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Unter der Lupe: Wesentlichkeitsanalyse und doppelte Materialität

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Nachhaltigkeit – auch der Faktor Mitarbeiter gehört in die Wesentlichkeitsanalyse

Sie möchten wissen, was die beiden Begriffe bedeuten? Und wie Sie als kleineres Unternehmen von den dahinterliegenden Ansätzen profitieren können? Das Wichtigste auf einen Blick

Von Gabriele Lüke, 10/2023

Wenn über den Green Deal der EU berichtet wird, kommt die Sprache in der Regel schnell auch auf die Wesentlichkeitsanalyse und doppelte Materialität. Die beiden Begriffe benennen die Basisprinzipien der CSRD – Corporate Sustainability Reporting Directive. Diese regelt die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die viele Unternehmen sukzessive ab dem Geschäftsjahr 2024 leisten müssen.

Wesentlichkeit kurz definiert

Unternehmen müssen mit der Wesentlichkeitsanalyse herausfinden, zu welchen von 10 Nachhaltigkeitsfeldern sie in ihrem Lagebericht berichten müssen, welche also für ihren Betrieb im nachhaltigen Sinne wesentlich sind. Dabei geht es anhand der ESG-Kriterien (Environment/Umwelt, Social/Gesellschaft, Governance/Unternehmensführung) um Themen in 5 ökologischen und 4 sozialen Handlungsfeldern. Ein weiteres Handlungsfeld ist die Unternehmensführung.

Im Detail:

  • Klimawandel
  • Umweltverschmutzung
  • Wasser & Meeresressourcen
  • Biodiversität & Ökosysteme
  • Ressourcennutzung & Kreislaufwirtschaft
  • eigene Belegschaft
  • Beschäftigten in der Wertschöpfungskette
  • betroffenen Gemeinschaften
  • Verbraucher & Endnutzer
  • Geschäftsverhalten & Unternehmensführung
Doppelte Materialität = doppelter Blick

Die Wesentlichkeitsanalyse muss aus zwei Blickwinkeln erfolgen. Dieser doppelte Blick wird auch doppelte Materialität genannt. Unterschieden werden die Inside-out- und Outside-in-Perspektive. In der Fachsprache wird parallel auch von Impact Materiality und Financial Materiality gesprochen. Dabei gilt es, die jeweiligen Folgen, Risiken und Chancen messbar zu machen:

  • Welche Auswirkungen (Impact) hat das Geschäftsmodell des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft? In welcher Größenordnung, mit welcher Ausbreitung? Sind etwaige negative Auswirkungen umkehrbar?
  • Wie können umgekehrt Umwelteinflüsse, soziale oder Governance-Aspekte auf die finanzielle Lage des Unternehmens zurückwirken? Welche Chancen und Risiken bestehen?

Grundsätzlich nach CSRD berichtspflichtig und betroffen sind alle großen Unternehmen im bilanzrechtlichen Sinne sowie börsennotierte KMU ab 10 Mitarbeitenden:
Sind kleinere Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeitenden damit aus der Pflicht? Nicht ganz. Zum einen können theoretisch auch Unternehmen mit eher wenigen Mitarbeitern die von der EU-festgesetzte Bilanzsumme und Umsätze erreichen. Wenn sie große Lager oder einen größeren Fuhrpark vorhalten zum Beispiel. Zum anderen können sie als Teil der Lieferkette in die Mitverantwortung durch ihre Kunden genommen werden. Etwaige Fragen und Anforderungen der Kunden sollten Unternehmen daher im Blick behalten.

Chance auch für kleine Betriebe

Nicht zuletzt kann die Beschäftigung mit der Wesentlichkeitsanalyse und doppelten Materialität aber auch alle unterstützen, die sich aus eigenem Antrieb nachhaltiger aufstellen wollen. „Die Wesentlichkeitsanalyse und die doppelte Materialität sind gute Analyseinstrumente“, betont IHK-Fachfrau Henrike Purtik. „Sie helfen, Risiken und Chancen zu erkennen und das eigene Geschäftsmodell zukunftsfest aufzustellen.“

Starten können kleine wie große Unternehmen mit der Stakeholderanalyse. Wo sehen Stakeholder wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, die Bank, zivilgesellschaftliche Organisationen, die zentralen Nachhaltigkeitsthemen des Unternehmens? Dies ergänzen sie dann mit einer betriebsinternen Bestandsaufnahme ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten. „Anschließend können die Unternehmen inhaltliche Prioritäten setzen und bestimmen, welches Feld sie sich zuerst genauer anschauen“, erläutert Purtik.

Beispiele für die Inside-out-Perspektive

An diesen Fragen können kleine Unternehmen und Soloselbstständige arbeiten, um herauszufinden welche Folgen ihre Geschäftstätigkeit für Mensch und Umwelt hat:

  • Wie hoch ist mein Energieverbrauch? Kann ich durch Green IT und andere Maßnahmen energieeffizienter werden?
  • Wie sieht mein CO2-Fußabdruck aus? Kann ich diesen durch ein Balkonsolarkraftwerke oder E-Autos reduzieren?
  • Was ist mein Beitrag zu mehr Biodiversität? Kann ich beispielsweise über grüne Fassaden oder Dächer ökologische Nischen schaffen? Habe ich die Möglichkeit Blühwiesen anzulegen oder Bienenkörbe aufzustellen?
  • Wie gehen meine Lieferanten mit Umwelt und Menschen um? Stammen sie aus der Region? Produzieren sie nachhaltig? Muss ich hier genauer nachfragen? Den Lieferanten wechseln?
  • Wie geht es meinen Mitarbeitern? Brauchen sie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Gesundheitsangebote? Weiterbildung? Ist meine Belegschaft schon divers?
Beispiele für die Outside-in-Perspektive

Exemplarisch ein paar Fragen, die sich auch kleinere Unternehmen und Soloselbstständige zu den Einflüssen von Umwelt & Co. auf ihr Geschäftsmodell stellen können:

  • Ist mein Geschäft in einem Überschwemmungsgebiet? Können mein Lager oder meine IT bei Extremwetterlagen bedroht sein? Kann ich Lager und IT umziehen oder sichern?
  • Habe ich Lieferanten oder Kooperationspartner in Krisengebieten? Können diese kurzfristig ausfallen? Wie kann ich sie stützen? Habe ich Alternativen?
  • Ist mein Unternehmen demografiefest? Habe ich viele ältere Mitarbeiter, die bald in Pension gehen? Wie kann ich sie rechtzeitig ersetzen?
  • Digitales und Nachhaltigkeitswissen werden immer wichtiger. Bin ich selbst und meine Mitarbeiter gut genug aufgestellt? Erfüllen wir die Maßstäbe etwa der digitalen Kommunikation? Müssen Weiterbildungen angestoßen werden?
  • Die Ansprüche der Stakeholder ändern sich – Beispiel Restaurant: Habe ich auch Angebote für Vegetarier und Vegane, sind ausreichend alkoholfreie Weine und Biere auf meiner Speisekarte?

 „Auch wenn kleine Unternehmen und Soloselbstständige grundsätzlich nicht über Nachhaltigkeit berichten müssen, können sie ihre Chancen und Risiken, die Folgen ihrer Geschäftstätigkeit besser einschätzen, wenn sie sich der Wesentlichkeitsanalyse und der doppelten Materialität bedienen“, so Purtik. Das zeige oftmals Innovationspotenziale auf, stärke sie in Bezug auf zukünftige Herausforderungen und rüste sie für Nachhaltigkeitsanforderungen und Nachfragen ihrer (Groß-)Kunden.

IHK-Info zur CSRD

Unternehmen, die sich die Vorschriften der EU genauer anschauen wollen, finden online viele Informationen und einen Film, der die Wesentlichkeitsanalyse praxisnah erklärt.

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