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Naht eine Insolvenzwelle? Sanierungsexperte Volker Riedel im Interview

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Volker Riedel, Finanz- und Sanierungsexperte und Managing Partner bei Dr. Wieselhuber & Partner

Volker Riedel, Finanz- und Sanierungsexperte der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner, rechnet mit mehr Insolvenzen 2021. Worauf sollten Firmen beim Risikomanagement jetzt achten?

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 02/21

Herr Riedel, droht uns wegen Corona in diesem Jahr ein Tsunami an Unternehmensinsolvenzen?

Wir rechnen durchaus mit einer Zunahme der Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Vorjahr. Ich persönlich gehe aber nicht davon aus, dass die Welle extrem hoch wird.

Im vergangenen Jahr war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen sogar extrem niedrig. Das lag daran, dass die Insolvenztatbestände Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung wegen Corona ausgesetzt wurden. Dieser massive staatliche Eingriff erlaubte es maroden Unternehmen, zunächst weiterzuarbeiten. Die Aussetzung der Zahlungsunfähigkeit endete zum 1. Oktober 2020, die Überschuldung ist seit Jahresanfang wieder ein Insolvenztatbestand, zwar mit verlängerter Antragspflicht auf sechs Wochen und verkürzten Prognosezeiträumen. Hier müssen Geschäftsführer sehr wachsam sein, da sich aktuell die Gesetzeslage immer wieder verändern kann.

Wenn die Insolvenzquote nun wieder steigt, liegt das jedoch nicht allein an etwaigen Nachholeffekten aufgrund des Wiedereinsetzens dieser Insolvenztatbestände.

Welche anderen Faktoren tragen dazu bei?

Vor dem Auftreten der Coronapandemie hatten wir ein zehnjähriges Wirtschaftswachstum in Kombination mit niedrigen Zinsen. Da gelang es vielen Unternehmen mit grenzwertiger Ertrags- und Eigenkapitalsituation gerade noch, den Kopf über Wasser zu halten.

Die Auswirkungen von Corona – ein unerwartetes äußeres Ereignis – werden die meisten dieser sogenannten Zombie-Unternehmen jedoch nicht mehr bewältigen können. Manche wurden zwar 2020 von den Coronahilfen weiter am Leben gehalten. Wenn nun aber diese Hilfen zurückgefahren werden und dazu noch etwaige KfW-Kredite getilgt oder Altlasten aus Mietschulden beglichen werden müssen, rutschen kapital- und ertragsschwache Unternehmen rasch ins Aus.

Zu einem Anstieg der Insolvenzen wird aber auch das neue Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen, kurz StaRUG, führen, das Ende letzten Jahres in beachtlichem Tempo verabschiedet wurde. Es erleichtert außergerichtliche Vergleichsverfahren und die finanzielle Entschuldung von Unternehmen, erweitert aber die persönliche Haftung der Geschäftsführer auf die Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit.

Sind durch die Hilfsprogramme in der Coronakrise erst Zombie-Unternehmen entstanden?

Die direkten Subventionen, die Bürgschaften und KfW-Darlehen haben – quasi als nicht zu verhindernde Nebenwirkung – durchaus dazu beigetragen, Unternehmen mit unrentablen Strukturen am Leben zu halten. Meiner Meinung nach hat die Regierung mit den Hilfsprogrammen jedoch grundsätzlich einen guten Job gemacht. Insbesondere das Kurzarbeitergeld war äußerst wirkungsvoll für den Erhalt von Arbeitsplätzen und das hat wiederum für Ruhe in der Gesellschaft gesorgt.

Die Coronamaßnahmen haben jedoch auch vielen soliden Unternehmen die Existenzgrundlage geraubt. Ob die Hilfen letztlich ausreichen werden, um sie am Leben zu erhalten, ist offen und hängt auch vom weiteren Verlauf der Pandemie ab.

Spannend bleibt, wie sich die Banken künftig verhalten werden. Denn öffentliche Hilfen und niedrige Zinsen hebeln die klassischen Finanzierungsregeln nicht aus. Bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit zählen weiterhin vor allem der Verschuldungsgrad eines Unternehmens und das Vertrauen der Banken in dessen Geschäftsmodell.

Worauf sollten kleinere und mittelständische Unternehmen, die von Corona stark betroffen sind, bei ihrer Finanzierung achten?

Wichtig ist eine regelmäßige und knallharte Bestandsaufnahme im Hinblick auf die Liquidität. Sobald sich Engpässe abzeichnen, sollten sie mit ihrer Hausbank besprechen, wie künftig mit Tilgungen umgegangen wird. Selbstverständlich müssen diese Unternehmen ihre laufenden Kosten weiterhin möglichst stark reduzieren. Dazu gehört es, alle Ausgaben zu überprüfen und unnötige Positionen abzubauen – von leer stehenden Räumlichkeiten bis hin zu unnötig groß dimensionierten Firmenfuhrparks.

Auf Marktseite sollten Unternehmer exakt kalkulieren, jeden Auftrag auf Profitabilität hinterfragen und ihre Preise anpassen. Bei geringeren Stückzahlen steigen schließlich die Stückkosten. Beim Hochfahren kommt es auf gutes Timing an: Nicht immer macht es Sinn, auf Lockerungen sofort zu reagieren. Vor allem dann nicht, wenn die Kosten voll zu Buche schlagen, die Umsätze aber mangels Nachfrage zunächst niedrig sind.

Manche Unternehmen leiden bisher kaum unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Können sie weitermachen wie bisher?

In diesen volatilen Zeiten sollten selbst Unternehmen, die bislang gut bis sehr gut durch die Coronakrise gekommen sind, intensives Risikomanagement betreiben, indem sie analysieren, wie es ihren Kunden und Lieferanten geht. Anhand der im Bundesanzeiger veröffentlichten Bilanzen lässt sich schnell herausfinden, wie es 2019 um Eigenkapital, Verbindlichkeiten und Gewinn wichtiger Geschäftspartner stand.

Gefahr droht, wenn die Zahlen auch vor Corona schon schlecht waren. Die Unternehmen selbst sollten ihre Reserven auffüllen, Rücklagen bilden und somit ihr Eigenkapital erhöhen. Für GmbH-Gesellschafter ist es sinnvoll, ihre persönliche Kapitalstärke aufzubauen, damit sie bei künftigen Engpässen notfalls das Eigenkapital des Unternehmens aufstocken können.

Wie riskant ist es, jetzt neue Projekte zu starten?

Größere Investitionen sollten Unternehmen grundsätzlich nur dann vornehmen, wenn sie sauber durchfinanziert werden können. Ansonsten werden sie in den aktuell höchst unsicheren Zeiten schnell zum existenzbedrohenden Glücksspiel. Trotz der vielen Unternehmen, die sich derzeit in einer schwierigen Lage befinden, darf nicht vergessen werden, dass andere trotz und durch Corona gute Geschäfte gemacht haben. Sie sollten sich genau überlegen, inwieweit sich ihre Umsatzkurve nach dem Abklingen der Pandemie wieder nivellieren wird. Denn die coronabedingten Budgetverlagerungen von Konsumenten und Unternehmen werden dann wohl größtenteils wieder rückgängig gemacht.

Zur Person

Volker Riedel (55) ist Managing Partner der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber
& Partner GmbH, die vorrangig Familienunternehmen unterstützt. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre war der Diplomökonom in verschiedenen Positionen in Wirtschaft und Beratung tätig. Seit 2002 arbeitet er bei Dr. Wieselhuber & Partner, wo er den Bereich Insolvenzberatung & Finance leitet.

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