Zehn Länder, eine Riesenchance

Viele Firmen suchen nach einem Standort in Asien, um ihre Abhängigkeit von China zu verringern: Die ASEAN-Region hat einen Wachstumsmarkt mit hohem Potenzial zu bieten.
Von Sabine Hölper, IHK-Magazin 04/2023
Die Wack Group sieht sich als weltweit führender Spezialist für Oberflächenreinigung, insbesondere von elektronischen Bauteilen. Kunden kommen etwa aus der Luftfahrt, der Automobilindustrie oder der Medizintechnik. 200 Beschäftigte arbeiten am Firmensitz in Ingolstadt, bis zu 400 sollen es bald werden. Die Gruppe ist auch in mehreren asiatischen Ländern vertreten – und will dort weiter expandieren. Singapur ist einer von drei Kandidaten auf der Liste für einen neuen F&E-Standort. Geschäftsführer Harald Wack (49) hat sich erst kürzlich persönlich in dem Stadtstaat umgesehen.
Singapur gehört zu den zehn Mitgliedstaaten des ASEAN-Bundes, der Association of Southeast Asian Nations. Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand, Brunei, Vietnam, Myanmar, Laos und Kambodscha zählen ebenfalls dazu. Im ASEAN-Wirtschaftsraum leben fast 670 Millionen Menschen (EU: 447 Millionen), sein Anteil am Welthandel lag 2019 bei 7,5 Prozent (EU: knapp 15 Prozent). Nach China, USA und Deutschland sind die ASEAN-Länder insgesamt die viertgrößte Handelsmacht der Welt. Vor allem aber ist der Zusammenschluss einer der am schnellsten wachsenden Märkte weltweit. Das gemeinsame Bruttoinlandsprodukt betrug 2021 rund 3,3 Billionen US-Dollar.
China+1-Strategie
Oberbayerische Konzerne wie die Siemens AG, die BMW AG oder Allianz SE sind längst vor Ort, ebenso wie das Sicherheitstechnologie-Unternehmen Giesecke & Devrient GmbH, der Spezialchemikalienhersteller Rudolf GmbH oder die Dennemeyer-Gruppe, die sich auf gewerbliche Schutzrechte spezialisiert hat. Die Wack-Gruppe hat bereits eine Niederlassung in Malaysia.
Das Interesse an der ASEAN-Region ist zuletzt weiter gewachsen. Denn viele Unternehmen wollen Abhängigkeiten reduzieren und ihre Lieferketten stabilisieren. Dazu verfolgen sie eine China+1-Strategie. Das heißt: Neben dem Standort China haben sie begonnen, ihr Geschäft zu diversifizieren und sich zunehmend auch in anderen asiatischen Ländern zu engagieren.
„Die Unternehmen haben in einer ersten Welle insbesondere Vietnam als zweites Standbein gewählt", sagt Jan Roennfeld (56), Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Indonesischen Industrie- und Handelskammer in Indonesien. Dort herrsche ein ähnliches System wie in China: kommunistisch und dennoch der Wirtschaft zugewandt. In der zweiten und dritten Welle hätten die Firmen dann vermehrt in Thailand, Malaysia oder Indonesien investiert, beobachtet Roennfeld. Seiner Meinung nach ist das auch sinnvoll, weil sich diese Staaten stärker von China unterscheiden und zudem, etwa im Fall Indonesiens, weiter entfernt sind. Das kann aus geostrategischen Erwägungen von Vorteil sein.
ASEAN-Region wächst stärker als Japan oder Korea
Die Suche nach einem weiteren Standbein in Asien allein erklärt den Boom der ASEAN-Länder nicht. Viele weitere Gründe sprachen und sprechen dafür, mit den Staaten Handel zu treiben oder Niederlassungen aufzubauen. So wächst die ASEAN-Region bedeutend stärker als Japan oder Korea. „Und die Unternehmen suchen Wachstumsmärkte", sagt Roennfeld. Die Geschäftschancen seien zwar je nach Land unterschiedlich, grundsätzlich aber überall in fast allen Branchen vorhanden.
Die Region bietet außerdem viele junge Arbeitskräfte, die überdies extrem technologieaffin sind. Singapur ist besonders hervorzuheben, ferner Malaysia mit seiner technologisch anspruchsvollen Produktion. Nicht ohne Grund sitzen Konzerne wie der Halbleiterhersteller Infineon Technologies AG dort.
Dorthin, wo die Kunden sitzen
Die Wack-Gruppe hat Singapur ebenfalls unter anderem wegen der motivierten, jungen Fachkräfte als neuen Standort für Forschung und Entwicklung im Blick. „In Deutschland finden wir diesen Nachwuchs nicht mehr", sagt Geschäftsführer Wack. Ein weiterer Grund für das Interesse an der ASEAN-Region: „Wir müssen dort sein, wo die Hersteller, also unsere Kunden, sitzen." Und die sind zunehmend in ASEAN-Staaten zu finden.
Ein weiterer Pluspunkt sind die Rohstoffe, vor allem in Indonesien. Im größten ASEAN-Mitgliedstaat befinden sich Goldminen, außerdem weitreichende Nickelvorkommen, elementar zum Beispiel für die Batterieproduktion.
Staaten bauen Zölle und andere Hemmnisse ab
Den Markteinstieg sollten Unternehmen sorgfältig vorbereiten. Partnerschaften mit lokalen Unternehmen können helfen, Barrieren zu überwinden, sagt Asienexperte Roennfeld. Man sollte auch nicht vergessen, dass ASEAN kein einheitlicher Raum ist. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von zehn Ländern mit unterschiedlichen Kulturen und Gesetzgebungen. Aber: Die Staaten kooperieren, sie bauen Zölle und andere Hemmnisse ab. Für Investoren sind das stetig wachsende Zugewinne: „Wer in einem ASEAN-Land etwas produziert, kann recht leicht in alle übrigen neun liefern", sagt Roennfeld.
Unternehmen mit Ambitionen sollten im Vorfeld jedoch prüfen, welche Wettbewerber dort schon aktiv sind. Aufgrund der räumlichen Nähe sind viele japanische, chinesische und koreanische Firmen ebenfalls in den ASEAN-Ländern vertreten.
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