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Mit der Box durch den Lockdown

Klaus Mergel ©
Optimistische Gastronomen – Konrad und Veronika Wolfmiller und Dominik Schmid (r.)

Im Coronajahr 2020 ein Gourmetrestaurant zu eröffnen, noch dazu in der Provinz – das ist ein mutiger Schritt. Wie die drei Gastronomen der Eigenart GmbH ihr »Kaminzimmer« bei Landsberg mit kreativen Ideen durch die Pandemie bringen wollen.

Klaus Mergel, Ausgabe 04/2021

Zum Wochenende hin steigt der Stresslevel – das hat sich trotz Corona nicht geändert. Am Donnerstag kommt die frische Ware ins Haus: Gemüse, Obst, Eier, Fisch und Fleisch. Noch am selben Tag fängt Dominik Schmid mit der Zubereitung der Soßen an. Tags darauf ist das Küchenteam am Werkeln: vorkochen, verpacken, Etiketten aufkleben. Schließlich wollen die Kunden das Produkt am Samstag abholen. Kunden oder Gäste? Vielleicht beides: Wer die »Kaminzimmerbox« ordert, stellt sich selbst an den Herd und wird zum Gourmetkoch. Eine kulinarische Eventidee, geboren aus der Not.

Fine Dining in 1.700-Einwohner-Gemeinde

Alles fing mit einem pfiffigen Restaurantkonzept an. Finning ist eine 1.700-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Landsberg, 50 Kilometer westlich von München. »Hier ein Fine Dining aufzumachen, war immer unser Traum«, sagt Veronika Wolfmiller (41). Sie und ihr Mann Konrad (51) führen seit 2011 am Ortsrand den »Staudenwirt«: ein gutbürgerliches Gasthaus mit Gästezimmern, beliebt für Hochzeiten und Familienfeiern. Doch das Paar hat auch Erfahrung im Gourmetsegment. Die Wolfmillers betrieben bis 2010 das kleine Herrschinger Hotel »Chalet am Kiental«. Im dazugehörigen Restaurant »Fingerprint« erkochten sie sich Anerkennung – plus 15 Punkte im »Gault Millau«. Ihr heutiger Mitgeschäftsführer Dominik Schmid erlernte dort sein Küchenhandwerk.

Die Wolfmillers holten Schmid im Herbst 2019 in ihre Eigenart GmbH, um gemeinsam das »Kaminzimmer« aufzubauen. Der »Staudenwirt« sollte damit einen Ableger auf hohem Niveau bekommen, der für Regionalität, gepaart mit der Raffinesse internationaler Küche, steht. Die im Frühjahr 2020 geplante Eröffnung platzte wegen des ersten Lockdowns. »Nicht so schlimm, so konnten wir in Ruhe renovieren«, sagt Konrad Wolfmiller. Für das Lokal wurde ein 80-Quadratmeter-Saal ausgebaut, der tatsächlich einen offenen Kamin aufweist. Die Idee »Restaurant im Restaurant« stammt aus der Hotelgastronomie und ist unter »jungen Wilden« der Branche beliebt. Auch Starkoch Alexander Herrmann betreibt in Nürnberg unter einem Dach »Das Imperial by Alexander Herrmann« und das »Fränk’ness«, jedes mit eigenem Gastrokonzept.

Erfahren in der Sterne-Küche

Das »Kaminzimmer« sollte an drei Tagen geöffnet sein. Auf der Karte: ausschließlich Menüs, Preisniveau 95 bis 110 Euro, abgerundet durch eine exzellente Weinauswahl und die Kreationen eines Patissiers. »Durch die Mischkalkulation kann man ein Lokal gut anschieben, bis es läuft«, erklärt Schmid. Der 33-jährige Mitgeschäftsführer verfügt über Renommee am Herd: Er arbeitete bei den Starköchen Gordon Ramsay, Joachim Wissler und Sergio Hermann (alle drei Michelin-Sterne). Zuletzt wirkte Schmid als Souschef im Münchner »Werneckhof by Geisel« (zwei Sterne).

In den Fokus der Gourmets geraten

Im Mai 2020 war der Lockdown zu Ende, endlich konnte man eröffnen. Unter den bekannten Bedingungen: weniger Tische für mehr Abstand, mit Maske bedienen, Desinfektion und aufwendige Registrierung der Gäste. Das Trio reduzierte sein »Kaminzimmer« auf zwei Tage pro Woche – und es kam hervorragend an. »Da viele Deutsche 2020 in Deutschland Urlaub machten, war auch hier in der Region am Ammersee viel los«, erzählt Veronika Wolfmiller. So geriet Finning in den Fokus der Gourmets. Lobende Erwähnung im Gourmetmagazin »Falstaff«, das »chefs!«-Magazin titelte »Ambitioniert am Ammersee«. Der »Feinschmecker« nannte das Lokal ein »architektonisches Glanzstück« und schwärmte vom »sympathischen Genusserlebnis mit Anspruch in zwanglosem Rahmen«. Keine Frage, die Lokaleinführung war ein Erfolg.

»Das Wasser steht uns lediglich bis zum Nabel«

Jenseits der Großstadt Haute Cuisine anzubieten, hat Vorteile, wie Schmid feststellt: »Wir bekommen hier Obst und Gemüse direkt vom Erzeuger, ebenso Fisch und Fleisch in Topqualität.« Auch die Gästerwiesen sich als unkompliziert. »Nicht viel anders als in den Großstädten«, so Schmid, »angenehm ist vor allem, dass sie am Land früher zu Abend essen – und man eher Feierabend machen kann.« Dann jedoch folgte im Herbst 2020 der zweite Lockdown. Dennoch: »Die Stimmung ist gut«, sagt Konrad Wolfmiller. Seine Frau Veronika ergänzt: »Gut zu wissen, dass unser ›Kaminzimmer‹-Konzept funktioniert.« Schmid fügt humorvoll hinzu: »Das Wasser steht uns lediglich bis zum Nabel.«

Zum einen sei die staatliche Unterstützung hilfreich gewesen. Das Unternehmen meldete Kurzarbeit an, Soforthilfe floss, wenn auch träge. »2020 war eine Katastrophe, da brauchen wir nicht reden«, so Schmid, »aber wenn die Personalkosten nicht mehr so drücken und unsere Leute versorgt sind, kann man nachts wieder schlafen.« 20 Mitarbeiter zählt das Eigenart-Team, acht davon in der Küche, sechs Festangestellte im Service sowie einige Aushilfen und Bürokräfte.

Kreativität zur Selbsthilfe entwickelt

Letztlich aber war es Eigeninitiative, die enormen Auftrieb brachte – und Geld in die Kasse. Während andere Gastronomen »nur« Essen zum Mitnehmen anbieten, erfand man im Staudenwirt mit der »Kaminzimmerbox« ein Gastroprodukt mit Erlebniswert: Konsumenten können damit eigenhändig Genüsse zaubern, die sie sonst am Herd überfordern oder ihnen zu zeitintensiv sind. »Wir hatten genug Zeit, Kreativität zur Selbsthilfe zu entwickeln«, sagt Konrad Wolfmiller.

Gastroprodukt mit Erlebniswert erfunden

Mit der Box kann jeder zu Hause ein VierGänge-Menü auf den Tisch bringen. Die meisten Komponenten sind frisch gekocht und vakuumiert. Manches – wie etwa der zarte Saibling – muss noch kurz angebraten werden. Die Box kostet für zwei Personen inklusive einer Flasche Wein 90 Euro. Natürlich mit einer Anleitung – denn ein bisschen was tun muss man schon. »Ist aber nicht schwer«, sagt Schmid. Die Boxen werden einige Tage vorher per Mail bestellt und dann abgeholt. Es sei, so Veronika Wolfmiller, »eine Mischung aus Essengehen und dem gemütlichen Kochen daheim«. Allerdings auf kulinarisch hohem Niveau. An Weihnachten und Silvester lockten in der Box Leckereien wie Wildterrine, Saibling, Lamm und Rumtopf mit Schokolade.

Bei den Gästen präsent bleiben

Derzeit gehen jede Woche rund 20 Kaminzimmerboxen über den Tresen. Unterm Strich machte das Eigenart-Team 2020 so etwa 70 Prozent des üblichen Jahresumsatzes. Ein hilfreiches Tool ist die Box da zweifellos. »Letztlich bringt zwar das Menü in der Box weniger als die Hälfte, als wenn wir es den Gästen bei uns im Kaminzimmer an den regulären zwei Tagen pro Woche servieren«, erklärt Schmid. Dennoch sei es ein guter Weg, im Lockdown Einnahmen zu generieren und die Leute sinnvoll zu beschäftigen. »Und natürlich, um bei den Gästen präsent zu bleiben.«

So toll die Idee auch funktioniert – als dauerhaftes Produkt wollen die Finninger die Box in »normalen Zeiten« nicht zusätzlich anbieten. »Da ist es einfach zu viel Aufwand, gerade das Vorbereiten und Verpacken«, erklärt Veronika Wolfmiller. Und nicht zu vergessen: »Das Adrenalin fehlt«, erklärt Schmid. »Wir sind ja Gastronomen aus Passion und keine Händler.«

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