„Schreckliche To-dos sind oft Scheinriesen“
Unangenehmes zuerst anpacken, gute Gewohnheiten pflegen, intensiv networken: Experte Werner Tiki Küstenmacher gibt Tipps, wie Chefs kleiner Betriebe und Selbstständige sich und ihre Zeit optimal managen.
Von Eva Müller-Tauber, 8/2024
Herr Küstenmacher, gerade Kleinstunternehmer und Selbstständige müssen sich gut organisieren, damit sie das Tagesgeschäft gewuppt bekommen. Was zeichnet ein gutes Selbstmanagement aus?
Dass Sie sich eingestehen: „Ich muss nicht alles selbst machen“. Ein guter Firmenchef konzentriert sich auf seine Kernkompetenzen – und lässt sich bei allem anderen helfen, von Experten oder dem eigenen Netzwerk: Der Steuerberater kümmert sich um die Steuern, der IT-Fachmann um Website und Support. Bei aktuellen Problemen oder dem ganzen Ärger mit gesetzlichen Vorschriften nutzen Sie klugerweise die guten Informationsquellen bei Verbänden oder anderen Institutionen wie der IHK. Sie konsultieren in kniffligen Fragen einen Rechtsexperten oder eine Unternehmensberatung.
Das setzt voraus, dass ein Unternehmer gut vernetzt ist.
Richtig. Networking ist besonders wichtig für EinzelkämpferInnen und Chefs beziehungsweise Chefinnen kleiner Betriebe, die stark ins operative Geschäft eingebunden sind. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Es hilft ungemein, sich mit anderen auszutauschen. Da stelle ich erleichtert fest, dass andere dasselbe Problem haben und ich damit nicht allein bin. Gemeinsam findet sich leichter eine Lösung. Es ist nie gut, nur einsam vor sich hinzuarbeiten – auch mit Blick auf die Psyche und damit auf die Gesundheit.
Raus aus dem Tunnelblick
Ein Argument, das viele anführen werden: Networking kostet Zeit, und die habe ich als Kleinunternehmer nicht. Ich muss ja meine To-dos abarbeiten.
Hier verweise ich gern auf Stephen R. Coveys „7 Wege zur Effektivität“. Ein Mann trifft im Wald einen Holzfäller, der seit Stunden angestrengt versucht, einen Baumstamm zu zersägen. Er schlägt dem Holzfäller vor, seine stumpfe Säge zu schärfen, weil er dann schneller fertig würde. Doch der Holzfäller winkt ab: „Dafür hab ich keine Zeit, ich muss doch sägen.“ Raus aus dem Tunnelblick zu kommen, sich auszutauschen, die „eigene Säge zu schärfen“, bringt Sie schneller ans Ziel. Auch Kleinunternehmer sollten sich die Zeit nehmen, regelmäßig mit anderen Unternehmern zu telefonieren oder sich zu einem Jour Fixe zu treffen.
Wer Berge von Arbeit vor sich herschiebt, weiß oft nicht, wo er anfangen soll. Was raten Sie?
Selbstmanagement hat viel damit zu tun, sein Leben zu gestalten, sich gute Gewohnheiten anzueignen. Ich liebe den Tipp von William H. McRaven, einem US-Soldaten der Elitetruppe Navy Seals, der mittlerweile General ist. Der Tipp ist in unserem neuen Buch „365 Tage simplify your life“ der Tipp Nummer 222 und lautet: „Mach dein Bett!“ – und zwar jeden Morgen, grundsätzlich. Die Idee dahinter: Beginne deinen Tag mit einer Aktion, die immer gelingt. Auch wenn die anderen drängenden Herausforderungen noch so groß erscheinen. Denn wenn du die erste Aufgabe gemeistert hast, kommst du besser in den Tag, meisterst noch eine und noch eine.
Also Schritt für Schritt vorwärtsgehen...
… und große Aufgaben in kleinere zerlegen. Wer Aufgaben anpackt, statt sie nur anzustarren, sie furchtbar zu finden und nachts darüber zu grübeln, wird feststellen: Oft sind die schrecklichen To-dos Scheinriesen, wie der berühmte Herr Tur Tur aus Michael Endes „Jim Knopf“. Beim Näherkommen – wenn man sie endlich angeht – werden sie immer kleiner!
Unangenehme Aufgaben versüßen
Das deckt sich mit dem Top-Rat der Organisationsexpertin Julie Morgenstern: „Never check your e-mail in the morning!“ Nicht mit Kleinkram den Tag beginnen, sondern mit einer großen Aufgabe, etwa dem Gespräch mit einem unzufriedenen Auftraggeber. Meist ist diese Aufgabe sehr unangenehm und wird von Organisationsprofis „Das große U“ genannt. Bei Brian Tracy heißt das „Eat the frog“, die „Kröte schlucken“. Dabei muss man allerdings sein limbisches System überlisten, das unangenehmen Aktivitäten prinzipiell ausweicht.
Wie gelingt das?
Indem Sie Ihre Einstellung gegenüber einer unangenehmen Aufgabe verändern, sie sich praktisch versüßen. Stellen Sie sich vor, wie gut Sie sich fühlen werden, wenn Sie sie erledigt haben und genussvoll diesen Punkt auf der To-do-Liste streichen können.
Die wird aber leider in diesen Zeiten, da alles schneller wird und alle schnelle Antworten erwarten, auch schnell wieder länger.
Hier plädiere ich – gerade bei E-Mails – für die Methode „quick and dirty“. Also schnell antworten, aber dafür vielleicht nicht perfekt. Denn die Alternative wäre: Ich antworte zu spät, verärgere dadurch die Adressaten – und meine Antwort wird später auch nicht perfekt ausfallen, weil meine Zeit ja nach wie vor knapp ist.
Vor dem Urlaub besonders effizient
Auch Schnelligkeit kann eine Qualität sein.
Genau. Denn mein Adressat ist begeistert, wenn er gleich Antwort bekommt. Dass „quick and dirty“ prima funktioniert, zeigt sich immer vor dem Urlaub. Es ist nachgewiesen: Die beiden Tage vor der Abreise sind die effizienten. Plötzlich schaffen es die Leute, alles noch auf den Weg zu bringen, um die Sachen vom Tisch zu haben.
Die neuen Medien sind praktische Helfer im beruflichen Alltag, aber mitunter auch Zeitfresser, weil man sich zu leicht ablenken lässt. Was tun?
Hier helfen nur Selbstdisziplin und eine feste Zeitvorgabe. Dabei sind feste Strukturen das A und O. Schreiben Sie sich vor einem Telefonat die wichtigen Punkte und Fakten auf, und handeln Sie die am Anfang ab, ohne langes „Wie geht’s denn so?“-Getue am Anfang. Das können Sie am Ende machen, wenn das Wichtigste erledigt ist.
Pünktlichkeit „nach hinten“
Meetings sind ebenfalls Zeitfresser.
Darum sollte ein Unternehmer hier feste, aber realistische Zeitfenster vorgeben. Extrem wichtig finde ich die Pünktlichkeit „nach hinten“: Das Meeting beginnt um 10:00 und dauert bis 10:40, das wird von vornherein allen so mitgeteilt. Dann dauert es auch nicht länger, wenn es alle wissen! Außerdem notwendig: Puffer zwischen den Terminen. Wenn jemand ein Meeting von 9 bis 10 hat, dann eins von 10 bis 11 und danach eins von 11 bis 12, werde ich stutzig. Das kann nicht funktionieren.
Durchatmen, Schönes genießen
Also feste Pausen einplanen.
Unbedingt! Abgesehen davon, dass in Kaffeepausen sozialisiert und kommuniziert wird, brauchen Sie Pausen, um durchzuschnaufen. Mit dem Atem können Sie sich selbst sehr effektiv coachen: kräftig einatmen, innehalten, und dann bewusst möglichst langsam ausatmen. Auch hilfreich ist Tipp 19 aus dem Buch: Gehen Sie aufrecht, mit federnden Schritten, sehen Sie im Freien immer mal nach oben. Damit sagen Sie sich über Ihre Körperhaltung: Ich bin fit, ich habe den Überblick, ich lasse mich von der Arbeitslast nicht erdrücken!
Ein abschließender Tipp?
Belohnen Sie sich täglich selbst.
Also feiern, wenn man etwas geschafft hat?
Ja, sich selbst auf die Schulter klopfen, das gehört dazu. Und am Ende des Tages oder zwischendrin etwas machen, was Sie freut: Hören Sie Musik, sehen Sie Schönes, genießen Sie gute Gerüche. Dabei produziert Ihr limbisches Gehirn stimmungsaufhellende Hormone, und Sie gehen gestärkt in neue Aufgaben.
Zur Person: Werner Tiki Küstenmacher
Werner Tiki Küstenmacher, Jahrgang 1953, hat ursprünglich Theologie studiert. Doch schon seit den 1990-er Jahren arbeitet der evangelische Pfarrer auch als freiberuflicher Karikaturist und Autor. Der gebürtige Münchner hat bereits zahlreiche Bücher vor allem zu Themen wie Zeit- Stress- sowie Selbstmanagement und Kommunikation veröffentlicht, darunter gemeinsam mit Lothar J. Seiwert den internationalen Bestseller „Simplify your life“.