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Insolvenz als Chance zur Sanierung

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Rettung vor dem Untergang – eine Insolvenz bedeutet nicht unbedingt das Aus

Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise sind für die meisten Unternehmen noch nicht absehbar. Kommt es zur Insolvenz, kann sie auch Gelegenheit für einen Neustart sein.

Melanie Rübartsch, Ausgabe 06/20

Viele deutsche Unternehmen sehen ihre Existenz durch die Coronakrise bedroht. In der April-Umfrage des ifo Instituts sagten knapp 30 Prozent der Firmen, sie könnten drei Monate oder kürzer überleben, wenn die pandemiebedingten Einschränkungen noch für längere Zeit bestehen blieben. 52,7 Prozent hoffen, bis zu sechs Monate durchzuhalten.

Pleitewelle im Einzelhandel erst nach der Krise?

Der Einzelhandelsverband rechnete Ende April hingegen bereits mit 50.000 Insolvenzen allein in seiner Branche. Auch Insolvenzverwalter erwarten eine coronabedingte Pleitewelle, die allerdings erst nach der Krise richtig startet. »Nicht alle Unternehmen, denen der Shutdown einen Komplettstillstand und damit erhebliche Engpässe beschert hat, werden mit staatlichen Pandemiemaßnahmen wie Soforthilfen oder Kurzarbeit gerettet werden können, manche können sich damit nur kurzfristig über Wasser halten«, beobachtet der Münchner Insolvenzverwalter Rolf G. Pohlmann.

»Die Beratungsanfragen zeigen uns jedoch, dass sich viele Unternehmer bereits mit der Möglichkeit einer Insolvenz auseinandersetzen.« Die Betriebe, die schon die Reißleine gezogen haben, hatten nach der Analyse des Experten oft bereits vor der Krise Probleme. »Da war Corona dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat«, sagt der Verwalter. Wie es weitergeht, kann derzeit keiner mit Sicherheit sagen. »Betroffene Unternehmen müssen daher jetzt Schritt für Schritt planen. Dabei kann eine Insolvenz als letzte Stufe allerdings durchaus auch eine Chance für einen erfolgreichen Neustart sein«, meint Pohlmann. Wie also gehen Unternehmen in der Krise am besten vor?

1. Schritt: Liquidität engmaschig überwachen

»Die Unternehmer müssen jetzt genau wissen, wie lange sie ihre Verbindlichkeiten noch bedienen können«, sagt der Münchner Fachanwalt für Insolvenzrecht Christoph Herbst. Dabei loten sie zugleich alle Möglichkeiten aus, wie sie sich Luft verschaffen können: Kurzarbeitergeld, Zuschüsse, zinsgünstige Darlehen oder Bürgschaften. Wo gibt es außerdem Sparpotenzial? Kann das Unternehmen seine Produktion anpassen, laufende Lieferungen aussetzen oder Kosten beim Fuhrpark senken? Lassen Gläubiger mit sich über Stundungen, Rabatte oder Vertragsanpassungen reden? »Solche außergerichtlichen Einigungen haben oft dann Erfolg, wenn die Gläubiger des Unternehmens ein eigenes Interesse daran haben, dass ihr Vertragspartner die Krise überlebt«, weiß der Insolvenzrechtler.

2. Schritt: Finanzierungslage dokumentieren

Wird es dennoch eng, verschafft die aktuelle Coronagesetzgebung den Unternehmen insolvenzrechtlich gerade eine gewisse Karenzzeit: Die Regierung hat die Insolvenzantragspflicht für Geschäftsführer und Vorstände vorerst bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. »Dabei wird vermutet, dass die Unternehmenskrise COVID-19-bedingt ist und Aussichten zur Überwindung einer Zahlungsunfähigkeit bestehen – vorausgesetzt, das Unternehmen war zum 31.12.2019 noch zahlungsfähig«, erklärt Herbst.

Doch Vorsicht: Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Geschäftsführer oder Vorstand auch jetzt verpflichtet sein können, Insolvenz anzumelden, wenn die Insolvenzantragsgründe nicht durch die Pandemie (mit-)verursacht worden sind oder keinerlei Aussichten bestehen, eine bereits bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. »Um das Risiko einer persönlichen Haftung zu reduzieren, sollten die Unternehmen daher unabhängig von der gesetzlichen Vermutungsregelung eine saubere Dokumentation der Finanzierungslage des Unternehmens vorhalten, um sowohl die Voraussetzung der Vermutungsregelung – am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig – als auch die Aussicht auf die Überwindung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit notfalls darlegen und beweisen zu können«, rät der Anwalt.

Wer die Aussetzung der Antragspflicht nutzen möchte, sollte sicherheitshalber Belege sammeln, die dokumentieren, dass COVID-19 mitursächlich für die Krise war. Das können zum Beispiel behördliche Schließungsanordnungen sein, dokumentierte Umsatzeinbrüche, Kundenanfragen nach Stundungen oder Rabatten oder Schreiben von Lieferanten, die ihre Leistungen wegen Corona nicht erbringen können.

3.Schritt: Alle Optionen prüfen

»Auch solange keine Insolvenzantragspflicht besteht, sollte sich der Unternehmer fragen, ob er nicht lieber früher als später Nägel mit Köpfen macht, wenn das Finanzierungskonzept zeigt, dass die Aussichten auch mittelfristig nicht deutlich besser sein werden«, rät Insolvenzverwalter Pohlmann. Die Insolvenz verschafft dem Betrieb zunächst vor allem weitere Zahlungserleichterungen: Wird das Insolvenzverfahren eröffnet und das Unternehmen fortgeführt, zahlt der Staat für die nächsten drei Monate Löhne und Gehälter (Insolvenzgeld).

Zudem können sich Unternehmen in der Insolvenz wesentlich einfacher von nachteiligen Verträgen lösen, etwa von Pensionsverpflichtungen, langfristigen Wartungs- oder Lizenzverträgen oder umfangreichen Bestellungen. Die Kehrseite: Der Unternehmer darf nicht mehr allein über das Firmenvermögen verfügen, und der Insolvenzverwalter führt unter Umständen den Betrieb selbst. »Insolvenz bedeutet nicht automatisch das Aus für ein Unternehmen, sie kann ein sehr gutes Sanierungsinstrument sein«, sagt Pohlmann.

In der sogenannten Regelinsolvenz prüft ein Insolvenzverwalter, wie gut die Fortführungsperspektive für die Firma ist und ob sie sich beispielsweise im Rahmen eines Insolvenzplans mit den Gläubigern einigen kann.

Beispiel: Im Insolvenzplan eines zahlungsunfähigen Taxiunternehmens wird ein Schuldenschnitt mit seinen beiden Leasinggebern gegen Teilzahlung aus künftigen Erträgen geregelt. Die zweite Möglichkeit: Der Verwalter sucht nach möglichen Investoren, die sich am Unternehmen beteiligen oder es kaufen.

Wichtig: Bestehende Arbeitsverhältnisse gehen auf den neuen Inhaber über. Kommt keine Eigensanierung in Betracht und findet sich auch kein Käufer, wird das Unternehmen liquidiert. Der Verwalter versucht, die einzelnen Betriebsteile zu veräußern, um die Gläubiger aus dem Erlös zu befriedigen. In der Regelinsolvenz gibt es, als eigene Verfahrensart, die Eigenverwaltung. »Das Unternehmen übernimmt dabei die Aufgaben des Insolvenzverwalters sozusagen selbst. Verfügungsgewalt und Finanzhoheit bleiben also bei der Geschäftsführung«, erklärt Pohlmann. Damit das funktioniert, muss die Firma einen Insolvenzspezialisten mit an Bord haben. Das zuständige Gericht bestellt zudem einen Sachwalter, der die Handlungen im Sinne der Gläubiger überwacht.

"Herr des Geschehens" bleiben

Eine Variante der Eigenverwaltung: Das Schutzschirmverfahren. Hier darf sich das Unternehmen sogar den Sachwalter selbst aussuchen. Voraussetzung: Die Zahlungsunfähigkeit droht erst, ist aber noch nicht eingetreten. Der große Vorteil der Eigenverwaltung ist, dass der Unternehmensinhaber weitgehend Herr des Geschehens bleibt und eine dauerhafte Fortführung durch den Inhaber damit aussichtsreicher ist. Ein Nachteil liegt in den Kosten: Die Honorare für die notwendigen Insolvenzspezialisten gehen ins Geld.

»Im Mittelstand enden viele Insolvenzverfahren in einer Übernahme«, weiß Pohlmann aus Erfahrung. In Coronazeiten könnte sich das aber ändern. »Es stellt sich schließlich die Frage, ob es überhaupt genügend potenzielle Käufer für kleine und mittlere Unternehmen gibt, die einzig wegen der Pandemie in eine Schieflage geraten sind.«

Er glaubt, dass in der Mehrzahl der Coronapleiten Insolvenzplanverfahren oder sogar der Verkauf an den Unternehmer selbst die Lösung sein werden. »Das gilt umso mehr, wenn es den Unternehmen vor Corona gut ging und es für alle Beteiligten positiv ist, nach der Krise an diesen Zeiten anzuknüpfen.«

IHK-Service für Unternehmen:

Viele Unternehmer stehen vor der Frage, wie sie eine Insolvenz verhindern oder ob eine Insolvenz ihnen jetzt möglicherweise sogar helfen kann. Die IHK für München und Oberbayern verfügt über eine regionale Liste mit Fachanwälten für Insolvenzrecht und Rechtsanwälten mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Insolvenzrecht und deren jeweiligen Beratungsfeldern, die die Rechtsanwaltskammer München zusammengestellt hat. Damit kann die IHK zielgerichtet passende Berater benennen. Ansprechpartnerin: andrea.nuetzel(at)muenchen.ihk.de

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