Im Spiegel von Corona

Wie verändert die Pandemie Wirtschaft und Gesellschaft? Bei einem prominent besetzten Kaminabend stehen die Ergebnisse von zwölf Monaten Zukunftsdialog auf dem Prüfstand.
Almut Burkhardt, Ausgabe 11/20
In einem Punkt waren sich alle einig: Die Coronakrise werde politisch lange nachwirken und zugleich doch nichts an den langfristigen Herausforderungen ändern, vor denen Gesellschaft und Wirtschaft stehen. So werde das Thema Klimaschutz sicher mit aller Wucht zurückkommen. Allein schon, weil viele Menschen bald das nachholen wollen, was sie glauben in diesem Jahr verpasst zu haben.
14 Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft waren der Einladung zur Talkrunde in den Börsensaal der IHK gefolgt, unter ihnen der bayerische Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert, IHK-Vizepräsident und BayWa-Vorstandschef Klaus Josef Lutz, Messechef Klaus Dittrich, Autor Anselm Bilgri sowie Jeanne Turczynski, Wissenschaftsredakteurin beim BR.
Toptrend Digitalisierung
Den Ausgangspunkt für die Debatte über die Auswirkungen der Pandemie auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben bildeten die Trends, die zu Beginn des Zukunftsdialogs im Herbst 2019 definiert worden waren. Unangefochten auf Platz eins befindet sich weiterhin die Digitalisierung mit den massiven Umwälzungen, die sie in Arbeitswelt, Bildung und Wirtschaft anstößt.
Auch die Experten staunen über das Tempo, mit dem Corona die Dinge verändert. Zum Beispiel, wie sich unser Land plötzlich im Homeoffice-Modus befindet. Corona hat diese Entwicklung massiv beschleunigt. BayWa-Chef Lutz und BR-Redakteurin Turczynski erklärten jedoch sofort, die Menschen bräuchten auch ein Gegengewicht zu Homeoffice und Digitalisierung. Vom Abschied der Präsenzkultur sprach IHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl. Seiner Ansicht nach ermöglicht die neue Arbeitswelt die Chance auf mehr Ergebnisorientierung, Flexibilität und Diversität.
»Neue Führungskultur muss sich entwickeln«
Für Staatssekretär Weigert bedeutet der Siegeszug der Digitalisierung in der Arbeitswelt gleichzeitig, dass sich in den Unternehmen eine neue Führungskultur entwickeln müsse. Eine immer wichtigere Rolle werde die Empathiefähigkeit von Führungskräften gegenüber ihren Mitarbeitern spielen, um den Spagat zwischen mobilem Arbeiten und der Vermeidung sozialer Isolation zu meistern. Als deutlich spürbaren Trend benannten die Experten aber auch die zunehmende Individualisierung in der Gesellschaft, verbunden mit einer Zergliederung, die auch einen Verteilungskampf um Raum – sei es im privaten oder öffentlichen Umfeld – bedingte.
Bedenklich stimme die zu erlebende De-Urbanisierung, so Unternehmerin Anna-Maria von Reitzenstein. Sie wirft die Frage auf: Wie werden sich unsere Städte weiterentwickeln? IHK-Vizepräsident Lutz verwies auf eine fundamentale gesellschaftspolitische Wertediskussion, die zu erwarten sei und in der es vor allem um die Rolle der Politik bei der Rettung der Wirtschaft gehen müsse.
Globale Risiken früh erkennen
Zudem wird der Erhalt von Oberbayerns Wohlstand künftig wohl massiv von der Fähigkeit der Unternehmen abhängen, globale Risiken früh zu erkennen und darauf schnell zu reagieren. Ex-Mönch und Autor Anselm Bilgri meinte, die Krisen würden in immer kürzeren Abständen auftreten. Demnach sei der alte Slogan »lokal handeln, global denken« so aktuell wie nie.
»Beim Kampf gegen den Klimawandel erst am Anfang«
Entsprechend forderte Turtlebox-Gründer Oliver Mund, man dürfe in der Coronapandemie die noch größere Krise nicht aus den Augen verlieren. Ein Impfstoff gegen das Virus sei bis zum Sommer 2021 zu erwarten. »Beim Kampf gegen den Klimawandel stehen wir aber erst am Anfang.« Man könnte auch sagen: Corona ist erst das Warm-up, der Härtetest kommt noch. Mit Oberbayern 2030+ will die IHK für München und Oberbayern die Zukunft Bayerns aktiv mitgestalten. Dem Ziel verpflichtet, zum Abschluss vier Leuchtturmprojekte für eine erfolgreiche Zukunft des Wirtschaftsstandorts Oberbayern vorzustellen, wird der Dialog in den kommenden Monaten fortgesetzt.