Kontinent mit Perspektive

Reich an Energie und Rohstoffen – Lateinamerika ist für bayerische Unternehmen als Beschaffungsmarkt ebenso interessant wie als Exportziel.
Von Mechthilde Gruber, IHK-Magazin 04/2023
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist Deutschland darum bemüht, die Abhängigkeit von einzelnen Ländern zu reduzieren und die internationalen Beziehungen breiter aufzustellen. Dabei könnte auch Lateinamerika eine wichtige Rolle spielen. Erst Anfang des Jahres reiste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit einer großen Wirtschaftsdelegation in die Region. „Das Interesse an Lateinamerika ist in den letzten Monaten deutlich gestiegen", sagt Jessica de Pleitez, Referentin Europa, Lateinamerika bei der IHK für München und Oberbayern: „Für bayerische Unternehmen gibt es hier viele Chancen, das wurde lange vernachlässigt."
Attraktiv sind Länder wie Kolumbien, Brasilien oder Chile nicht nur wegen ihrer positiven wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch wegen der im Vergleich zu anderen Ländern in der Region stabileren demokratischen Regierungssysteme.
Begehrte Rohstoffe: Kupfer und Lithium
Lateinamerika zählt zu den wichtigsten Bergbauregionen der Erde und ist deshalb als Beschaffungsmarkt besonders interessant. Weltweit begehrt sind vor allem strategische Rohstoffe wie Kupfer und Lithium, die eine wichtige Rolle bei der Energiewende und der E-Mobilität spielen. Chile, Brasilien und Argentinien könnten hier bedeutende Lieferanten werden. Ein Großteil der Rohstoffe wird aber noch nicht professionell abgebaut, die notwendige Infrastruktur dafür fehlt. Bayerische Firmen können hier zum Aufbau lokaler Wertschöpfungsketten beitragen.
„Firmen müssen sich je nach Rohstoff informieren, welches Land für sie die besten Bedingungen bietet", sagt IHK-Expertin de Pleitez. „Die Regulierungsmaßnahmen der Regierungen sind sehr unterschiedlich." Die Energiekompetenzzentren der Auslandshandelskammern (AHKs) in Brasilien und in Chile sind dabei für deutsche Firmen kompetente Ratgeber.
Kooperationen in vielen Sektoren möglich
Die lateinamerikanischen Länder sind ebenfalls reich an erneuerbaren Energien und haben deshalb enormes Potenzial zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. Hier sind schon jetzt viele deutsche Firmen am Aufbau von Produktionsanlagen beteiligt. Kooperationsmöglichkeiten gibt es zudem in zahlreichen anderen Sektoren, zum Beispiel in der Landwirtschaft oder bei der Modernisierung der Wasserwirtschaft. Besonders beim Infrastrukturausbau besteht in den meisten Ländern Handlungsbedarf.
Seit der Wahl Luiz Inácio Lula da Silvas zum Präsidenten ist für viele Brasilien, das wirtschaftsstärkste Land Südamerikas, wieder interessanter geworden. Angesichts der geopolitischen Verschiebungen kann Brasilien eine neue Rolle in der globalen Wirtschaft spielen, ist Claudia Bärmann Bernard, Repräsentantin des Freistaats Bayern in Brasilien, überzeugt: „Das Land ist für die strategischen Interessen Deutschlands der ideale Partner."
Mehr als 80 Prozent seines Stroms produziert Brasilien mit erneuerbaren Energien und ist damit prädestiniert als Weltlieferant für grünen Wasserstoff. „Ein Thema von besonderer Bedeutung auch in Bayern", sagt Bärmann Bernard. Bereits heute ist Deutschland der größte europäische Wirtschaftspartner Brasiliens.
Brasilien: breite Industriestruktur, viele Bodenschätze, junge Konsumenten
Neben dem mit 214 Millionen Einwohnern großen Inlandsmarkt besitzt Brasilien eine breite und diversifizierte Industriestruktur, eine Vielzahl von Bodenschätzen und erneuerbaren Energiequellen, ein vorteilhaftes Klima und dazu eine junge, konsumfreudige Bevölkerung. Das Land ist deshalb sowohl als Beschaffungs- als auch als Absatzmarkt interessant.
Die Chancen für bayerische Firmen sind vielfältig, bestätigt Alessandro Colucci, Leiter Markteintritt und Business Development bei der AHK Brasilien: „In Sachen Export gilt nach wie vor die große Strahlkraft von Made in Germany, verbunden mit dem damit einhergehenden Qualitätsversprechen." Besonders im Agrarsektor seien deutsche Technologien gefragt. „Hier sehen wir eine Nachfrage nach Lösungen für eine effizientere Landwirtschaft, die den Wasserverbrauch reduziert und einen sparsamen Einsatz von Düngemitteln und sonstigen Agrarchemikalien ermöglicht", so Colucci.
Markteinstieg sehr gründlich vorbereiten
Hiesige Firmen müssen allerdings mit starker Konkurrenz aus China und den USA rechnen. „Bayerische Unternehmen könnten die Märkte in Lateinamerika wesentlich einfacher bearbeiten, wenn das EU-Mercosur-Abkommen sowie die modernisierten Freihandelsabkommen mit Chile und Mexiko schnellstmöglich ratifiziert würden“, so IHK-Expertin de Pleitez.
Firmen, die sich in Südamerika engagieren wollen, sollten berücksichtigen, dass nur gründliche Planung und Vorbereitung zum Erfolg führen. „Dabei erfordern auch die geografische Ausdehnung und die Unterschiede der einzelnen Regionen besondere Aufmerksamkeit“, sagt Bayern-Repräsentantin Claudia Bärmann Bernard. Bei den AHKs und den bayerischen Repräsentanzen finden Unternehmer kompetente Ansprechpartner und praktische Unterstützung. Beste Gelegenheit, sich bei Länderexperten über individuelle Möglichkeiten zu informieren, bietet das Lateinamerika-Forum am 4. Mai 2023.
Bayerische Solartechnologie für Chile
2013 entschied sich die Grammer Solar GmbH für den Auslandsstandort Chile und eröffnete 2014 dort eine Niederlassung. „Meiner Frau, von Beruf Lehrerin, bot sich damals die Gelegenheit für ein Auslandsjahr", erklärt Siegfried Schröpf (62), Geschäftsführer des Amberger Systemanbieters für Solaranlagen. „So haben wir beide nach einem Land in Südamerika gesucht, in dem wir unsere beruflichen Interessen gut verbinden konnten."
Die beste Schnittmenge bot Chile. „Das Land ist wirtschaftlich stabil und sicher", so Schröpf. „Mit seiner hohen Sonneneinstrahlung gibt es dort für Photovoltaik beste Voraussetzungen."
Über erste Aufträge gelang ein guter Einstieg: Grammer Solar stattete eine deutsche Schule mit der damals größten Photovoltaikanlage Südchiles aus, ebenso das Menschenrechtsmuseum in Santiago. „Extrem hilfreich war dabei die Unterstützung der AHK Chile", sagt Schröpf. „Auf einer von der Kammer organisierten Geschäftsreise konnte ich viele nützliche Kontakte knüpfen, wichtige Ansprechpartner bei Unternehmen kennenlernen." Bei weiteren Reisen und Veranstaltungen der AHK hat sich der Unternehmer ein breites Netzwerk aufgebaut.
Bürokratie erfordert Geduld
Die Geschäfte in Chile laufen für die bayerische Solarfirma jetzt sehr gut. Das war nicht immer so. Geduld mitbringen und durchhalten wollen, das ist für Schröpf deshalb eine wesentliche Voraussetzung, um in Chile erfolgreich zu sein. Die Bürokratie in dem Land trage ihren Teil dazu bei, dass alles seine Zeit brauche: „Lange Wartezeiten in Schlangen – das kann nervtötend sein."
Seine einjährige Anwesenheit vor Ort zu Beginn des Engagements sei ein wichtiger Faktor für den guten Einstieg gewesen, betont der Unternehmer. Seither ist er mehrmals im Jahr in Santiago und plant gerade wieder eine Reise. Mit dem bisher Erreichten ist Schröpf zufrieden: „Ich bin zuversichtlich, dass es für uns in Chile künftig noch besser laufen wird."
IHK-Veranstaltungstipps
Lateinamerika-Forum Bayern 2023
Absatz, Sourcing, Investment und Innovation stehen bei der Netzwerk- und Informationsveranstaltung im Mittelpunkt. In Vorträgen werden Trends und Entwicklungen in der Region beleuchtet. Für individuelle Beratungsgespräche stehen Spezialisten der deutschen Auslandshandelskammern persönlich und digital zur Verfügung. Eine Fachausstellung informiert zu Dienstleistungen im Lateinamerika-Geschäft.
Termin: 4. Mai 2023
Ort: Haus der Wirtschaft, Hauptmarkt 25/27, 90403 Nürnberg
Anmeldung und Information zum Lateinamerika-Forum-Bayern 2023.Sprechtag Brasilien
Wie ist die aktuelle Situation in Brasilien? Welche Perspektiven bieten sich dort für bayerische Firmen? Claudia Bärmann Bernard, Repräsentantin des Freistaats Bayern in Brasilien, berät und informiert persönlich interessierte Unternehmen. Die Beratungen finden in 45-minütigen Einzelgesprächen statt.
Termin: 26. Mai 2023
Ort: IHK für München und Oberbayern, Max-Joseph-Str. 2, 80333 München
Anmeldung zum IHK-Sprechtag Brasilien.