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Mit Rückenwind unterwegs

Thorsten Jochim ©
Martin Willner, Chef des Fahrradzentrums in Ingolstadt

Seit mehr als 140 Jahren verkauft das Willner Fahrradzentrum in Ingolstadt Zweiräder. Auch in Coronazeiten kann sich Inhaber Martin Willner angesichts seiner breiten Angebotspalette über eine starke Nachfrage freuen.

Steffi Sammet, Ausgabe 09/20

Über seine Vorfahren spricht Martin Willner gern: »Das waren alle Fahrradnärrische, vor allem der Gründer des Unternehmens Johann Willner.« Begeistert schildert der heutige Inhaber der Willner Fahrradzentrum GmbH, wie sein Ururgroßvater das erste Hochrad in Ingolstadt baute, das Radeln in der Stadt en vogue machte, aber vor allem eine Fahrradfahrschule betrieb, in der auch Frauen das Radeln lernten. »Aber heimlich, weil die Männer es damals nicht toll fanden, dass ihre Frauen mobil werden«, erzählt der 53-jährige Diplomingenieur. Heute zählt das 140 Jahre alte Unternehmen Frauen und Männer gleichermaßen zu seinen Kunden.

Ergonomischer Sattel als »Wohltat«

Auf etwa 1.000 Quadratmetern stehen unterschiedlichste Fahrräder zum Verkauf bereit: Kinder-, City- und Trekkingräder, Renn- und Mountainbikes, alle wahlweise als Muskel- oder E-Bikes. Im etwa 2.500 Quadratmeter großen Lager nebenan warten weitere Neuräder auf die Montage. In der angrenzenden 250 Quadratmeter großen Werkstatt reparieren und warten etwa 20 Mechatroniker Fahrräder der Kunden. »Ein immer wichtigerer Sektor ist unter anderem die ergonomische Optimierung. E-Biker sitzen viel länger im Sattel, da ist es eine Wohltat, wenn alles passt«, erklärt Willner. Außerdem finden Kunden in Willners Geschäft ein breites Sortiment: Ob Helme, Packtaschen, Radhosen und Oberbekleidung, Sättel oder Ersatzteile aller Art – »das gehört einfach zum Angebot eines serviceorientierten Unternehmens«, ist Willner überzeugt. Auch um Finanzierungen, Versicherungen und den stark wachsenden Markt des Dienstradleasings kümmern sich die Mitarbeiter.

Gespür für Branchenentwicklung

Offenbar besitzt Willner ein Gespür für die Entwicklungen in der Fahrradbranche und für den Bedarf der Kunden, denn der Unternehmer führt das Fahrradzentrum seit rund 30 Jahren äußerst erfolgreich. »Wir profitieren natürlich davon, dass die Fahrradbranche kaum unter wirtschaftlichen Krisen wie 2008/2009 oder jetzt der Coronakrise leidet«, sagt Willner. Die aktuelle Situation führe beispielsweise dazu, dass viele Menschen einen Radurlaub planen, statt ins Ausland zu fliegen. »Und natürlich setzen sich die Menschen derzeit nicht gerne in volle Busse und Bahnen, sondern nutzen lieber ihr Rad, um zur Arbeit zu fahren«, ergänzt der Unternehmer.

E-Bike und Lifestyle

Neue Trends unterstützen die Stabilität der Branche. In den 1980er-Jahren kam das Mountainbike in Mode, 30 Jahre später das E-Bike. »Das Fahrrad stand plötzlich für Reisen, Sport, für coole Typen«, erinnert sich Willner. Vor dem E-Bike-Boom hat der Fachhandel viel Überzeugungsarbeit geleistet, um den Rädern mit Elektrounterstützung das »Seniorenimage« zu nehmen. »Plötzlich war da Lifestyle im Spiel«, sagt der Unternehmer. Das habe das Geschäft stark vorangetrieben.
Der Einstieg in den Familienbetrieb war für Willner nicht selbstverständlich. »Am Ende meines Studiums habe ich lange überlegt, ob ich mich selbstständig machen will oder nicht«, erinnert er sich.

Letztendlich habe ihn der Mountainbike-Trend bewogen, den Schritt zu wagen und das Unternehmen seiner Familie weiterzuführen. Aber auch die Entwicklung in der Branche selbst spielte eine Rolle bei der Entscheidung: Das Fahrrad hatte plötzlich eine wichtigere Stellung – beispielsweise gibt es seither den eigenen Ausbildungsberuf Zweiradmechaniker, inzwischen Zweiradmechatroniker, sagt Willner. Im Jahr 1991 übernahm er das Fahrradzentrum, das bis dato noch Teil eines Opel-Betriebs war.

Welchen Bedarf hat der Kunde wirklich?

Von Beginn an setzte er nicht nur auf den Verkauf von Fahrrädern, sondern auch auf einen umfassenden Service für seine Kunden. »Bei uns steht die Bedarfsermittlung immer an erster Stelle: Welche Strecken will der Kunde fahren? Wie oft? Was stellt er sich vor?«, zählt Willner auf. Da gebe es jede Menge Fragen. Anschließend präsentierten die Berater die Fahrräder, die ihres Erachtens gut zu den Kunden passen könnten. »Wenn die dann von ihrer Probefahrt zurückkommen, sieht man ganz oft strahlende Gesichter. Es kann einem doch nichts Besseres passieren, als zu einem Produkt zu beraten, das den Kunden Freude vermittelt«, findet Willner.

Die Werkstatt ist wichtig

Pro Jahr bildet das Fahrradzentrum ein bis zwei Fahrradmechatroniker sowie Einzelhandelskaufleute aus. Um das bestmögliche Mitarbeiterteam zu haben, verbringt Willner viel Zeit mit der Suche nach geeignetem Personal – vor allem auch für die Werkstatt. »Der Umsatz, den wir in der Werkstatt erzielen, beläuft sich zwar nur auf etwa zehn Prozent des Gesamtumsatzes, für die Wahrnehmung der Kunden aber ist dieses Angebot essenziell«, betont Willner.
Regelmäßige Schulungen der Techniker seien selbstverständlich. »Wer 3.000 Euro und mehr für sein Fahrrad bezahlt, darf auch erwarten, dass es sorgfältig gewartet oder repariert wird, wenn es in der Werkstatt steht.« Das gelte aber auch für Reparaturen an günstigen Rädern.

Im Aufsichtsrat der Genossenschaft

Seit 1996 ist das Fahrradzentrum Mitglied bei der Zweirad Einkaufs-Genossenschaft ZEG, die europaweit mehr als 1.000 Mitglieder hat. Der Verbund unterstützt Fahrradfachhändler bei Marketing, IT sowie Sortimentsgestaltung und bietet attraktive Einkaufsmöglichkeiten. »Die ZEG ist sehr stark und ein echter Innovator für die Branche«, urteilt Willner. »Mit den selbst entwickelten Marken wie Bulls und Pegasus ermöglicht die ZEG ihren Händlern eine Alleinstellung. « Willner arbeitet selbst aktiv in Arbeitskreisen der ZEG mit und gehört seit vergangenem Jahr deren Aufsichtsrat an.

Aufmerksam bleiben und strategisch denken

Auch wenn es seit Jahren sehr gut läuft, bleibt der Unternehmer aufmerksam: »So wie es aussieht, kommen wir glimpflich durch die Coronakrise. Dabei darf man aber nicht die Chancen übersehen, die die aktuelle Situation mit sich bringt.« Zwar sei das Fahrradzentrum stark stationär ausgerichtet, die Lockdown-Phase habe aber gezeigt, dass ein zweiter Vertriebskanal auch für sein Unternehmen absolut wichtig sei. Willner: »Bei uns steht jetzt klar eine Multichannel-Strategie im Fokus.«

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