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Brummi-Fahrer im Reformstau

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Alles besetzt – Lkw-Fahrer vermissen ausreichende Standplätze

Ohne sie gibt es keine stabilen Lieferketten: Lkw-Fahrer werden von Logistikunternehmen immer dringender gesucht. Wie lässt sich dieser unterschätzte Beruf wieder attraktiver machen?

STEFAN BOTTLER, Ausgabe 04/2022

Viele Lkw-Touren mit Molkereiprodukten für Italien startet Tobias Sütterlin (31) mitten in der Nacht. Wenn der Berufskraftfahrer aus Neuburg an der Donau möglichst schnell über den Brenner fahren will, ohne von Nachtfahrverboten und Blockabfertigungen an der Inntal-Autobahn aufgehalten zu werden, muss er um ein oder zwei Uhr nachts laden. Vor manchen Fahrten verabschiedet er sich gleich für mehrere Wochen von seiner Frau, die ebenfalls Berufskraftfahrerin ist. Solche Erfahrungen haben Sütterlins Begeisterung für seinen Beruf bislang keinen Abbruch getan.

Mehr Respekt nötig

Wenn er jedoch an der Rampe lädt, erlebt er häufig wenig Erfreuliches. »Viele Unternehmen behandeln Lkw-Fahrer völlig respektlos«, klagt er. Regelmäßig muss er stundenlang auf Ladetermine warten oder soll unbezahlte Zusatzarbeiten verrichten. Andere Fahrer berichten, dass sie nicht einmal eine Toilette aufsuchen dürfen. »Wir Trucker müssen auf mehr Respekt für unseren Beruf bestehen«, betont Sütterlin.

Solche Äußerungen stoßen gerade in der Pandemie auf wachsende Resonanz. Die Schlagzeilen über drohende Lieferengpässe haben offenbar zahlreiche Verlader hellhörig gemacht. »Viele Fahrer wünschen sich ein grundsätzlich positives Image des Berufskraftfahrers, das ihrer Bedeutung für die Aufrechterhaltung von Supply Chains entspricht«, bestätigt Henning Mack (59), bayerischer Hauptniederlassungsleiter der Kühne+Nagel AG und seit Juli 2021 Präsident des Landesverbands Bayerischer Spediteure (LBS).

Rund 80.000 fehlende Berufskraftfahrer

Für Mack ist geringe Wertschätzung eine Hauptursache für den grassierenden Fahrermangel, der längst nicht mehr mit ausländischen Arbeitskräften überbrückt werden kann. Rund 80.000 Berufskraftfahrer fehlen in Deutschland, Tendenz steigend. Jedes Jahr gehen bis zu 30.000 Fahrer in Rente, höchstens 17.000 rücken nach.

Die meisten Berufskraftfahrer steigen über die Grundqualifikation oder die beschleunigte Grundqualifikation ein. Wer mit einem neuen Führerschein der Klasse C gewerbliche Lkw-Verkehre fahren will, muss sich erfolgreich einer solchen Prüfung stellen. Sie hat wirtschaftliches Fahren, Fahrzeugtechnik, Verkehrssicherheit und Sozialvorschriften zum Gegenstand und muss alle fünf Jahre durch eine Weiterbildung aufgefrischt werden.

»An vielen Stellschrauben drehen«

Mit größerer Wertschätzung allein ist es natürlich nicht getan. »Wer den Beruf des Lkw-Fahrers aufwerten will, muss an vielen Stellschrauben drehen«, sagt Thomas Stöhr, Abteilungsleiter berufliche Fortbildung, Fachkräfte bei der IHK für München und Oberbayern. Das mögliche Spektrum reicht von Reformen des nationalen Berufskraftfahrer und Führerscheinrechts über eine Verbesserung der Infrastruktur sowie gezielte Förderung der Fahrer selbst bis hin zur Überarbeitung der aktuellen Prüfungen.

»Auch die EU ist gefordert«, sagt Stöhr. Viele Mitgliedstaaten erkennen Führerscheine und Führerscheinprüfungen aus Nicht-EU-Staaten nicht an. So akzeptieren einzelne Staaten, darunter auch Deutschland, keine Führerscheine aus der Ukraine und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Fehlende Parkangebote für LKWs

Ebenso notwendig sind Verbesserungen bei der Infrastruktur. An den meisten Autobahnen und Raststätten gibt es nicht ausreichend Parkangebote für Lkw-Fahrer. Abseits der Autobahnen dürfen sie an zahlreichen Standorten überhaupt nicht parken. »Viele Fahrer müssen sich für die Suche nach einem Standplatz viel Zeit nehmen und können schnell in Konflikt mit den gesetzlich vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten kommen«, sagt Stöhr.

Die IHK hält daher zusätzliche Rastplätze für erforderlich. Vor allem in Ballungsräumen dürfte zusätzlicher Parkraum für Entlastung sorgen. Ein Positiv-Beispiel ist die 2017 eröffnete Raststätte Fürholzen nördlich von München an der A 9 (Nürnberg), die bis zu 240 Lkw-Züge aufnehmen kann.

Hohe Qualifizierungskosten

Aber auch für die Grundqualifikation regt die IHK Reformen an und bringt einfachere und kostengünstigere Prüfungsabläufe ins Spiel. »Viele Unternehmen klagen über hohe Qualifizierungskosten«, weiß IHK-Prüfungskoordinator Andreas Dietze. Für einen C-Führerschein müssen sie rund 3.500 bis 5.500 Euro einplanen, hinzu kommen Ausgaben für die Grundqualifikation. Arbeitsagenturen fördern die Teilnehmer nur, wenn diese einen Lehrgang über 140 Stunden absolvieren (»beschleunigte Grundqualifikation«).

Außerdem könnte das Mindestalter für den Erwerb des C-Führerscheins gesenkt werden. »In der Diskussion befindet sich ferner, dass die Prüfungsaufgaben für die beschleunigte Grundqualifikation ausschließlich als Multiple-Choice-Fragen konzipiert werden«, sagt Dietze. Diese Aufgaben, bei denen aus mehreren vorgegebenen Antworten die richtige(n) ausgewählt werden müssen, machen bislang 70 Prozent aus. Die IHK hält überdies Kampagnen für sinnvoll, die auch Frauen fürs Lkw-Fahren begeistern. Gerade einmal zwei Prozent der Berufskraftfahrer sind weiblich.

Zusätzliches Know-how für neue Fahrtechnologien

Auch neue Fahrtechnologien dürften das Berufsbild des Kraftfahrers aufwerten. Manche Logistikunternehmen investieren gezielt in die Weiterbildung ihrer Fahrer. »Wir testen mit unseren 81 Fahrerinnen und Fahrern regelmäßig neue Technologien und integrieren alternative Antriebe wie beispielsweise LNG, also Flüssigerdgas, in den Fuhrpark«, sagt Thorsten Knoll (42), Fuhrparkleiter der Reichhart Logistik GmbH in Gilching. Ohne zusätzliches Know-how ist das nicht möglich.

Am Ende sollten sich solche Anstrengungen für die Fahrer auch finanziell auszahlen. »Der Beruf kann nur mit deutlich höheren Löhnen attraktiv gemacht werden«, versichert Mack. Dafür allerdings sind die Tarifparteien zuständig.

Paket an Vorschlägen

Die Unternehmer im IHK-Fachausschuss für Verkehr sind sich einig, dass es Reformen bei Ausbildung, Anerkennung und den Arbeitsbedingungen bedarf, damit der Mangel an Berufskraftfahrern verringert werden kann. Sie haben auf ihrer jüngsten Sitzung Anfang 2022 ein Paket an Vorschlägen verabschiedet, das nun auf bayerischer Ebene weiterverfolgt werden soll.

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