfahrttechnik abdecken.

Im Luftraum des Flughafens testet zum Beispiel das 2015 gegründete Start-up Lilium GmbH sein senkrecht startendes Lufttaxi mit elektrischem Antrieb. Das 36-motorige Luftfahrzeug soll keinerlei CO₂-Emissionen ausstoßen und fünf Personen befördern können. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 300 Stundenkilometern, so planen es die Lilium-Ingenieure, ist der Jet erheblich schneller als ein herkömmliches Taxi außerhalb von Städten.

Entwicklung, Strukturbau, Wartung

Direkt neben dem Lilium-Firmensitz am östlichen Rand des Flughafens fertigt die RUAG Aerostructures, ein führender Anbieter im Flugzeugstrukturbau für zivile und militärische Kunden, Rumpfteile für den Flugzeugtyp A320. Die Auswirkungen der Coronapandemie gehen allerdings nicht spurlos am Unternehmen vorbei: Auftraggeber Airbus will den Flugzeugtyp A320 zwar weiter produzieren, aber in einem langsameren Tempo als bisher.

Europas Großforschungseinrichtung zum elektrischen Fliegen

Im westlichen Areal des Flughafens warten die Mitarbeiter von 328 Support Services GmbH die mehr als 200 Dornier-328-Maschinen, die weltweit unterwegs sind. Einige hundert Meter davon entfernt befindet sich der Flugbetrieb des DLR – europaweit die einzige Großforschungseinrichtung, die an allen Aspekten des elektrischen Fliegens arbeitet. »Hinter unserem Projekt stecken Strategien, die Nachhaltigkeit und den Schutz der Umwelt großschreiben«, betont Andreas Klöckner, Koordinator für elektrisches Fliegen beim DLR. Zunächst, so sagt er, werde »das elektrische Fliegen eine kleine Nische besetzen. 300 Kilometer Reichweite, mehr wird es anfangs nicht.« Aber das Team denke größer. Nur so erreiche man ja einen größeren Effekt. Der nächste Schritt wäre eine Distanz von 500 Kilometern, dann von 1.000 Kilometern.

Leuchtturm-Projekte des DLR

Auf seinen Bases in Oberpfaffenhofen und Braunschweig hat das DLR mit einem Airbus 320 bereits Flugversuche zu alternativen Antrieben und Aerodynamikkonzepten am Boden gemacht. Den ersten Flug eines elektrischen 19-Sitzers – eines der Leuchtturm-Projekte des DLR – erwartet die Forschungseinrichtung für das Jahr 2029. »Allerdings ohne Gewähr«, betont DLR-Experte Klöckner.

Der promovierte Diplom-Ingenieur weiß sehr wohl, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, aber »wenn wir die Vereinbarungen des Pariser Klimaschutzabkommens erreichen wollen, dass sich die Temperatur nur um 1,5 Grad erhöht«, so ist er überzeugt, »dann müssen alle den Mobilitätswandel akzeptieren«. Er sei sich sicher, dass die Menschen umweltverträgliche Verkehrsträger irgendwann begrüßen werden.

Raum für Visionäre

Mit einem freundlichen Empfang können auch Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrtbranche rechnen, die sich gern im Raum Oberpfaffenhofen ansiedeln würden. Laut Berater Juckenack gibt es im Air Tech Campus und dem Umfeld weiteren Platz: »Die Gemeinde Gauting weist derzeit ein neues Gewerbegebiet in unmittelbarer Nähe zum Flughafen aus.« Auf dem Gelände des Flughafens selbst gibt es noch mehr als 300.000 Quadratmeter, die der Flughafenbetreiber für die Ansiedlung neuer und das Wachstum vorhandener Unternehmen nutzen wolle.

Und wer weiß, wie deren Arbeitnehmer dann nach Oberpfaffenhofen kommen: Vielleicht schwirren die ersten Lilium-Jets am Himmel – voll besetzt mit Beschäftigten, die lieber in die Arbeit fliegen, anstatt mit dem Auto zu fahren. Eine weit entfernte Zukunftsvision? In den Luft- und Raumfahrtunternehmen in Oberpfaffenhofen können sich viele solch ein Szenario schon heute vorstellen.

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