Betrieb + Praxis

Passgenau vermarkten

wavebreak3/Adobe Stock ©
Der menschliche Faktor – persönliche Kontakte helfen, Kunden langfristig zu binden

Unternehmen, die dauerhaft erfolgreich bleiben wollen, sollten ihre Vertriebsstrategie immer wieder prüfen und anpassen. Wie gehen sie dabei am besten vor?

Von Eva Müller-Tauber, IHK-Magazin 10/2024

Anfang der 1980er-Jahre entwickelte Albert Kipfelsberger einen Elektroschrauber, der sich beim Erreichen des gewünschten Drehmoments automatisch abschaltet. Mit dieser Innovation war der Grundstein für die alki TECHNIK GmbH gelegt. 40 Jahre und etliche Innovationen später ist das Ingolstädter Familienunternehmen in mehr als 60 Ländern präsent. Es zählt mit seinem bedarfsorientierten und stetig erweiterten Sortiment an Drehmomentschraubern zu den Hidden Champions in seinem Segment.

Wer sich so lange erfolgreich am Markt behauptet, verfügt in der Regel nicht nur über Produkte, die den Kundennerv treffen. „Er weiß auch, wie er diese passgenau vermarktet, folgt einem klaren Vertriebskonzept, das er immer wieder auf den Prüfstand stellt und gegebenenfalls anpasst“, sagt Lena Weiß, betriebswirtschaftliche Beraterin bei der IHK für München und Oberbayern. Denn unabhängig von der Branche oder vom Alter eines Unternehmens gilt: Ohne Vertriebskonzept plus zielgerichtetes Marketing hat eine Geschäftsidee kaum Erfolg.

Deutsche Außendienstkultur  

Das Unternehmen alki TECHNIK setzte lange Zeit auf eine 2-geteilte Strategie: indirekter Vertrieb über Distributoren im Ausland, Direktvertrieb durch 5 erfahrene Sales-Spezialisten auf nationaler Ebene. Der Grund: „Hierzulande gibt es eine historisch gewachsene Außendienstkultur mit direktem Kontakt zum Kunden. Das ist in vielen anderen Ländern – gerade großflächigen wie Brasilien oder die USA – weder sinnvoll noch gewünscht“, erläutert Karin Porstmann, Sales Director des Betriebs. Sie hat bereits in 10 verschiedenen Ländern gearbeitet und weiß, wovon sie spricht.

Bis vor ein paar Jahren fuhr der kleine Mittelständler, der rund 30 Festangestellte beschäftigt, gut mit seinem geteilten Vertriebsansatz. Dann aber stagnierten die Zahlen in Deutschland. Gleichzeitig erzielte das internationale Vertriebspartnernetz deutlich mehr Umsatz als früher. Porstmann hatte es mit ihrem Team seit 2019 nach und nach von 40 auf 80 Partner ausgebaut.

Firmenchef Alexander Kipfelsberger entschied daher mit seinem Team, das indirekte Vertriebsmodell auch national einzuführen und gleichzeitig das Know-how der Sales-Spezialisten anders zu nutzen. „Wir vertreiben technisch komplexe Produkte und sind daher auf technisch versierte Distributoren angewiesen“, erläutert Porstmann. „Deshalb betreuen unsere langjährigen, hoch qualifizierten Vertriebsmitarbeiter mittlerweile unsere Händler auf nationaler wie auf internationaler Ebene und schulen sie, während diese mit ihren eigenen Außendienstteams den eigentlichen Vertrieb übernehmen.“

6 Monate dauerte es, bis die Firma Anfang 2024 mit der Einführung des neuen Konzepts beginnen konnte. „Schließlich haben wir einen Veränderungsprozess angestoßen, den wir intern kommunizieren und für den wir Akzeptanz in der Belegschaft schaffen mussten“, erklärt Porstmann.

E-Plattform für Vertriebspartner

Der oberbayerische Mittelständler holte sich zudem Unterstützung von außen. Petra Scherer (48), Inhaberin der Unternehmensberatung Value Hub GmbH in Ingolstadt, half dem Drehmomentschrauber-Spezialisten, eine neue passende Vertriebsstrategie auszuarbeiten, sie zu implementieren sowie einen digitalen Vertriebskanal mit einem Onlineshop aufzubauen.

Der Webshop sollte ursprünglich vor allem Endkunden ansprechen. Bis sich durch unsere detaillierte Analyse herauskristallisierte, dass das Unternehmen stattdessen in erster Linie einen digitalen Verkäufer und Berater für die Vertriebspartner braucht“, sagt Scherer.

Heute richtet sich die alkitronic-E-Plattform vor allem an diese registrierten Vertriebspartner, die dort Beratung mithilfe von Produktfindern, alle notwendigen Vertriebsunterlagen und natürlich auch die Produkte mit Konditionen selbst erhalten.

Beraterin Scherer ist überzeugt: „Ohne einen digitalen Vertriebsweg kommt über kurz oder lang kein Unternehmen mehr aus, auch im B2B-Segment.“ Scherers Ziel ist es, Hidden Champions aus dem Industriebereich auf ihrem Weg zum digitalen Champion zu begleiten. Gleichwohl ist es ihrer Ansicht nach gerade in Beziehungen zu Geschäftskunden wie auch flankierend für den Bereich After Sales wichtig, stets kompetente persönliche Ansprechpartner zur Beratung, für Rückfragen oder bei Transaktionsproblemen einzusetzen. „Um eine langfristige Kundenbindung aufzubauen und Vertrauen zu schaffen, braucht es unbedingt den menschlichen Faktor“, betont die Expertin. Es gelte für Unternehmen also, analoge und digitale Methoden gekonnt zu kombinieren.

Wer sind meine Kunden?

Das gilt auch für das Marketing. Es arbeitet nicht nur eng mit dem Vertrieb zusammen, sondern sollte ebenso wie dieser genau aufs Unternehmen zugeschnitten sein. „Grundlage für beides ist jedoch, dass ich genau weiß, wer meine Kunden sind und wie ich sie erreiche“, betont IHK-Expertin Weiß. Das sei für Firmen jeder Unternehmensgröße unerlässlich.

6 Fragen für die Vertriebsstrategie

Um eine passende Strategie für den Betrieb zu entwickeln, sollten Unternehmer sich unter anderem mit folgenden Fragen systematisch beschäftigen:

  1. In welchen Märkten, Branchen und Ländern ist mein Unternehmen unterwegs?
  2. Wer genau sind meine Kunden? Was brauchen sie, welche Bedürfnisse haben sie?
  3. Über welche Vertriebskanäle erreiche ich meine Kunden am besten und gezielt?
  4. Wie steht es um meinen Innendienst? Wie viele interne Verwalter habe ich? Und wie viele brauche ich, um die Kanäle in den jeweiligen Märkten zu vertreten?
  5. Auf welche Weise muss ich mein Produkt möglicherweise anpassen und es zum Beispiel einfacher gestalten, damit es in den jeweiligen Märkten angenommen wird?
  6. Wie kann ich den Vertrieb des Unternehmens optimal steuern?

Quelle: Petra Scherer, Value Hub GmbH

Kathrin Hawliczek kann das bestätigen. Vor 5 Jahren gründete sie mit ihrem Mann Jan Hawliczek in Ingolstadt den HR-Dienstleister Die Grüne 3 GmbH. Er bietet Weiterbildungen im Active Sourcing und Recruiting sowie im Active Sourcing und Recruiting as a Service, filtert für Firmen mit schwer zu besetzenden Stellen vor allem in MINT-Berufsfeldern also gezielt die passenden Mitarbeitenden aus bestimmten Zielgruppen heraus. Die Unternehmerin will Recruiting „empathischer und digitaler“ gestalten.

Klare Strategie, klare Strukturen

Mittlerweile beschäftigt die Firma 15 Mitarbeiter. „Gerade als Gründer ist man derart von seinem Produkt oder Service überzeugt, dass man Gefahr läuft zu denken, man kennt seine Kunden, weiß, was sie brauchen – vor allem, wenn man in der Branche schon lange unterwegs ist und über ein großes Netzwerk verfügt“, sagt die Unternehmerin. „Doch selbst wenn ich ein tolles Angebot und ein kompetentes Team habe – es braucht eine ganz klar formulierte Strategie und Struktur. Alles muss aus einem Guss und auf die Kunden abgestimmt sein. Schließlich kann sich die Kundenstruktur mit der Zeit auch verändern.“

Kathrin Hawliczek, im Unternehmen unter anderem für Finanzen und IT zuständig, buchte deshalb im Herbst 2023 mehrere Marketing-Workshops. Sie nahm mit ihrem Coach die Kundenstruktur genauer unter die Lupe und beantwortete Fragen wie: Vor welchen Herausforderungen steht der Kunde strategisch und operativ? Welche Rahmenbedingungen hat er? Wo ist der Kunde heute zu finden? Wo ist er aktiv?

Anschließend wurden 6 Personas, also typische Vertreter der Zielgruppe der Firma definiert. Das überzeugte auch Jan Hawliczek, den HR-Experten im Führungsduo: „Jetzt weiß ich tatsächlich ganz genau, wer meine Kunden sind.“ Und seit Jahresbeginn formuliert Die Grüne 3 ihre Social-Media-Marketing-Beiträge zielgruppengenauer und mit deutlichem Zusatznutzen für die Kunden. Die ersten Ergebnisse sind positiv: Die Zahl der Follower wächst jetzt deutlich schneller, „und unsere am Vertrieb beteiligten Kolleginnen und Kollegen können nun noch passgenauere Gespräche führen“, so Hawliczek.

Positive Umsatzzahlen

Auch Karin Porstmann von alki TECHNIK ist optimistisch ob der neuen Vertriebsvariante ihres Unternehmens, bei der Know-how multipliziert und in die Breite getragen wird, statt es auf wenige Experten zu konzentrieren. Mittlerweile kooperiert die Firma mit 11 neuen Distributoren in Deutschland: „Wir glauben fest an diese Strategie und sie ist erfolgreich“, sagt die Sales-Direktorin. „Die bereits kurzfristig erzielten Umsatzzahlen und die Performance der neu akquirierten Vertriebspartner geben uns recht.“

IHK-Info: Marketing und Vertrieb sowie BAFA-Programm

Verwandte Themen