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„Wir kommen voran“

Steffen Kugler ©
Michael Theurer ist seit 2022 Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr

Mehr Geld und Tempo: Michael Theurer, Bundesbeauftragter für den Schienenverkehr, spricht über den Stand der Verkehrswende und das, was Bayerns Firmen davon haben.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 05-06/2024

Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr – das ist ein denkbar schwieriger Job. Auf der IHK-Fachkonferenz „Schieneninfrastruktur Großraum München“ Ende April warb Michael Theurer (FDP), Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, genauso für Zuversicht wie im anschließenden Interview. Seine Botschaft: Die Chancen für die Schiene sind so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Herr Theurer, endlich handeln, das haben Unternehmer bei der IHK-Fachkonferenz gefordert. Können Sie die Ungeduld verstehen, wenn Sie sich das Chaos auf Münchens Straßen ansehen?
Heute ging es ja um den Schienenverkehr. Wir tun hier aber auch für die Straße viel – für den Autobahnring rund um München, mit der Ausweitung der Fahrspuren auf der A 8 und der A 9. Worum es mir geht, zeigen Zahlen unseres Ministeriums: Der Güterverkehr wird bis 2051 nochmals um 46 Prozent wachsen. Davon müssen wir so viel wie möglich auf die Schiene kriegen. Das ist unser Ziel.

Trifft Sie der Vorwurf: Die Einsicht ist zwar da, trotzdem wird in Berlin nichts gemacht?
Da widerspreche ich. Wir haben massive Investitionen mobilisiert. Allein in diesem Jahr haben wir die Mittel für die Schiene von 9 Milliarden auf 16 Milliarden Euro erhöht. Im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung von 2024 bis 2027 haben wir die vorgesehenen 42 Milliarden Euro um weitere 27,3 Milliarden aufgestockt – das ist ein Plus von 65 Prozent in Zeiten, in denen alle Ressorts sparen müssen. Das ist ein klares Signal pro Schiene.

17.500 Kilometer sanierungsbedürftig

Trotzdem sagen Experten, das Geld reiche vorne und hinten nicht. Die Bundesregierung selbst beziffert die Kosten für die Schienensanierung auf 90 Milliarden Euro.
Als wir die Regierung übernommen haben, hat uns das selbst schockiert – in welchem Zustand man uns das Schienennetz überlassen hat. Man hat es viele Jahren lang verrotten lassen. Mehr als 17.500 Kilometer des Schienennetzes und rund 1.000 Eisenbahnbrücken müssen saniert werden. Das geht nicht über Nacht, klar, aber wir sind dran.

Haben auch die Unternehmen in Bayern etwas davon?
Gerade die Unternehmen in Bayern sind darauf angewiesen, dass die Schienenanbindung zu den Häfen an der Nordsee oder an der Adria funktioniert. Ansonsten können sie von Auslandsmärkten keine Produkte beziehen oder die Waren dort absetzen. Wir haben jetzt die Generalsanierung der Hochleistungskorridore eingeleitet. Davon wird die Wirtschaft im Export- und Transitland Bayern ganz sicher profitieren.

Die Sanierung allein wird aber für die Verkehrswende kaum reichen.
Deshalb planen wir Neubau- und Ausbaumaßnahmen. Dazu gehört auch die ABS 38 (Ausbaustrecke München–Mühldorf–Freilassing, die Red.), die für die Wirtschaft Südostbayerns wichtig ist. Da haben wir im Planungs- und Genehmigungsprozess mehr Tempo reinbekommen. Es gibt Fortschritte beim Brenner-Zulauf und bei den Strecken Nürnberg–Würzburg und Ulm–Augsburg. Im Juni machen wir den Spatenstich für ein Verladeterminal in Augsburg. Sie sehen also: Wir kommen voran.

Genehmigungsverfahren mit mehr Tempo

Der Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wollte Planungsprozesse per Gesetz beschleunigen. Hat das etwas gebracht?
Das war das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz. Wie gut das funktioniert hat, hat man am Beispiel der ABS 38 gesehen. Alles hätte noch 3 Jahre länger gedauert. Wir haben das abgeschafft und stattdessen im Bundestag ein Maßnahmenpaket zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich beschlossen.

Was ist daran besser?
Der entscheidende Punkt ist: Schienenprojekte dienen nun ausdrücklich dem öffentlichen Interesse. Wir erwarten, dass das die Erfolgschancen von Klagen bei den Verwaltungsgerichten deutlich verringert. Planungsverfahren werden erheblich schneller gehen.

Die Bundesregierung will den Anteil des Schienengüterverkehrs von etwa 19 Prozent bis 2030 auf 25 Prozent steigern. Halten Sie das für realistisch?
Ich gebe zu: Das ist sehr ambitioniert. Nachbarländer wie Österreich liegen sogar darüber (28 Prozent, die Red.). Wir schaffen das nur, wenn wir alle Instrumente nutzen: Sanierung, Modernisierung, Aus- und Neubau, digitale Signal- und Steuerungstechnik – und auch digitales Kapazitätsmanagement, dafür habe ich mich erfolgreich um Haushaltsmittel bemüht. Aber es bleibt beim Ziel von 25 Prozent. Wir arbeiten mit Hochdruck daran.

Sie wollen 40 Schienenkorridore generalsanieren. Heißt das auch: noch mehr Verspätungen, Umleitungen und Zugausfälle?
Ich will schon betonen: Die Generalsanierung ist nicht der Grund dafür, dass Güterzüge unpünktlich kommen. Es ist das marode und überlastete Schienennetz, das zu immer neuen Baustellen und Störungen aller logistischen Prozesse führt.

Aber es ist trotzdem klar, dass es zu Streckensperrungen kommen wird.
Ja, sicher. Wenn ein Korridor 5 oder 6 Monate gesperrt wird, bedeutet das massive Einschränkungen. Im Vergleich zu dem Flickwerk, das wir bislang betreiben, bringt das aber mehr Effizienz. Das ermöglicht den Einsatz von Großgeräten, die Baufirmen können mit Volldampf arbeiten. Das bringt uns mehr Tempo

Flickenteppich nationaler Regelungen

EU-weite Transporte sind mit dem Lkw kein Problem, für Güterzüge ist das ein Hürdenlauf. Es gibt Sprachbarrieren, Nachweispflichten, Grenzübergänge sind nicht elektrifiziert. Wann rafft sich die EU zu einer Lösung auf?
Es gibt Fortschritte beim Ausbau der großen Schienenverkehrskorridore, aber wir haben auch da einen großen Investitionsrückstand. Wir sind bei der Harmonisierung der Vorschriften bei der Fahrzeugzulassung vorangekommen. Deutschland hat vergeblich versucht, auf europäischer Ebene eine einheitliche Sprache für Lokführer durchzusetzen. Wir haben leider immer noch einen Flickenteppich nationaler Regelungen. Das muss natürlich besser werden.

Spediteure sagen, sie würden gern mehr Transporte auf die Schiene verlagern, aber der Lkw sei einfach günstiger. Was erhoffen Sie sich von der Senkung der Trassenpreise?
Momentan haben wir mehr Nachfrage nach Schienengüterverkehr, als wir Kapazitäten zur Verfügung haben. So unattraktiv kann die Schiene also nicht sein. Zudem haben die jetzige Bundesregierung und die Regierungsfraktionen einen Grund für die Wettbewerbsverzerrung zugunsten des Lkw beseitigt: Mit Umsetzung der Eurovignette haben wir eine CO2-abhängige Maut eingeführt. Das macht die Schiene preislich attraktiver. Die Mauteinnahmen fließen in die Generalsanierung und den Ausbau des Schienennetzes.

Ebenerdig von Bayern nach Norditalien

Gibt es eine Lösung für das Dauerproblem Brenner-Transit? Kommt der Brenner-Nordzulauf vor 2040?
Die gute Nachricht ist: Die Bestandsstrecke hat noch Kapazitätsreserven. Es geht um etwa 60 Güterzüge täglich, die zusätzlich abgewickelt werden könnten. Das verschafft uns die zeitliche Luft, die man braucht, um die Neubaustrecke zu realisieren. Die wird langfristig gebraucht, weil der Brenner-Basistunnel sicher mehr Güterverkehr anziehen wird.

Es gibt Bürgerinitiativen und Kritiker, die das bestreiten.
Denen möchte ich entschieden widersprechen. Der Brenner-Basistunnel wird 2 der stärksten Wirtschaftsräume Europas verbinden. Die Züge rollen quasi ebenerdig von Bayern nach Norditalien. Das wird zu erheblichen Zuwächsen im Schienenverkehr für Güter und Personen führen.

Klingt alles gut, aber geht am Brenner überhaupt etwas voran?
Ich sehe das absolut so. Die Vorzugstrassen sind präsentiert worden und sind für Bürgerbeteiligungsverfahren offen. Die Bahn arbeitet jetzt mit Unterstützung der Bundesregierung daran, im Genehmigungsverfahren zügig zu einer realisierbaren Trasse zu kommen.

„Es müssen alle mitziehen“

Sie haben auf der Konferenz für den Schulterschluss aller Beteiligten geworben. Bekommt der Bund die Verkehrswende sonst nicht hin?
Die Verkehrswende ist tatsächlich eine Riesenaufgabe – mit dem Deutschlandtakt, dem Deutschlandticket, der Generalsanierung des Schienennetzes und so weiter. Das funktioniert nur, wenn alle mitziehen: die Länder beim regionalen Nahverkehr, die Kommunen bei der ÖPNV-Infrastruktur. Wir brauchen die intermodale Verknüpfung schon auf dem Bahnhofsvorplatz, zum Beispiel mit Fahrradparkhäusern.

Der Vertreter der Bayerischen Staatsregierung hat heute erklärt, man sei für den Schienengüterverkehr nicht zuständig. Was könnte der Freistaat tun, um die Schiene zu fördern?
Er sollte im Gespräch mit den Bürgern erklären, wie wichtig ein gutes Schienennetz für Wirtschaft, Wohlstand und Arbeitsplätze ist. Ich habe bereits das Engagement Baden-Württembergs gelobt. Das Land bezahlt freiwillig für Lärmschutz entlang der Trasse der Rheintalbahn. Das hat die Akzeptanz der Bürger erhöht, sogar die Bürgerinitiativen waren zufrieden.

Zur Person: Michael Theurer

Michael Theurer (57) ist Diplom-Volkswirt und sitzt seit 2017 im Deutschen Bundestag. Im Jahr 2021 wurde der Tübinger zum Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr berufen. Seit 2022 ist der FDP-Politiker außerdem Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr.

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