Standortpolitik

Nährboden ertragreicher Ideen

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Viele kluge Einfälle – Deutschland ist für seine Ingenieure und Tüftler weltweit bekannt

Innovationen sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Damit Unternehmen Neues entwickeln können, müssen jedoch die Rahmenbedingungen stimmen. Wie steht es damit in München und Oberbayern?

EVA MÜLLER-TAUBER, Ausgabe 05/2022

Textilien und Beton? Die Kneitz AG, früher als Entwickler und Hersteller vor allem auf Stoffe für Autositze spezialisiert, sieht in dieser Kombination enormes Zukunftspotenzial: Textilbeton ist ein innovativer Verbundwerkstoff, der bei der Verstärkung im Betonbau verwendet wird und sogar die herkömmlichen Stahlgitter ersetzen kann – leicht, dünnwandig und vor allem korrosionsfest.

Im Frühjahr 2019 erweiterte die Firma aus Wirsberg im Landkreis Kulmbach deshalb ihre Produktpalette. Seither stellt die Wilhelm Kneitz Solutions in Textile GmbH Glasfaser- und Carbongewirke für die Baubranche her.

Die 2015 gegründete Vectoflow GmbH in Gilching punktet ebenfalls mit zukunftsweisender Technologie. Sie fertigt im 3D-Druckverfahren hochpräzise Sonden für Strömungstests, etwa Untersuchungen von Flugzeugen und Autos im Windkanal, bei denen der Luftwiderstand oder Auftrieb gemessen wird, um Tempo oder Anströmwinkel exakt bestimmen zu können.

Kleinste und temperaturbeständigste Metallsonde 

Jede Sonde lässt sich in Größe, Form und Material an die Kundenwünsche anpassen und ist durch das Herstellungsverfahren – da in einem Stück produziert – auch deutlich stabiler als herkömmliche Produkte. So ist es dem Unternehmen gelungen, sowohl die bisher kleinste als auch die temperaturbeständigste Metallsonde der Welt herzustellen. Teilweise machen seine Produkte Messungen überhaupt erst möglich. 2020 erhielten die Gilchinger für ihre Entwicklung den Deutschen Innovationspreis.

Triebfeder für Wohlstand

Ob etablierte Unternehmen wie Kneitz oder Startups wie Vectoflow: Firmen in Bayern treiben technische Innovationen intensiv voran – auch solche mit nicht rein digitalem Kern. »Das ist zu ihrem Wohl und dem des Standorts«, sagt Frank Dollendorf, Bereichsleiter Innovation bei der IHK für München und Oberbayern. »Denn es ist wichtig, dass wir die technische und technologische Zukunft mitbestimmen. Innovationen sind die Triebfeder für gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohlstand.« Damit dies gelingt, müssen allerdings die Rahmenbedingungen stimmen.

Standortfaktoren überzeugen

München und Oberbayern können mit ihren Standortfaktoren dabei durchaus überzeugen: Die Dichte an außeruniversitären und staatlichen Forschungseinrichtungen ist hoch, es gibt zahlreiche Hochschulen, die qualifizierte Fachkräfte hervorbringen.

Nicht zu vergessen die Unterstützung von Handelskammern, Unternehmerverbänden und vom Freistaat. Der fördert im Rahmen seiner Cluster-Initiative landesweit 17 Hightech- und traditionelle Industrien. Zudem berät er mit der Bayerischen Forschungs- und Innovationsagentur insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sowie Hochschulen zu Fördermitteln und allen Fragen des Technologietransfers, der Absicherung und Verwertung wissenschaftlicher Ergebnisse.

»Kulturell verankerte Ingenieurlastigkeit«

»Bayern hat Innovationen als wesentlichen Wirtschaftsfaktor begriffen«, sagt Thomas J. Dittler (60), geschäftsführender Gesellschafter der Industrial Makers GmbH in Landsberg am Lech, die sich an technologisch interessanten Unternehmen beteiligt und eine professionelle Innovationswerkstatt bietet. An klugen Ideen mangle es gerade im Technologiebereich nicht. »Durch unsere kulturell verankerte Ingenieurlastigkeit besitzen wir in Deutschland flächendeckend derartiges Innovationspotenzial«, so Dittler. Gleichwohl sieht er noch Verbesserungsbedarf, um die Möglichkeiten richtig auszuschöpfen.

Disruptive Innovationen

»Hierzulande erbringen wir den wesentlichen Teil unserer Wertschöpfung nach wie vor traditionell durch Verbesserung des Bestehenden und nicht durch disruptive Innovationen. In Kalifornien hingegen ist eine Innovation meist an eine tiefgreifende technische Erkenntnis und an die Chance einer kommerziellen Skalierung gekoppelt«, erklärt Dittler mit Blick auf Silicon Valley. »Das heißt: Ich habe eine wissenschaftlich fundierte Neuerung und diese setze ich in einem großen Markt um.« Dabei sei es durchaus erwünscht, sich hohe Ziele zu stecken, »etwa den europäischen Binnenmarkt erobern zu wollen«.

Entrepreneurship Center 

Um hier voranzukommen, können Entrepreneurship Center eine Option sein: Die TU München und UnternehmerTUM GmbH haben ihre Angebote für Gründer auf dem Forschungscampus Garching gebündelt, die Hochschule München unterstützt Innovation im Strascheg Center for Entrepreneurship. Die Einrichtungen bieten technologieorientierten Gründern ein breites Angebot an Wissen und Services – von der ersten Idee bis zur Wachstumsphase. Von innovationsstarken Firmen profitiert die gesamte Wirtschaft.

»Was spricht dagegen, dass deutsche etablierte Unternehmen wie internationale Konzerne verstärkt innovative Firmen und Startups einkaufen, wenn diese die Risiken der Produkt- und Marktentwicklung nicht selbst schultern wollen?«, fragt Investor Dittler und schildert die Vorteile: »Innovationen kommen so schneller in den Markt, weil die größeren Player die finanziellen Mittel sowie die Möglichkeiten haben, diese neuen Produkte in Serie zu fertigen, sie zu vermarkten, weiterzuentwickeln und weltweit zu betreuen.«

Vorbild Amerika

Der Weg, auf dem innovative Ideen und Kapital zueinander finden, lässt sich dabei noch optimieren. In den USA laufe bei der Finanzierung vieles über Standardprozeduren ab, berichtet Dittler. Unternehmensbeteiligungen etwa seien über quasi genormte Wandelanleihen üblich. »So ist die Finanzierung schnell gesichert und junge, innovative Firmen können sich aufs Originäre konzentrieren – und wir Investoren auch.«

Ein Whitepaper der MUC SUMMIT GmbH und der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers GmbH WPG sieht an anderer Stelle unausgeschöpftes Potenzial. So sei speziell München zwar ein wachsender Hotspot für Innovationen und Entrepreneurship. Das Profil der Landeshauptstadt im Innovations- und Entrepreneurship-Ökosystem sei aber noch zu undifferenziert und die Leistungsfähigkeit zu wenig bekannt – auf nationaler wie internationaler Ebene.

»Trommeln lernen«

»Wir müssen an unserer Vermarktbarkeit arbeiten, trommeln lernen«, betont auch IHK-Experte Dollendorf. Darüber hinaus gelte es, das Fachkräfteproblem, das nicht nur Akademiker, sondern qualifizierte Kräfte generell betrifft, konsequent anzugehen. »Dafür müssen wir die Ausbildung in der Tiefe und Breite weiter verbessern und noch migrationsfreundlichere Strukturen schaffen.« Gleichzeitig sei es unabdingbar, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. »Denn hohe Lebenshaltungskosten bremsen den Talentzuzug aus – und Innovationen.«

IHK-Service zu Innovationen:

Umfassende Infos auf den IHK-Innovationsseiten wie Tipps zu 6 Schritten erfolgreicher Produktentwicklung.

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