Handel(n) in der Preisspirale

Energiekrise, Inflation und Konsumzurückhaltung wirken sich auf Umsätze und Margen des Einzelhandels aus. Wie können mittelständische Händler reagieren?
Von Eva Elisabeth Ernst, IHK-Magazin 04/2023
Schreibtischstühle, Kopiergeräte, Tinte und Toner, Headsets, Kugelschreiber – die Einkaufspreise quer durch das Sortiment der Bensegger GmbH haben sich zwischen Mai und Oktober vergangenen Jahres stark verteuert. Bei Büromaterial waren es etwa 15 Prozent mehr, bei Büroausstattung und Papeterie rund 10 Prozent. „Der Papierpreis erhöhte sich sogar um fast 50 Prozent“, berichtet Geschäftsführer Andreas Bensegger (50).
Die Preissteigerungen komplett an die Kunden weiterzugeben, sei nur schwer möglich. „Bei unseren Geschäftskunden haben wir die Preise für Büromaterial in der Regel einmal jährlich erhöht. Im vergangenen Jahr waren dagegen drei Preisanpassungen erforderlich“, berichtet der Unternehmer.
Da die Firmenkunden Büromaterial und -ausstattung grundsätzlich bedarfsorientiert einkaufen, stellt Bensegger in diesem Segment immerhin keine Kaufzurückhaltung fest. Anders sieht es in der Papeterie aus, die das Unternehmen in der Rosenheimer Innenstadt betreibt: Dort ging die Frequenz im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 um 20 Prozent zurück, der Umsatz sank um 10 Prozent. „Insbesondere hochwertige Schreibgeräte werden derzeit kaum noch nachgefragt“, so Bensegger.
Verbraucher zurückhaltend
Die hohe Inflation hinterlässt Spuren im Einzelhandel. Weil die Preise für Energie, Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs so massiv gestiegen sind, sind viele Konsumenten vorsichtig beim Geldausgeben. Die Verbraucherstimmung bleibe trotz anhaltender Erholung hinter dem Vorkrisenniveau zurück, meldete der Handelsverband Deutschland (HDE) im März.
Einzelhändler müssten sich auf ein schwieriges Geschäftsjahr einstellen, prognostiziert der Verband. Der Umsatz dürfte zwar nominal um 2 Prozent wachsen. Berücksichtigt man die Preissteigerungen, bedeutet das jedoch ein reales Minus von 3 Prozent. Wie können Händler auf diese schwierigen Bedingungen reagieren?
Ansatzpunkte gibt es einige, sagen Einzelhandelsberater. Zum Beispiel bei den Betriebskosten. „Oft gibt es zahlreiche Altlasten, die viel zu selten hinterfragt werden“, sagt Johannes Berentzen (43), Geschäftsführer der BBE Handelsberatung GmbH. Zudem lohne es sich, die Prozesse zu analysieren. Vieles werde „einfach immer schon so gemacht“ und nicht hinterfragt. „Doch Technologien, Marktanforderungen und Unternehmensstrukturen ändern sich permanent, sodass bestehende Abläufe dann nicht mehr passen oder zumindest nicht mehr effizient sind“, so Berentzen.
Auf allen Ebenen optimieren
In der Praxis kann das Optimieren folgendermaßen aussehen: Unternehmer Bensegger erhöhte beim Wareneinkauf die Bestellfrequenzen und reduzierte Lagermengen, um die Kapitalbindung zu senken und schneller auf Veränderungen bei Preisen und Nachfrage reagieren zu können. Mit seinen Lieferanten und Dienstleistern diskutiert er konsequent über bessere Konditionen, Nachlässe oder Kombinationsrabatte. Bei den Kundenbelieferungen achtet er auf optimierte Touren. Auflage und Umfang der Bensegger-Kataloge wurden um 50 Prozent reduziert. Rechnungsversand und Mahnwesen sind nahezu komplett digitalisiert. Ausgesprochen froh ist der Unternehmer darüber, dass er sein Betriebsgebäude in den vergangenen Jahren vom Dach über Fenster und Fassade bis hin zur Beleuchtung energetisch sanieren ließ: „Das hat mittlerweile durchaus einen spürbaren wirtschaftlichen Effekt.“
Selbst mit kleinen Maßnahmen lassen sich bei den Energiekosten schon beachtliche Einsparungen realisieren, bestätigt BBE-Experte Berentzen. Allerdings waren viele Händler hier bereits vor der Energiekrise gut aufgestellt.
Ebenfalls Potenzial sehen Berater bei Tätigkeitsanalysen: Werden die Mitarbeiter gemäß ihrer Qualifikation wirklich nur für sinnvolle Aufgaben eingesetzt? Muss ein guter Verkäufer die Hälfte seiner Arbeitszeit Ware einräumen? Wo gibt es Doppel- und Fehlleistungen?
Feines Gespür für faire Preise
Auch wenn der Handel derzeit von drei Seiten in die Zange genommen wird, nämlich von immer höheren Energie- und Lohnkosten, steigenden Herstellerpreisen sowie sinkenden verfügbaren Nettoeinkommen der Kunden, rät Berater Berentzen zu einer umsichtigen Preispolitik. „Der Begriff des fairen Verkaufspreises passt da ganz gut: Natürlich kann ein Händler gestiegene Kosten mit Augenmaß weitergeben. Überspannt er jedoch den Bogen, wird sich das in Form fehlender Umsätze rächen.“
Auch wenn das Preiswissen von Konsumenten in nahezu allen Sortimentsbereichen sehr schlecht sei, könnten die Kunden die Preise schließlich jederzeit mobil im Internet vergleichen. „Und sie haben oft ein gutes Gespür, ob etwas überzogen teuer oder eben noch fair ist“, so Berentzen.
Karin Wiedemann (49), Inhaberin des gleichnamigen Fachgeschäfts für Haushaltswaren in Waging am See, lässt sich nicht auf Preisschlachten ein. Sie verkauft ihr Sortiment grundsätzlich zu den unverbindlichen Verkaufspreisen der Hersteller. „Der Preis ist für mich kein Verkaufsinstrument“, betont sie. „Meine Kunden wissen, dass hochpreisige Haushaltswaren länger halten, und sind daher weniger preissensitiv.“ Das Weihnachtsgeschäft lief bei ihr folglich genauso gut wie in den Vorjahren, obwohl es 2022, so Wiedemann, „horrende Preiserhöhungen“ der Hersteller gab. Zum Teil gaben ihre Lieferanten bei Waren aus China die hohen Transportkosten sogar als separat ausgewiesene Frachtaufschläge weiter.
Regionale Trumpfkarte ausspielen
Möglichkeiten, Kosten einzusparen, sieht die Unternehmerin eher weniger: „Ich führe das Geschäft in vierter Generation und habe gelernt, sparsam zu wirtschaften.“ 2021 stellte sie auf LED-Beleuchtung um – eine kleine wirtschaftliche Stellschraube, die es ihr erlaubt, ihr Schaufenster ohne signifikante Mehrkosten weiterhin bis 22 Uhr zu beleuchten. „Dunkle Schaufenster finde ich trostlos.“ Ansonsten spart sie schon seit Jahren Energie: Im 85 Quadratmeter großen Laden ist das Thermostat im Winter auf 16 Grad eingestellt: „Für die Kunden ist das in Ordnung. Ich verkaufe ja schließlich keine Bekleidung, die anprobiert werden muss. Und ich selbst ziehe mich warm an“, sagt Wiedemann.
Ein probates Mittel gegen hohe Frachtkosten und Lieferengpässe zugleich ist für sie der Einkauf bei regionalen Nischenunternehmen. So bezieht sie unter anderem Duftkerzen, Ausstecher und Emailleprodukte bei Herstellern und Manufakturen aus der Umgebung. „Zur Not kann ich da selbst vorbeifahren und die Ware abholen“, sagt die Geschäftsfrau. Sie plant, künftig stärker auf kleinere Hersteller zu setzen – auch wenn deren Erzeugnisse vielleicht etwas teurer sind. „Durch Corona und die Lieferengpässe hat sich in der Wahrnehmung der Kunden wieder einiges zurechtgerückt“, beobachtet die Unternehmerin. „Immer nur billig, billig – das kommt gar nicht mehr so gut an.“
Experten-Interview: 4 Tipps für Einzelhändler
Worauf sollten mittelständische Händler in inflationären Zeiten besonders achten? Johannes Berentzen, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung, empfiehlt:
- Überprüfen und optimieren Sie regelmäßig das Sortiment. Derzeit können sehr energie- und transportintensive Produkte zu hohen Preissteigerungen führen. Auch die Nachhaltigkeit von Produkten kann ein wichtiger Aspekt bei einer Sortiments(um)gestaltung sein.
- Eine Straffung des Sortiments kann ebenfalls ein gangbarer Weg sein. Allerdings erhöht sich damit das Risiko, das auf dem einzelnen Artikel liegt. Mitunter steigt auch die Abhängigkeit von bestimmten Lieferanten.
- Beobachten Sie Ihre Märkte, analysieren Sie Ihre Verkaufsdaten und -trends, arbeiten Sie eng mit Ihren wichtigsten Lieferanten zusammen: Damit können Sie Lagerbestände, Abschriften und Fehlartikel (out of stock) reduzieren. Aber auch leistungsfähige Einkaufsprogramme verbessern die Prognosegenauigkeit.
- Günstigere Alternativprodukte einzukaufen, klingt verlockend, sollte jedoch nicht zulasten der Qualität gehen. Im Preiswettbewerb kann der mittelständische Einzelhandel nicht gewinnen.