Standortpolitik

Umstrittenes Polster

Nils Thies/Deutsche Bundesbank ©
Befürwortet die Reserve – Reinhold Vollbracht, Präsident Bundesbank Bayern

Banken müssen mehr Kapital für Risiken zurücklegen. Doch diese Maßnahme, die eigentlich die Krisenresistenz erhöhen soll, könnte in der aktuellen Lage das Gegenteil bewirken.

Von Nadja Matthes, IHK-Magazin 03/2023

Mehr Widerstandskraft durch ein zusätzliches Finanzpolster – das ist das Ziel des sogenannten antizyklischen Kapitalpuffers: In guten Zeiten sollen Kreditinstitute zusätzliche Reserven aufbauen, um sie in schwierigen Phasen wie etwa in einer Rezession zum Ausgleich von Verlusten zu verwenden.

In der Coronakrise wurde die Quote des Kapitalpuffers daher von 0,25 auf 0 Prozent gesenkt. In der Phase hoher wirtschaftlicher Unsicherheit sollte das Bankensystem gestärkt und alles vermieden werden, was den Abschwung hätte beschleunigen könnte. Vor rund einem Jahr jedoch steuerte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um und setzte die Quote auf 0,75 Prozent des ermittelten Gesamtforderungsbetrags fest. Den Puffer mussten die Banken bis 1. Februar 2023 vollständig aufgebaut haben.

Kritik: Kapitalpuffer gefährdet Finanzierung des Mittelstands

Unternehmen und Kreditinstitute warnen nun davor, dass die Aktivierung des Kapitalpuffers in der aktuellen Situation kontraproduktiv wirken könnte. Sie hemme die Kreditvergabe und gefährde damit die Finanzierung des Mittelstands, kritisieren die IHK für München und Oberbayern, die Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern und die Verbände der bayerischen Kreditwirtschaft in einem gemeinsamen Positionspapier. Der Kapitalpuffer stehe im Widerspruch zu den Zielen der Stabilisierung der Wirtschaft und dem Wandel hin zu mehr Klimaneutralität, der hohe Investitionen erfordert.

Marcus Lingel, Gesellschafter der MERKUR PRIVATBANK KGaA und Vorsitzender des IHK-Ausschusses Kredit- und Finanzwirtschaft, hält den Zeitpunkt der Aktivierung des Kapitalpuffers für denkbar ungünstig. 2022 habe sich die Welt verändert, es gebe Krieg in Europa, eine Energiekrise, Inflation. „Ein antizyklischer Puffer ist in guten Zeiten zu bilden, damit man ihn in schlechten Zeiten zurücknehmen kann“, so Lingel. „Wenn wir ihn aber heute in schlechten Zeiten aufbauen, wirkt er krisenverstärkend und nicht schonend.“

Ähnlich sieht das Gregor Scheller, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern: „Mit weiteren Auflagen werden den Banken in einer ohnehin angespannten Situation weitere Möglichkeiten genommen, passgenaue Finanzierungsmöglichkeiten anzubieten.“ Statt pauschaler Erhöhung wäre daher eine differenzierte, an die derzeitige wirtschaftliche Lage angepasste Betrachtung angemessen. „Diese zeigt nämlich: Der antizyklische Kapitalpuffer birgt deutliche Risiken, ohne einen erkennbaren Mehrwert zu liefern, und sollte deswegen nicht zum Einsatz kommen“, fordert Scheller.

Resilienz der Banken stärken

Die Bundesbank hingegen befürwortet die Aktivierung des Kapitalpuffers. Seit Mitte 2021 seien die Kapitalquoten der Banken leicht zurückgegangen, die Verwundbarkeiten aber unverändert hoch geblieben. So verweist die Bundesbank auf ihre Analysen, wonach Banken in den vergangenen Jahren verstärkt Kredite an Firmen mit höherem Risiko vergeben hätten. Würden die Zinsen stark steigen oder die Konjunktur einbrechen, könnten solche Unternehmen ihre Kreditschulden als Erste nicht mehr bedienen. „Die Folge davon wäre, dass Kredite vermehrt ausfallen und die Verluste im Bankensystem stark zunehmen würden“, sagt Reinhold Vollbracht, Präsident der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank. „Der antizyklische Kapitalpuffer wurde aktiviert, um die Resilienz der Banken gegen solche Verwundbarkeiten zu stärken.“ Die Höhe des antizyklischen Kapitalpuffers richte sich nicht nach dem Konjunktur-, sondern nach dem Finanzzyklus.

Kredite weniger nachgefragt

Zwar beobachtet die Bundesbank, dass die Banken bei der Kreditvergabe zurückhaltender geworden sind. Sie hält dies angesichts der höheren Risiken jedoch für angemessen. Der wesentliche Grund für die nicht mehr so dynamisch steigende Kreditvergabe liege in der geringeren Nachfrage nach Krediten. Es könne sogar wünschenswert sein, wenn einzelne Banken durch die Aktivierung des Kapitalpuffers ihre Kreditvergabe einschränken. „Werden diese Kredite dann durch besser kapitalisierte Banken vergeben, die mit den Risiken besser umgehen können, kann das Bankensystem insgesamt stabiler werden“, sagt Vollbracht. Zumindest werden die Maßnahmen regelmäßig überprüft. „Sollten signifikante Verluste im Finanzsystem eintreten oder wir andere Faktoren erkennen, die zu einer übermäßigen Verknappung des Kreditangebots führen könnten“, so Vollbracht, „kann der Puffer jederzeit freigegeben werden.“

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