Einzigartige Stücke

Bayerischer Kunstgewerbeverein ©
Blieb ohne Publikum – die Ausstellung mit exzentrischem Schmuck aus Japan fiel in den Lockdown

In dem 1851 gegründeten Bayerischen Kunstgewerbeverein finden Künstler auch heute noch eine Heimat. Aber die Kundschaft verändert sich.

Cornelia Knust, Ausgabe 05/2021

»Invisible Thread«, unsichtbarer Faden, hieß die Ausstellung der drei japanischen Schmuckkünstlerinnen. Sie wurde im Coronawinter auf- und wieder abgebaut, ohne dass jemand sie zu Gesicht bekommen hätte. Die Haikus blieben ungelesen, die exzentrischen Arbeiten ungesehen. Nur von außen, durch die großen Schaufensterscheiben in der Münchner Pacellistraße beim Promenadeplatz, durfte man sie betrachten. Denn der Bayerische Kunstgewerbeverein – Ausstellungsfläche und Laden – war wegen Corona geschlossen. So wie die restlichen Geschäfte und Galerien im Land.

Den unsichtbaren Faden zur eigenen Klientel will der Verein, der heuer 170 Jahre alt wird, jetzt unbedingt fester spinnen. Zwar sind nach wie vor 400 Kunsthandwerker Mitglied, die Gewerke Glas, Silbergerät, Holz, Keramik, Papier, Textil und vor allem Schmuck sind breit vertreten. Doch das Umfeld hat sich gewandelt. Die Unikate, die den Laden in der Pacellistraße füllen, müssen nun neben industrieller Massenware bestehen.

»Den Menschen fehlt es heute oft am Verständnis für den Wert der Handwerkskunst und manchmal auch einfach am guten Geschmack«, meint Thomas Raff, früher Professor für Kunstgeschichte in Augsburg und seit zehn Jahren Vorsitzender des Bayerischen Kunstgewerbevereins (BKV). »Die Konsumenten schauen heute auf Firmennamen, auf Marken, die Status vermitteln«, ergänzt Vereinsgeschäftsführerin Monika Fahn. »Das können wir nicht bieten. Bei uns braucht man Mut zur Individualität.«

Dinge selbst kaufen, auf der ganzen Welt

Der Mensch sei mobiler geworden, kaufe seine schönen Dinge inzwischen selbst auf der ganzen Welt. Sogar das Wohnen sei immer in Bewegung und habe wenig mit der Gründung eines Hausstands zu tun, für den schöne Sachen anzuschaffen wären, stellt Fahn fest. Jungen Leuten fehle es überdies in ihrer ständigen Aktivität und Vernetzung oft an Zeit und auch an Geld für die Beschäftigung mit künstlerisch wertvollen Dingen.

Acht Wechselausstellungen im Jahresverlauf

So ist der gewachsene Kundenstamm des BKV eher fortgeschritteneren Alters. Doch wenn die Innenstädte nicht langsam wieder lebendig werden, kommen auch diese Kunden nicht mehr so oft vorbei, fürchtet Geschäftsführerin Fahn. Sie ist ambitioniert auf Instagram und Facebook unterwegs und organisiert pro Jahr acht Wechselausstellungen, um die Menschen zu begeistern. Doch das Kunsthandwerk, so sagt sie, erreiche immer weniger Bevölkerungsschichten.

»Dinge mit Bedeutung« plus Storytelling

Nicole Schuster (39), Schmuckkünstlerin mit Wohnzimmer-Werkstatt in München-Obergiesing, ist da weit optimistischer. Sie kennt die aufgeregte Diskussion, dass dringend neue Sammler gebraucht würden. Ebenso denkt sie, dass angesichts der Produkt- und Bilderflut in Werbung und Medien kaum jemand hinterfrage, wo die Dinge herkommen und wie sie gemacht worden sind. »Aber das wandelt sich gerade«, meint Schuster. »Leute ab 30 interessieren sich wieder für Handgemachtes, Dauerhaftes, Einzigartiges, für Dinge mit Bedeutung.«

Man müsse eben eine Geschichte erzählen, zeigen, was das Besondere ist, wie der Fertigungsprozess verläuft, so Schuster. Es komme auf gute Fotos und einen digitalen Auftritt an. Aber das Haptische sei eben auch wichtig. Trotz der Durststrecke durch die Pandemie plant Schuster für dieses Jahr eine Werkstatt mit Laden im Viertel anzumieten.

Sich verbinden und die Jugend fördern

Die Schmuckkünstlerin hält den BKV für eine sehr gute Plattform, um gesehen zu werden und hin und wieder etwas zu verkaufen. Der Verein ist international bekannt und renommiert. Gerade der BKV-Preis für junges Kunsthandwerk, der im Frühjahr wieder verliehen worden ist, sei eine gute Sache für Kunsthandwerker unter 35, um sich zu zeigen, findet Schuster. Sie ist seit 2012 Mitglied im Verein, hatte zuvor schon mehrere Galerien im In- und Ausland an der Hand, hat auf Messen ausgestellt, länger im Ausland gelebt. »Zurück in München, wollte ich mich verbinden, dazugehören.«

Sich verbinden, die Jugend fördern – das war auch der Gründungsgedanke des Vereins. Damals auf der Weltausstellung im Londoner Kristallpalast 1851 sahen sich die Handwerksbetriebe unvermutet mit der industriellen Konkurrenz konfrontiert, schreibt der Kunsthistoriker Christoph Hölz in einer Jubiläumsschrift des BKV. Außerdem wurde dem deutschen Kunstgewerbe klar, dass der Nachbar Frankreich in Sachen Qualität und Verarbeitung weit voraus war, weil es dort entsprechende Ausbildungs- und Lehranstalten gab. Kunstgewerbeschulen und Fördervereine wuchsen daraufhin auch hierzulande.

Die Gründerzeit mit der Stilrichtung des Historismus führte das Kunsthandwerk dann zu neuer Blüte. Es lieferte die Erzeugnisse, die den individuellen Geschmack einer bürgerlichen, zumeist elitären Klientel befriedigten, so Hölz. Lange galt das Mittelalter als großes Vorbild. Erst um 1900 begann der Bruch mit der Rückbesinnung auf historische Formen. Die Moderne zog langsam und mit Unterbrechungen auch im BKV ein.

Vom Bildungsbürger bis zum deutschen Kaiser

Der 1851 gegründete Bayerische Kunstgewerbeverein war nicht irgendein berufsständischer Zusammenschluss, erzählt Vereinschef Raff: »Er stand in der Mitte der Gesellschaft. Jeder konnte Mitglied werden, das Bildungsbürgertum, das Geldbürgertum, Mitglieder der bayerischen Königsfamilie, sogar der deutsche Kaiser war dabei.« Zeitweise zählte der Verein mehr als 2.000 Mitglieder. Die Einnahmen aus großen Ausstellungen, etwa im Münchner Glaspalast, erlaubten den Kauf eines Grundstücks in der damaligen Pfandhausstraße (heute Pacellistraße), das mit einem prächtigen Neorennaissance-Gebäude bebaut und ab 1878 zum Treffpunkt der besseren Gesellschaft wurde.

Das Haus wurde zwar im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört, doch danach von der Stadt München neu errichtet. In den 1970er-Jahren kaufte der BKV das Gebäude zurück (20 Prozent übernahm die Erzdiözese) und finanziert sich seitdem solide aus der Vermietung der Büroetagen, wie Raff erzählt. Vielleicht schafft er es, aus den Werken all der begabten Individualisten eine starke Marke zu kreieren und den unsichtbaren Faden zum Publikum neu und fester zu knüpfen.

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