Junge Schrittmacher

Noch nie zuvor gab es so viele Start-ups in der oberbayerischen Umwelttechnologie. Sie punkten mit überzeugenden Klimainnovationen – und sorgen für frischen Wind am hiesigen Standort.
Monika Hofmann, Ausgabe 10/20
Sie wollen die Energiewende vorantreiben, den Klimawandel bremsen oder die Lebensmittelindustrie umwelt- und tierfreundlicher gestalten. Dazu entwickeln sie engagiert, kompetent und kontinuierlich Innovationen. In München und in der Region hat sich eine große Zahl an Start-ups auf den Weg gemacht, mit Umwelttechnologie die Welt ein wenig besser zu machen. Die aktuelle Klimadebatte beschert den Umwelttechnologiefirmen jetzt zusätzlichen Schub. Inzwischen prägen so viele Start-ups wie noch nie zuvor die Entwicklung des Standorts mit. Und davon profitieren auch bereits etablierte Unternehmen. »Gute Umwelt- und Klimapolitik muss immer auch Innovationspolitik sein. Das zeigen die Beispiele hier besonders deutlich«, sagt Norbert Ammann, Referatsleiter Umwelt, Energie, Rohstoffe bei der IHK für München und Oberbayern.
Schlüsselbereich mit 52 Milliarden Euro Umsatz
Die Umwelttechnologie punktet in Bayern bereits seit mehr als drei Jahrzehnten mit ihrem starken Wachstum. Mit 4,7 Prozent aller Erwerbstätigen und einem Umsatz von rund 52 Milliarden Euro zählt sie neben klassischen Branchen wie dem Fahrzeug- oder dem Maschinenbau zu den Schlüsselbereichen der Wirtschaft im Freistaat, wie eine Studie des Bayerischen Wirtschaftsministeriums feststellt.
Erfolgsfaktoren des Standorts
»Wir haben hier einen besonderen Mix aus mittelständischen Unternehmen, die seit Jahrzehnten in der Branche tätig sind, etwa in der Abwasserreinigung oder Entsorgung, die auf ihrem langjährigen Know-how aufsetzen und sich auch gut im Ausland etablieren«, sagt IHK-Umweltexpertin Nicole Seyring. Zugleich gibt es eine sehr aktive Start-up-Szene, die Entwicklungen aufgreift und gezielt Lösungen entwickelt. Mit 17 Prozent ist der Anteil von umweltorientierten Firmen an allen Start-up-Gründungen in München beachtlich, bestätigt die jüngste Studie zur Umweltwirtschaft in der Region München. Diese Mischung aus etablierten Betrieben und jungen Firmen bringt Ideen voran. »Smart-City-Lösungen beispielsweise befeuern Innovationen«, sagt Seyring. »Doch sie funktionieren nur, wenn klassische Umwelttechnologien und Digitalisierung zusammengebracht werden«.
Auch die Kombination auf dem Arbeitsmarkt aus Akademikern, Ingenieuren und gut ausgebildetem Personal mit Berufen wie Solar-, Umwelt- oder Abfalltechniker trage maßgeblich zum Erfolg der Branche bei. »Klima- und Umweltschutz ist eine gesellschaftliche Aufgabe, wobei die Entwicklungen für eine nachhaltige Energiewirtschaft und Mobilität die Umweltwirtschaft stark beeinflussen«, stellt IHK-Experte Ammann fest. Von Anfang an musste sich die Branche immer wieder neuen Herausforderungen und gesetzlichen Vorgaben stellen. Dass bayerische Firmen dabei so erfolgreich sind, komme nicht von ungefähr, so Ammann. Bereits 1970 richtete der Freistaat als erstes Bundesland ein eigenes Ministerium für Umweltschutz ein, der Bund folgte erst 16 Jahre später.
»Bewusstsein steigt, auch in eher traditionellen Firmen«
Die bayerischen Firmen der Branche verkaufen heute ihre Technologien in die ganze Welt. Internationale Märkte spielen für sie eine wachsende Rolle – auch dies belegt die Studie des Wirtschaftsministeriums: Knapp ein Drittel des Umsatzes erzielen die Unternehmen im Ausland. Damit liegt der Internationalisierungsgrad zwar hinter sehr exportorientierten Branchen wie dem Fahrzeugbau (46 Prozent), aber bereits vor der Metallindustrie (26 Prozent). Und er wird weiter zunehmen, so die Studie. Die Firmen haben sich mit einem breiten Angebot innovativer Produkte zukunftsfähig aufgestellt, die Startups tragen einen wichtigen Teil dazu bei. Die Zahl dieser jungen Firmen wächst stetig. Carsten Rudolph (56), Geschäftsführer des Investorennetzwerks BayStartUP, sieht die Ursachen dafür nicht nur in der Landes- und Bundespolitik, sondern vor allem auch in der Klimadebatte. »Ganz allgemein ist das Bewusstsein für solche Fragen gestiegen, inzwischen herrscht daher eine große Offenheit dafür – auch in eher traditionellen Firmen«, ist er überzeugt.
Tiefes Technologieverständnis
Dies sei eine besonders wichtige Voraussetzung, um eine breite Nachfrage nach umwelttechnologischen Lösungen entstehen zu lassen und voranzutreiben. »Denn die Umwelt-Start-ups brauchen Geschäftspartner, Kunden und Investoren, die offen sind für diese Themen«, erklärt der BayStartUP-Geschäftsführer. Mit ihren Ideen und Entwicklungen greifen die jungen Firmen den Trend zu mehr Nachhaltigkeit auf, der auch auf lange Sicht Erfolg verspricht. Gerade in Oberbayern stoßen sie dabei auf große Resonanz und ein tiefes Technologieverständnis bei Investoren und Unternehmen. »Damit verstärken sie diese Entwicklung«, argumentiert Rudolph. Das dürfte wohl auch für die Zeit nach der Coronakrise gelten.
Agile Netzwerke
Zugleich tragen agile Netzwerke wie BayStartUP dazu bei, die Start-ups mit Firmenkunden, Partnern und Investoren zusammenzubringen. Eine wichtige Rolle spielen auch die Hochschulen, die zunehmend zu umwelttechnologischen Fragen forschen. Oft münden diese Forschungsprojekte in Ausgründungen, in denen hochkompetente Spezialisten ihre Ideen zu marktreifen Produkten weiterentwickeln. Auch bei der Mitarbeitersuche werden die Firmengründer dank der zahlreichen Hochschulen meist fündig. Die Erfolgsfaktoren Oberbayerns fasst Rudolph so zusammen: »Es ist die fruchtbare Kombination von Mittelständlern, die sich bereits auf ihren Märkten positioniert haben, und Start-ups, die mit ihren Ideen für frischen Wind sorgen, sowie von guten Netzwerken und renommierten Hochschulen.« Allerdings kennt der BayStartUP-Geschäftsführer auch die Herausforderungen, die der oberbayerische Standort mit sich bringt: Für wachsende Start-ups ist es schwierig, passende und erschwingliche Flächen zu finden.
Hoher Investitionsbedarf
Zudem konkurrieren sie bei der Mitarbeitersuche mit Konzernen, die höhere Löhne zahlen. Hinzu kommt, dass vor allem junge Umwelttechnologiefirmen häufig sehr hohe Investitionen stemmen müssen, um ihre Produktionsanlagen zu finanzieren. »Investoren für so hohen Finanzierungsbedarf zu finden, ist auch an einem Standort wie München nicht ganz einfach«, so Rudolph. Für die meisten Start-ups überwiegen jedoch die Vorteile.
Ein wichtiger Punkt dabei: die weitverzweigten Netzwerke. In der Umweltwirtschaft ist der Austausch der Firmen untereinander, aber auch mit Wissenschaft und Forschung essenziell, weiß IHK-Expertin Seyring. Zudem arbeiten Firmen oft zusammen, um gemeinsame Lösungen für ein Problem anzubieten – bei der Abwasserreinigung sind das etwa die Anbieter von Belüftern, von Leitungsnetzen und von Messtechnik. Daher vernetzt zum Beispiel der Umweltcluster Bayern mit Sitz in Augsburg die Akteure aus Forschung und Entwicklung sowie aus den Kommunen mit der Umweltwirtschaft und schafft Plattformen für den Austausch. Er bietet kleinen und mittleren Firmen gezielte Unterstützung und wertvollen Dialog, gerade wenn es um Kooperationen für Innovationen oder Auslandsengagements geht. »Und das«, so Seyring, »sorgt für hilfreiche Impulse.« Was dies in der Praxis bedeutet, zeigen drei Firmenbeispiele.
Firmenbeispiel VoltStorage GmbH: Solarstrom nachhaltig speichern
Wie lässt sich Solarenergie effizient speichern? Das 30-köpfige Team des Start-ups VoltStorage GmbH hat dafür eine nachhaltige Antwort parat. Bislang mussten Solarbetreiber auf Lithiumspeicher zurückgreifen. Dieser Speichertyp sei aufgrund seiner ökologischen Nachteile zu hinterfragen, sagt VoltStorage-Geschäftsführer Jakob Bitner (33). »Zu stationären
Speichersystemen gibt es umweltfreundlichere Alternativen.«
Bitner hat 2014 mit Michael Peither (31) und Felix Kiefl (31) in München VoltStorage gegründet, das seitdem rasant wächst. Ihre Vision: »100 Prozent der erneuerbaren Energien rund um die Uhr verfügbar zu machen – und so die Welt sauberer und fairer zu gestalten.« Das soll mit den von ihnen entwickelten und produzierten Solarstromspeichern auf Basis der Redox-Flow-Technologie gelingen. Dabei wird elektrische Energie in einer vanadiumbasierten Flüssigkeit chemisch gespeichert. Die US-Raumfahrtbehörde NASA hatte die Technologie bereits in den 1970er-Jahren entwickelt, seither kam sie jedoch nur in Großspeichersystemen für industrielle Zwecke zum Einsatz. »Zum ersten Mal weltweit machen wir diese Speicherlösung für Privathaushalte
verfügbar«, sagt Bitner.
Herausforderung: neue Flächen
Das ermöglicht ein eigens dafür entwickeltes und patentiertes, automatisiertes Produktionsverfahren der Redox-Flow-Batteriezellen. Damit etabliert das Start-up eine Speichertechnik, die ohne
seltene Rohstoffe auskommt, recycelbar, sicher und langlebig ist sowie die Unabhängigkeit stärkt. »Für uns sind neben den guten Investoren- und Unternehmensnetzwerken unsere hochqualifizierten, hochmotivierten Mitarbeiter der wichtigste Erfolgsfaktor«, sagt Bitner. München sei ein geeigneter Standort, um die gesuchten Spezialisten, die aus aller Welt stammen, zu gewinnen und zu halten – »auch wenn wir als Start-up hier oft mit Konzernen konkurrieren, die hohe Löhne zahlen«, so Bitner.
Daher soll auch das weitere Wachstum hier stattfinden: »Wir suchen bereits neue Flächen, was nicht so einfach ist.« Schon 2016 kamen Investoren dazu, später ermöglichte eine Crowdfundingkampagne, in kurzer Zeit rund eine Million Euro einzusammeln. »Inzwischen arbeiten wir daran, die Produktion hochzufahren, sodass wir die stark wachsende Nachfrage mit hoher Qualität bedienen können«, so Bitner. In der Energiewende sieht er eine große Chance: »Das Speichern von Strom, um Produktion und Verbrauch zu entkoppeln, ist ein wichtiger Baustein für ihr Gelingen – mit VoltStorage leisten wir unseren Beitrag dazu.«
Firmenbeispiel Orbem GmbH: Tierwohl und Effizienz verbinden
Für mehr Nachhaltigkeit in der Geflügelindustrie kämpft das Garchinger Start-up Orbem. Geschäftsführer Pedro Gomez (30), ein Bioinformatiker, entwickelte mit Miguel Molina (35), ebenfalls Bioinformatiker, und der Tierärztin Maria Laparidou (35) sowie drei wissenschaftlichen Beratern eine Lösung für grundlegende Probleme der Geflügelindustrie: Männliche Küken legen keine Eier und setzen kaum Fleisch an, das wieder verkauft werden kann – sie werden daher millionenfach getötet. Zudem machen unbefruchtete Eier mit rund 15 Prozent einen erheblichen Anteil aller Eier aus. Frühzeitig erkannt, könnten sie etwa als Frühstückseier verwendet werden. Die KI-gesteuerte Bildgebungstechnologie Orbem Genus untersucht die Eier berührungsfrei und sortiert sie automatisch nach Befruchtungsstatus oder Geschlecht des Kükens.
Berührungsfreie, KI-gesteuerte Bildgebung rettet Leben
»Damit lassen sich Milliarden von Eiern für den Verzehr in den Markt einführen, das Kükentöten vermeiden sowie Energie, Kosten und Abfall einsparen«, verspricht Gomez. Die Technik setze bei Schnelligkeit, Kosten und Zuverlässigkeit neue Maßstäbe, urteilt die Bayerische Patentallianz in München (BayPAT), die Orbem bei der Patentierung begleitete. Beim Businessplanwettbewerb des bayerischen Investorennetzwerks BayStartUP erreichten die Unternehmer den dritten Platz. Das Orbem-Team, das an der TU weiter forscht, hat die Ausgründung erfolgreich hinter sich gebracht und bereits öffentliche Fördergelder und Preisgelder akquiriert. »Damit wollen wir unsere neue Technologie zur Marktreife entwickeln, um nicht nur hierzulande, sondern weltweit zu wachsen«,
sagt Gomez.
Erfolgsfaktoren sieht er in erster Linie in dem spezialisierten, internationalen Team und in den hiesigen Universitäts-, Investoren- und Unternehmensnetzwerken: »Das erlaubte uns einen
guten Start und ermöglicht uns, weiter zu wachsen, weil wir hier kompetente Mitarbeiter und weitere Partner finden können.«
Firmenbeispiel Electrochaea GmbH: Strom ökologisch in Gas umwandeln
Seit dem Start hat das Planegger Unternehmen Electrochaea das internationale Geschäft im Blick. Die Firma begann 2010 als Ausgründung der Universität Chicago und wechselte 2014 nach Planegg. Mit ihrem internationalen Team hat sie rasch Investoren und Kunden aus aller Welt gewonnen, zunächst vor allem aus Oberbayern, der Schweiz, den USA, Dänemark und Schweden. »Unter unseren inzwischen 26 spezialisierten Mitarbeitern sind Talente zuhauf und zehn Nationen vertreten«, sagt CTO Doris Hafenbradl (50). »Und wir suchen weitere Spezialisten, die mit uns wachsen wollen.«
Kohlendioxid binden, Stromnetz entlasten
Electrochaea hat eine neuartige Power-to-Gas-Technologie zur Energiespeicherung und CO₂-Reduktion entwickelt. Sie wandelt abgeregelte und günstige Elektrizität aus erneuerbarer
Energie in Methangas um, das die Betreiber direkt ins Erdgasnetz einspeisen können. Basis sind Mikroorganismen, sogenannte methanogene Archaeen, die sich durch außerordentliche Leistungsfähigkeit und Robustheit im industriellen Einsatz auszeichnen. Die Electrochaea-Technologie kann daher eine effiziente und ökologische Lösung sein, um erneuerbare Energie im großen Stil als Gas zu speichern. Sie entlastet zudem das Stromnetz und bindet Kohlendioxid. »Jetzt sind wir so weit, dass wir unser Ziel, mehr Nachhaltigkeit bei den Stromspeichern zu schaffen, erreicht haben und vom Demonstrationsniveau in die kommerzielle Praxis übergehen können«, freut sich Hafenbradl.
Interessenten aus Kalifornien
Zurzeit unterhält Electrochaea Demonstrationsanlagen in Dänemark, der Schweiz und den USA. Nun plant das Start-up Bioreaktoren mit wenigstens zehn Megawatt Strominput und weitere Großanlagen bis hin zu 150 Megawatt. »Darüber verhandeln wir gerade mit Interessenten aus Kalifornien«, sagt Hafenbradl.
Für das weitere Wachstum ist Planegg der perfekte Standort, findet sie: »Hier gibt es nicht nur bestens qualifizierte Bewerber und zahlreiche Talente, sondern auch einen intensiven
Austausch und Kooperationsmöglichkeiten mit den Firmen vor Ort.« Und sie betont: »Für weltweite Wachstumspläne ist Oberbayern wegen seiner Infrastruktur, Lage und Attraktivität ohnehin ein besonders geeigneter Ausgangspunkt.«