Standortpolitik

Gemüse aus der Wüste

Foto: BayWa AG ©
BayWa-Projekt – Klimagewächshaus für Tomaten in den Vereinigten Arabischen Emiraten

Die Weltbevölkerung wächst, die Urbanisierung nimmt zu, gleichzeitig erfordern Klimawandel und Bodenerosion ein Umdenken. Wie können neue Technologien helfen, die Lebensmittelversorgung von morgen zu sichern?

Eva Müller-Tauber, Ausgabe 04/20

Wenn Maximilian Lössl zum Kochen frische Kräuter braucht, geht der Gründer des Start-ups Agrilution Systems GmbH nicht gleich zum nächsten Gemüseladen, sondern checkt erst einmal sein Handy. Dort verrät dem 31-Jährigen die Agrilution-App, welche der essbaren Pflanzen in den »Plantcubes« in seiner Küche gerade reif sind. Diese »Pflanzenwürfel« sehen aus wie Kühlschränke mit Glastür in Singlehaushaltsgröße. Tatsächlich handelt es sich aber um smarte Minigewächshäuser. Auf zwei herausziehbaren Ebenen finden sich bis zu je vier Saatmatten, auf denen Salate und Kräuter in einem sogenannten hydroponischen System wachsen. Das bedeutet: Die Wurzeln nehmen Nährstoffe und Wasser nicht aus der Erde, sondern aus einer flüssigen Nährlösung auf. Temperatur, Klima, Bewässerung sowie Intensität und Beleuchtungsdauer des speziellen LED-Lichts stimmt das Gerät auf jede Pflanze ab. Sogar die Nährstoffkonzentration der Gewächse lässt sich erhöhen, indem Umgebungsfaktoren – etwa die Lichtintensität – verändert werden. Jahrelang arbeitete Lössl mit seinem Freund und Kollegen Philipp Wagner (30) an dieser smarten Lösung – unterstützt von einem rund 20-köpfigen Team aus Pflanzenwissenschaftlern, Elektrotechnikern und Softwareentwicklern. Seit 2019 auf dem Markt, ist der Plantcube wegen seines Preises im vierstelligen Bereich noch ein Luxusprodukt. Mittelfristig will Agrilution das Minigewächshaus aber für die breite Masse erschwinglich machen. »Gerade in Städten hat nicht jeder die Möglichkeit, Gemüse, Salat und Kräuter im eigenen Garten anzubauen – und im Zuge der zunehmenden Urbanisierung wird das noch schwieriger werden«, so Lössl. »Wir müssen daher neue Möglichkeiten ausloten, wie wir anders produzieren können, um möglichst viele Menschen mit gesunden Lebensmitteln versorgen zu können.«

Geeigneter Boden wird knapper

Tatsächlich ist die Versorgung der Menschen gerade mit vitamin- und mineralstoffreichen Lebensmitteln eine Herausforderung: Die Weltbevölkerung nimmt weiter zu – laut UN soll sie von jetzt 7,7 Milliarden auf voraussichtlich 9,7 Milliarden Menschen im Jahr 2050 anwachsen. Gleichzeitig wird intakter Boden, der zu landwirtschaftlicher Nutzung taugt, knapper. Und der Klimawandel erfordert, dass zum Beispiel wieder mehr vor Ort produziert wird, um Transportwege zu verkürzen. »In diesem Zusammenhang bieten neue Technologien und Ansätze wie Vertical Farming, bei dem die Landwirtschaft in die Städte beziehungsweise Hochhäuser geholt wird und wie beim Plantcube in Regalsystemen übereinander erfolgt, enormes Potenzial«, sagt IHK-Innovationsreferent Urs Weber. Und das sind bei Weitem nicht die einzigen innovativen Ideen für die Nahrungsmittelversorgung der Zukunft. »Ein eindrucksvolles Beispiel für die technologischen Möglichkeiten liefern Hightech-Gewächshäuser, in denen auch unter extremen klimatischen Bedingungen Obst und Gemüse gedeihen« ergänzt Anita Schütz, IHK-Referentin für Lebensmittelsicherheit und Umweltmanagement. So gelang es dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), sogar in der Antarktis Pflanzen zu ziehen. Ein Jahr lang betrieb das DLR in zwei umgebauten Schiffscontainern ein System in hydroponischem Anbau. Die Pflanzen produzierten Nahrung und Sauerstoff, bauten Kohlendioxid ab, recycelten Wasser. Sie wurden regelmäßig mit Wasser und Nährstoffen angesprüht und mit künstlichem Licht aus LED-Lampen versorgt. Das komplette Klima ließ sich automatisch steuern. »Ich habe über 270 Kilogramm Gemüse geerntet. Der Großteil davon waren Salate und Blattgemüse, gefolgt von Gurken und Tomaten«, sagt DLR-Ingenieur Paul Zabel, der in dem Gewächshaus forschte. Wenngleich das DLR vor allem Informationen für eine künftige Gemüsezucht auf Mond und Mars gewinnen wollte, zeigt dieses Projekt auch, was es braucht, um auf der Erde in extremer Kälte ganzjährig frische Lebensmittel anzubauen.

Günstigere Versorgung

Gelingt es, Pflanzen in unwirtlichen Gegenden anzubauen, kann die Versorgung mit Nahrungsmitteln dort günstiger, umweltschonender und effizienter erfolgen. Das zeigt ein Projekt der BayWa AG, die in der Wüste in Al Ain in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine zehn Hektar große Anlage mit zwei Klimagewächshäusern betreibt und dort Tomaten anbaut. »Klimagewächshäuser bieten vor allem Ländern, die wie die VAE auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind, die Chance, vor Ort für den heimischen Markt zu produzieren – was aufgrund der anspruchsvollen Umgebung sonst nicht möglich wäre«, sagt BayWa-Vorstand Klaus Josef Lutz (62). Diese Produkte könnten zu einem deutlich günstigeren Preis angeboten werden als Importware. Zudem habe »local for local« weitere Vorteile. »Wir reduzieren damit nicht nur Transportwege und somit CO₂-Emissionen, sondern auch Qualitäts- und Frischeverluste«, erklärt Lutz. In Klimagewächshäusern würden die Pflanzen unter optimalen, kontrollierten Umgebungsbedingungen kultiviert und automatisch mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Nicht verwendetes Bewässerungswasser wird aufgefangen, aufbereitet, wiederverwertet. Damit sei die Produktion sehr viel effizienter und ressourcenschonender als im Freiland. Auch außerhalb von Gewächshäusern bieten sich neue Technologien an. Die BayWa offeriert biologische Schädlingsbekämpfung mithilfe von Drohnen: Um den Maiszünsler unschädlich zu machen, werfen Flugroboter zahlreiche Eier seines natürlichen Feindes, der Schlupfwespe, in den Maisfeldern ab. Landwirte profitieren auch von der Raumfahrt: Satelliten erfassen Daten etwa zu Blattfläche, Chlorophyllgehalt oder Bodenfeuchte. Diese werden in sogenannte Talking-Fields-Basiskarten übersetzt, die die Grundlage für Precision Farming bilden, also die ortsdifferenzierte und zielgerichtete Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen. Auf Grundlage der Satellitendaten lassen sich Dünger- und Wassermengen genau an die Bodenverhältnisse und den Pflanzenbedarf anpassen. »Das verhindert sowohl eine Unterversorgung, die zu Ertragseinbußen führen kann, als auch eine Überversorgung, die unnötig Ressourcen kostet und die Umwelt negativ beeinflusst«, so BayWa-Chef Lutz. Die Digitalisierung ließe sich noch weiter vorantreiben. So könnten autonome Agrarroboter mechanisch und damit chemiefrei Unkraut jäten oder Spargel ernten. »Doch obgleich die Technik hier schon weit fortgeschritten ist, gibt es rechtliche Unsicherheiten«, sagt Markus Gandorfer. Er leitet die Arbeitsgruppe Digital Farming am Institut für Landtechnik und Tierhaltung der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. »Autonome Roboter dürfen an sich nicht alleine fahren, man müsste sie einzäunen oder beaufsichtigen«, erklärt er. »Denn wer haftet, wenn etwas passiert?« Digitale Lösungen verlangen zudem, Betriebsdaten preiszugeben beziehungsweise zu teilen. Dies sei ein Problem, das die Digitalisierung in der Landwirtschaft bremse, so Gandorfer. Landwirte fürchteten zunehmend um ihre Datenhoheit. »Daher ist auch hier ein entsprechender Rahmen nötig«, sagt der Experte. Manchmal verzögern auch Schnittstellenprobleme bei den eingesetzten Systemen den Einsatz digitaler Technologien. Gandorfers Fazit: »Das Interesse von Landwirten an digitalen Technologien ist generell vorhanden, der Markt ist da, aber wir brauchen Geduld. Bis ein technologischer Umschwung erfolgt, das dauert, bis dahin müssen wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten.«

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