Klimaschutz | Standortpolitik

Kapital, Kooperationen und die ersten Kunden

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München – Hotspot für junge Firmen der Kreislaufwirtschaft

In der bayerischen Landeshauptstadt entwickeln sich Start-ups mit Geschäftsmodellen aus der Kreislaufwirtschaft besonders gut. Was sie gedeihen lässt und welche Ziele sie verfolgen.

Von Gabriele Lüke, IHK-Magazin 03/2025

Ohne das Münchner Umfeld wäre die Radical Dot GmbH noch längst nicht so weit. Davon sind die Gründer Andreas Wagner und Alexandre Kremer überzeugt. Ihr Unternehmen hat ein chemisches Verfahren entwickelt, mit dem sich gemischte Plastikabfälle recyceln lassen – unendlich oft und ohne die Fraktionen vorher aufwendig trennen zu müssen. So soll Plastik viele Kreisläufe und Leben erhalten. „Start-ups, die wie wir einen Schwerpunkt auf die Kreislaufwirtschaft legen, haben in München besonders gute Bedingungen“, betonen die beiden Unternehmer. „Wir haben hier alles bekommen, was wir brauchten: Laborplätze, Kontakte, Finanzierung.“

In München sind zurzeit mehr als 70 Start-ups mit Ansätzen der Kreislaufwirtschaft tätig. So zeigt es die Start-up-Landkarte, die die Initiative CIRCULAR REPUBLIC gerade aktualisiert hat. Die Initiative gehört zur UnternehmerTUM GmbH, dem Innovations- und Gründungszentrum der Technischen Universität München (TUM). „In keiner anderen Stadt gibt es so viele Kreislauf-Start-ups wie hier; bis zum Ende des Jahres 2025 kommen geschätzt noch weitere 20 hinzu“, erläutert CIRCULAR-REPUBLIC-Mitgründer Matthias Ballweg.

Reduzieren, reparieren, recyceln

Bundesweit gibt es knapp 330 Start-ups aus dem Bereich Kreislaufwirtschaft, einem der aktivsten Gründungsfelder weltweit aktuell. Generell gilt Deutschland in dieser Branche als global führend. Die inhaltlichen Facetten der Gründungen sind vielfältig. Die Start-ups reduzieren den Materialeinsatz oder holen Wertstoffe zurück in den Kreislauf. Sie recyceln, reparieren und ermöglichen Produkten ein 2. Leben, sie bieten sie als Services oder zum Teilen an. So bleiben die Rohstoffe und Produkte länger im Kreislauf, es entstehen weniger Abfall und CO2.

IHK-Umweltexpertin Sabrina Schröpfer hält das für eine spannende Entwicklung: „Zu hohe Abhängigkeiten von einzelnen Ländern in der Rohstoffbeschaffung, komplizierte Lieferketten, die Forderungen der europäischen Regulatorik zur Nachhaltigkeit, die Klimaziele – die Kreislaufwirtschaft bietet hier ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Antworten.“

„Sich selbst verstärkendes System“

Was gerade München in der Kreislaufwirtschaft zum Vorreiter macht? „Das hiesige Innovationsökosystem ist durchweg gut aufgestellt, bringt alle nötigen Akteure mit – die zudem die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft erkannt haben“, erklärt IHK-Experte Bernhard Eichiner. Er nennt zunächst die Hochschulen und ihre Gründungs- und Innovationszentren: etwa UnternehmerTUM oder das Strascheg Center for Entrepreneurship. Auch die starke Industrie in München und Oberbayern ist ein Trumpf.

Zudem fördert die Stadt München Kreislaufansätze – unter anderem als Lead-Partner des EU-Programms „Let’s go circular“. Es entstehen immer wieder Pilotprojekte. Nicht zuletzt gibt es Initiativen wie Circular Munich e.V., Munich Innovation Ecosystem GmbH, rehab republic e.V., Netzwerke und Veranstaltungen. „Das spricht sich herum, holt weitere, auch viele internationale Talente, Gründer und Initiativen nach: ein sich selbst verstärkendes System“, so Eichiner.

Top-Standort für Risikokapital

Im Übrigen gibt es auch genug Geld: Unter Investoren gilt die Kreislaufwirtschaft als Megatrend. Entsprechend viel Risikokapital fließt in Münchner Start-ups. In den vergangenen Jahren waren es mehr als 700 Millionen Euro – Tendenz steigend. Aktiv sind verschiedene Venture-Capital-Gesellschaften und internationale Geldgeber ebenso wie hiesige Investoren.

Zugleich entstehen neue Finanzierungsangebote, wie zum Beispiel die better ventures GmbH. Das Unternehmen hat sich auf Investitionen in Impact-getriebene Start-ups spezialisiert. Auch einige in München angesiedelte Konzerne haben Budgets für Kreislaufinnovationen aufgelegt.

Exzellente Hochschul-Infrastruktur

UnternehmerTUM und ihre Initiative CIRCULAR REPUBLIC zeigen, welch eine wichtige Rolle speziell Gründer- und Innovationszentren spielen. „Die Kreislaufwirtschaft ist mehr denn je strategisch relevant, sie sichert die Zukunft der Wirtschaft“, sagt Ballweg. Er sieht mehrere Hebel, die die Zentren den Start-ups bieten können: Über die Hochschulinfrastruktur entsteht Zugang zu ansonsten teuren Laboren, Apparaturen, Rechnerkapazitäten. Eigene Inkubator- und Accelerator-Programme ermöglichen Beratung, erste Finanzspritzen und vor allem Kontakte.

Die Start-ups lernen hilfreiche Ansprechpartner aus Wissenschaft, Wirtschaft und VC-Gesellschaften kennen und werden sichtbar. Das führt zu mehr Kapital, Kooperationen und ersten Kunden. „All das macht den Einstieg für die Start-ups leichter und schneller. Und die kooperierenden Bestandsunternehmen innovativer und zukunftsfähiger“, sagt Ballweg. „Es sind immer Win-win-Situationen.“

Großes Pfund: Netzwerke

Vernetzung und Unterstützung entstehen zudem aus der Start-up-Szene selbst. Etwa in dem 2020 gegründeten Verein „Startups for Tomorrow“. Hier haben sich verschiedene Impact-Unternehmen zusammengeschlossen. Darunter sind Firmen wie der Hersteller von Reinigungs- und Körperpflegeprodukten everdrop GmbH oder die reCup GmbH, die ein Mehrwegsystem für To-go-Becher etabliert hat.

Die gemeinsame Mission: „Impact und Profitabilität schließen sich nicht aus. Unsere Mitgliedsunternehmen setzen sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen für eine bessere Welt ein und bauen zugleich profitable Unternehmen auf“, sagt Constantin Schmutzler von „Startups for Tomorrow“. Die Mitglieder tauschen sich aus, sie kaufen Dienstleistungen, Produkte oder Werbung gemeinsam ein. Zugleich verstehen sie sich als Aktivisten für eine bessere Welt. Schmutzler: „Nicht zuletzt wollen wir mit unserem SFT Festival den Impact und die Vernetzung weiter steigern, neue Mitglieder gewinnen.“

Partner aus dem Mittelstand

Vernetzung ist auch das Schlüsselwort für die Protegg GmbH in München. Das Unternehmen trennt die Schalen und Membranen von aufgeschlagenen Eiern, bereitet sie zu feinstem Kalk und Bioplastik auf. Der Kalk kann beispielsweise in der Farben- oder Bauindustrie, das Bioplastik als Trägermaterial für Sensoren oder Samen eingesetzt werden. „Bioplastik aus Membranen ist unsere Erfindung, wir halten das Patent“, sagt Markus Johanning stolz. Er hat Protegg gemeinsam mit Fabian Hütter gegründet.

Nach erster Unterstützung durch das Gründerzentrum Hafen Straubing-Sand wurde Protegg Teil des CIRCULAR-REPUBLIC-Netzwerks, nahm dort an einem Accelerator-Programm teil und fand schließlich einen mittelständischen Maschinenbauer als Kooperationspartner. Mit ihm baut das Start-up nun die erste Industrieanlage zur Trennung von Schalen und Membranen.

Chancen für Bestandsunternehmen

„Aktuell fallen allein in Deutschland 55.000 Tonnen Eierschalen pro Jahr an – das ist eine Größe, die sich lohnt“, sagt Johanning. Er freut sich über die weitere Dynamik, die der Ansatz bringt: „Eierverarbeiter können mehr in Richtung Kreislaufwirtschaft agieren. Die Wertschöpfungsketten werden nachhaltiger. Unser Partner profitiert von einem neuen Markt. Das Münchner Netzwerk hat das alles mit auf den Weg gebracht.“

Nochmals zu Radical Dot und seiner Plastik-Recycling-Technologie. Hier steht ein entscheidender Schritt an: Finanziert durch Business Angels, will das junge Unternehmen jetzt mit einer Pilotanlage durchstarten. „Damit können wir belegen, dass unser Konzept nicht nur im Gramm-, sondern auch kontinuierlich im Kilogrammbereich funktioniert und sich rechnet. Dies ebnet den Weg in Richtung Tonnenbereich“, erläutert Co-Gründer Wagner.

Erfahrene Ingenieure gesucht

„Deutlich unter 20 Prozent der Plastikabfälle werden in Deutschland aktuell recycelt. Mit unserem Verfahren lassen sich substanzielle Mengen an neuem Plastik aus Altplastik gewinnen, Rohöl und CO2 sparen. Erste Kunden zeigen bereits Interesse.“ Wagner ergänzt: „Was uns für die Zukunft dann noch fehlt, sind weitere erfahrene Chemie-Ingenieure. Aber die werden wir über das Münchner Netzwerk sicher auch noch finden.“

Nur zu 8% mit integrierter KI

Trotz aller Erfolge – an einigen Stellen kann die Kreislauf-Gründungsszene durchaus noch nachlegen. „Wichtig wäre, dass mehr Start-ups KI und Kreislaufwirtschaft zusammenbringen. Das sind bislang nur acht Prozent“, so CIRCULAR-REPUBLIC-Mitgründer Ballweg. Zudem liege der Investitionsschwerpunkt aktuell auf Rohstoffreduktion. „Ideen, die die Lebensdauer von Produkten verlängern wollen, verzeichnen hingegen eine Finanzierungslücke. Das EU-Recht auf Reparatur dürfte hier aber wohl für neuen Schwung sorgen“, erwartet er.

Wachstumsfinanzierung sichern

IHK-Experte Eichiner wünscht sich noch mehr Beteiligung des Mittelstands: „Sein Know-how und die disruptiven Ansätze der Start-ups können sich gut ergänzen.“ Des weiteren gebe es Nachholbedarf bei der Folgefinanzierung wachstumsstarker Start-ups. Eichiner: „Das gilt aber für ganz Deutschland.“

IHK-Info zur Kreislaufwirtschaft

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