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„Einfach machen!“

Alina Heinrich ©
Rät Unternehmerinnen, mutiger zu handeln – Mercia Gottlieb, Chefin des Familienbetriebs mah-ATN

Die Unternehmerin Mercia Gottlieb erklärt, was es bedeutet, eine Traditionsfirma als Chefin zu übernehmen. Ein Gespräch über Hürden, Durchsetzungskraft und Erfolgserlebnisse.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 10/2024

Frau Gottlieb, Sie haben die Nachfolge des Familienunternehmens mah-ATN, eines Spezialisten für Bezugsmaterialien, schrittweise angetreten. Hatten Sie die Übernahme von Anfang an fest geplant?
Nein, absolut nicht. Aber innerhalb des Unternehmens und der Familie ist der Druck gewachsen. Alle wollten wissen, wie es weitergeht. Dann kam der Punkt, an dem ich mich klar und schnell entscheiden musste: Übernahme – ja oder nein?

Sind Sie die einzige Tochter?
Ja.

Dann dürften Ihre Eltern ziemlich glücklich über die Nachfolge gewesen sein.
Ja, anfänglich sicher. Als dann die Nachfolge anstand, hat sich der Übergang sehr spannungsreich entwickelt. Ich saß beim IHK Unternehmerinnentag im Juli mit 2 Gründerinnen auf dem Podium. Ich fand es wirklich bemerkenswert, wie leicht sich da vieles angehört hat. Aber ein Unternehmen weiterzuführen mit dem, was schon da ist, ist unglaublich schwierig. Da geht es auch um das Entwickeln einer modernen Unternehmenskultur.

Unvorhergesehene Hürden  

Haben Sie die Schwierigkeiten überrascht? Sie kannten das Unternehmen doch schon gut.
Vielleicht bin ich da ein Stück weit zu optimistisch herangegangen. Ich hatte angenommen, wenn ich das Unternehmen übernehme, gibt es aus verschiedenen Bereichen mehr Unterstützung. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall, bis hin zu massiven aktiven Widerständen der Alteigentümer. Es gab also jede Menge unvorhergesehene Hürden zu nehmen, einige gibt es immer noch.

Gehört dazu auch die Finanzierung?
Meine Eltern haben für das Unternehmen sehr viel Geld verlangt. Sehr wichtig war, dass mich die LfA Förderbank Bayern in der Finanzierung unterstützt hat. In Verbindung mit meiner Hausbank hat das gut funktioniert. Ohne die LfA wäre das so nicht möglich gewesen.

„Meine Vision hat nicht allen gefallen“

Wann haben Sie das Ruder übernommen?
Das war im Oktober 2021. Damit begannen alle Probleme, die so ein Generationswechsel mit sich bringen kann. Da geht es um technisch-betriebswirtschaftliche Prozesse, aber auch um die menschliche Seite. Meine Vision des Unternehmens hat nicht allen gefallen. Dagegen gab es Widerstände, Intrigen.

Stand Digitalisierung ebenfalls auf Ihrer To-do-Liste?
Das war ein großer Schritt, ja. Das hat uns viel Zeit und Geld gekostet. Wir haben jetzt einen neuen Webshop, wir haben das Lager digitalisiert. Wir hatten bis zu meiner Übernahme noch mit Karteikarten gearbeitet. Eigentlich unvorstellbar. Das haben wir jetzt alles digitalisiert, auch mithilfe von Studenten.

Kollaborativer Führungsstil

Welche Veränderungen in der Unternehmenskultur streben Sie an?
Die Unternehmenskultur war sehr stark geprägt von dem tradierten Führungsstil, alles Top-down, sehr autoritär. Ich will einen anderen Führungsstil, der sehr kollaborativ ist, in dem Mitarbeiter Verantwortung übernehmen und gleichzeitig auch sehr selbstständig agieren können.

Wie kommen Sie bei der Umgestaltung voran?
Wir haben die Organisation und die Abläufe angepasst. Abteilungsleiter übernehmen jetzt mehr Verantwortung und treiben die notwendigen Veränderungen an. Durch das unternehmerische Verständnis bei den Kollegen kann ich mit gutem Gefühl Verantwortung delegieren. Das muss ich auch. Wir sind ein Unternehmen mitten im Wandel. Ich bin daher noch sehr stark ins Tagesgeschäft eingebunden.

Wo sehen Sie in Ihrem Unternehmen noch Handlungsbedarf?
Es läuft noch nicht ganz rund bei der ISO-Zertifizierung. Da gibt es noch einige Prozesse, die optimiert werden müssen. Da müssen wir alle Mitarbeiter mitnehmen. Das ist der Unterschied zu einem Start-up: Wir haben neue Mitarbeiter und Teammitglieder, die schon 35 Jahre dabei sind. Die müssen sie alle in ein Boot bekommen.

Agilität spürbar

Gab es Momente, in denen Sie gedacht haben: Was habe ich mir mit der Übernahme angetan?
Die gibt es täglich. Als Unternehmerin muss ich Probleme lösen, von denen ich nicht mal gewusst habe, dass es sie gibt.

Wie motivieren Sie sich zum Weitermachen?
Zum Glück verschwinden diese Frustmomente ganz schnell. Und ich spüre viel Freude über das, was wir mit dem Unternehmen in nur eineinhalb bis 2 Jahren alles geschafft haben. Dafür brauchen andere Unternehmen Jahrzehnte. Diese Agilität jeden Tag zu spüren und zu sehen, das ist einfach schön.

Sehen das Ihre Mitarbeiter genauso?
Ich hatte gestern ein Gespräch mit einem Mitarbeiter, der seit 25 Jahren bei uns ist. Der sagte mir: Ich bin froh, dass Sie diesen Schritt mit der Übernahme gemacht haben. Sonst würde es uns heute nicht mehr geben.

Vielfältige Glücksmomente

Was war bislang Ihr schönster Moment als Unternehmerin?
Da gibt es einige, zum Beispiel unser Sommerfest. Es war ein Riesenaufwand, das zu organisieren, das Grillen, die Deko und so weiter. Aber es hat sich gelohnt. Alle Mitarbeiter sind gekommen und haben ihre Familien mitgebracht. So empfinde ich das auch: dass wir eine große Familie sind. Dazu kommen weitere Glücksmomente, wenn ein Kunde, der weg war, wiedergewonnen wird. Oder wenn bei uns aus Ideen neue Produkte entstehen.

Wie läuft das Geschäft?
Ich habe das Unternehmen in der Coronazeit übernommen und wir halten uns gut in der jetzigen herausfordernden Situation. Wir sind also gut aufgestellt. Was uns hilft, ist die Vielfalt an Produkten und Kunden. Wir beliefern alle Branchen, wir haben Kunden weltweit. Das Spektrum reicht vom 1-Mann-Betrieb bis hin zu großen Firmen der Industrie.

Haben Sie jemals Vorbehalte gegen eine Frau im Chefsessel gespürt?
Bei den Kunden nie, bei Geschäftsverhandlungen schon. Uns hatte man ein Unternehmen zum Kauf angeboten. Bei dem Gespräch saß ich als einzige Frau unter lauter Männern. Die Gegenseite war mit Steuerberater, Alteigentümern und Anwälten angerückt. Diese Männer, das wurde mir hinterher gesagt, hatten ein großes Problem damit, dass ich als Frau entscheide, ob die Unternehmen zusammenkommen oder nicht.

„Es ist nie so schlimm, wie es zuerst aussieht“

Gibt es etwas, das Sie als Unternehmerin neu gelernt haben?
Ich habe gelernt, viele Dinge entspannter zu sehen, auch wenn etwas schiefgeht. Meine Erfahrung ist: Es ist nie so schlimm, wie es im ersten Moment aussieht. Was ich schlicht sagen möchte: Frauen müssen mehr Mut haben, den Weg als Unternehmerin zu gehen. Mein Tipp: Einfach machen! Sich von nichts abbringen lassen!     

Zur Person: Mercia Gottlieb

Mercia Gottlieb ist Geschäftsführerin der mah-ATN GmbH in Baierbrunn. Sie verfügt über Masterabschlüsse in Business- und Change-Management. Von 2016 bis 2021 übernahm sie schrittweise die Nachfolge des Familienunternehmens.
Dieses wurde 1810 gegründet und hat heute 60 Mitarbeiter. Das Unternehmen sieht sich als ein Weltmarktführer für Bezugsstoffe und veganes Leder für alle Industrien sowie für Interieur und den Objektbereich.

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