Unternehmen

»München wird seine Position bewahren«

Thorsten Jochim ©
Sieht den Vorteil bei den großen Netzwerken – Flughafen-Chef Jost Lammers

Jost Lammers, seit Jahresbeginn 2020 Chef der Flughafen München GmbH (FMG), über die Folgen des Shutdowns, Vorbereitungen zum Neustart und das Fluggeschäft von morgen.

Ulrich Pfaffenberger, Ausgabe 06/20

Herr Lammers, auch wenn der Airport derzeit »gegroundet« ist, steht er nicht still. Wie wirkt sich die Coronakrise auf die Arbeit am Flughafen konkret aus?
Die Auswirkungen spüren wir in allen Bereichen – auch wenn der Flughafen nach wie vor voll funktionsfähig ist. Unser Airport ist relevante Infrastruktur, da darf es keinen Stillstand geben. Selbst unsere beiden Feuerwachen sind derzeit besetzt wie immer. Wir haben aber unsere Arbeit den Umständen angepasst und bestimmte Vorhaben verschoben beziehungsweise vorgezogen. Zum Beispiel die Instandhaltungsmaßnahmen an der Südbahn, die früher stattfinden als geplant. Oberste Priorität hat für uns die Gesundheit der Mitarbeiter und der Reisenden, aber wir haben natürlich auch die betriebswirtschaftlichen Aspekte im Blick.

Die FMG hat traditionell ein sehr starkes Non-Aviation-Geschäft: Wie schädlich ist der Stillstand hier?
In der Tat sehen wir da eine spiegelbildliche Entwicklung zum Luftverkehr. Das gilt für Handel, Gastronomie, Hotels und auch beim Parken. Um den Rückgängen entgegenzuwirken, haben wir auch hier – ganz abgesehen von den vorgeschriebenen Schließungen – frühzeitig die Kapazitäten und die Kosten reduziert. Aber: Diese Situation ist auf allen Flughäfen gleich. Wir haben da keinen Wettbewerbsnachteil.

Gibt es Entscheidungen aus der Vergangenheit, die sich jetzt bezahlt machen?
Wir zehren in dieser Situation vor allem von der wirtschaftlichen Substanz und Stabilität, die wir uns in den vergangenen Jahren erarbeitet haben. Nicht zuletzt mit einem Rekordjahr 2019, das durch die aktuellen Ereignisse natürlich in den Hintergrund gerückt ist. Der konsequente Ausbau des Münchner Flughafens zu einem bedeutenden Drehkreuz des weltweiten Luftverkehrs war zweifellos die wichtigste Weichenstellung aus der Vergangenheit, die uns heute in der Krise zugutekommt.

Wie sehen Sie die Perspektiven für die Zeit nach Corona?
Wir sind gut gerüstet für die nächsten Monate, um aus der Phase des Stillstands herauszukommen. Leider gilt für die Luftfahrt bei der Krise ja das Prinzip »first in – last out«. In dieser Situation hat sich sehr schnell eine intensive Verknüpfung mit anderen Branchenteilnehmern ergeben, die jetzt grenzüberschreitend daran arbeiten, den Luftverkehr schrittweise und effizient wieder hochzufahren.

»20 Jahre lang leistungsfähiges, attraktives Drehkreuz entwickelt«

Was die Zeit nach der Krise betrifft, ist davon auszugehen, dass sich Strukturen verändern und Schwerpunkte verschieben werden. Aber München wird seine starke Position bewahren. Hier macht sich die gemeinsame Aufbauarbeit mit der Lufthansa bezahlt. Wir haben zusammen über 20 Jahre hinweg ein ebenso leistungsfähiges wie attraktives Drehkreuz entwickelt. An diese Erfolgsgeschichte werden wir nach der Krise anknüpfen.

Die kritische Lage bei der Lufthansa betrifft Sie doppelt: Es fallen Verkehre weg und Sie haben einen angeschlagenen Partner im Terminal 2.
Die Lufthansa ist Systempartner des Flughafens und unverschuldet wie wir in diese Krise geraten. Sie ist von der Krise genauso betroffen wie jede andere Airline der Welt. Aber das ist ein Zustand von befristeter Dauer. Unsere gemeinsamen Pläne, unsere Strategie sind auf einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren in die Zukunft gerichtet. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass die Standortentwicklung gemeinsam mit der Lufthansa weitergehen wird. Ein Airport der Qualität Münchens ist für den Erfolg der Lufthansa sehr vorteilhaft – und umgekehrt.

Erwarten Sie, ganz generell, größere Umschichtungen bei der Verkehrsführung?
Tatsächlich gehen wir davon aus, dass beim Wiederanlaufen des internationalen Luftverkehrs zunächst die Strukturen und Strecken an den großen Drehkreuzen wieder aufgenommen werden. Auch der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa, Carsten Spohr, hat ja angekündigt, dass die Lufthansa vor allem auf ihre Drehkreuze setzen wird.

»Connectivity«, auch für die Wirtschaft

Mancher Punkt-zu-Punkt-Verkehr wird trotz niedriger Treibstoffkosten bei einem zunächst geringeren Passagieraufkommen nicht mehr wirtschaftlich sein. Die Situation wird überall auf dem Globus ähnlich sein: Die starken Partner werden stärker sein, den Bedarf werden die bedienen, die es können. Da liegt der Vorteil ganz klar bei den großen Netzwerken und ihren Knotenpunkten, denn sie schaffen die »Connectivity«, auf die insbesondere die Wirtschaft angewiesen ist.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang Aussagen von Analysten, die für die Rückkehr zur Normalität schon Zeitrahmen definieren, etwa 2024?
Ich würde vor solchen Vorhersagen warnen, denn im Augenblick fehlen einfach noch viele Informationen, ohne die belastbare Prognosen nicht möglich sind. Das gilt umso mehr, als wir uns weltweit im Umgang mit Covid-19 noch auf dünnem Eis bewegen. Die Dienstleistung Luftverkehr wird es sicher weiter und wieder geben; aber für den Prozess, wie wir wieder in die Normalität kommen, gibt es keine Blaupause.

Wird es künftig mehr Frachtverkehr und weniger Geschäftsreisen geben?
Eine global vernetzte Wirtschaft wird, trotz aller Verletzlichkeiten, ihre seit vielen Jahren bestehenden Strukturen und Prozesse bewahren. Und dazu gehört der Kontakt von Mensch zu Mensch. Das merken wir als Folge des »social distancing« aktuell unfreiwillig besonders stark. Gerade eine exportorientierte Wirtschaft wie die Bayerns wird weiter davon leben, dass sich die Beteiligten unmittelbar begegnen. Wir stellen uns darauf ein, dass es Veränderungen im Reiseverhalten gibt, wie nach jeder Krise.

Hubs für »schnelle, intelligente, interdisziplinäre Antworten«

Aber angesichts der Komplexität und Intensität von Kommunikation werden unter den vielen möglichen Spielarten auch künftig die Kommunikationswege besonders wichtig sein, die einen unmittelbaren persönlichen Austausch ermöglichen. Das schwingt für uns am Flughafen München auch in unserer Markenbotschaft mit. Sie lautet: »Verbindung leben. «

Am Münchner Flughafen entsteht gerade das LabCampus als Innovationsstandort. Hat sich durch die Krise etwas an den Planungen geändert?
Nein, dieses Projekt hat weiter eine sehr hohe strategische Priorität. Ich glaube, dass solche branchenübergreifenden Zentren des angewandten Wissens und der Innovation künftig die Hubs für schnelle, intelligente und interdisziplinäre Antworten auf neue und zum Teil auch unvorhersehbare Herausforderungen werden.

Was hat Sie im aktuellen Umfeld bislang am meisten positiv beeindruckt?
Ich habe hier Krisenmanagement unter Volldampf erlebt, alle kämpfen mit Leidenschaft und Tatkraft für ihren Flughafen. Der Zusammenhalt aller Bereiche ist beispielhaft. Und das gilt nicht nur innerhalb unseres Konzerns, sondern auch für die Kooperation mit unseren Partnern auf Seiten der Airlines und Behörden. Selbst wenn ich gewusst hätte, was mich hier vor dem Hintergrund der Coronakrise erwartet: Ich würde die Aufgabe, den Flughafen München zu führen, jederzeit wieder sehr gern annehmen.

Verwandte Themen