Klimaschutz | Standortpolitik

Biodiversität als Wirtschaftsfaktor

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Ohne Biene keine Ernte – intakte Ökosysteme leisten einen wesentlichen Wirtschaftsbeitrag

Alle Branchen sind direkt oder indirekt vom Artensterben betroffen. Wie die Politik reagiert und wie Unternehmen zum Schutz der Artenvielfalt beitragen können.

Von Eva Müller-Tauber, IHK-Magazin 03/2024

Die Zahl ist beeindruckend: 190 Billionen US-Dollar – so hoch ist nach einer Studie des Naturschutzbunds NABU der Wert der jährlichen Ökosystemleistungen. Darunter fallen Ressourcen wie zum Beispiel sauberes Trinkwasser sowie „Dienstleistungen“ der Natur, etwa das Bestäuben von Pflanzen durch Insekten oder die Versorgung mit sauberer Luft durch die Wälder.

Viele dieser Ökosystemleistungen werden jedoch bislang genutzt, ohne angemessen „eingepreist“ zu sein. Insgesamt hängt die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung von den Leistungen der Natur ab. Der aktuelle Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums zählt deswegen den Verlust der biologischen Vielfalt zu den zentralen Herausforderungen für die Weltwirtschaft.

Globale Ziele, gemeinsame Kontrolle

Dies spiegelt sich auch im politischen Handeln wider: Weltweit einigten sich 2022 auf der 15. UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal die UN-Mitgliedsstaaten nicht nur auf globale Ziele zum Schutz, zur Wiederherstellung und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt. Sie legten auch erstmalig Mechanismen für eine wirksame Umsetzung der Ziele, ihre Kontrolle und eine angemessene Finanzierung fest (siehe unten Das Stichwort: Biodiversität).

Diese Ergebnisse wirken sich zunehmend auf die Gesetzgebung aus – auf nationaler wie auf EU-Ebene. Dabei nimmt die Politik auch Unternehmen immer stärker in die Pflicht: Im Rahmen der neuen Nachhaltigkeitsberichtspflicht (CSRD) befasst sich der Europäische Nachhaltigkeitsberichtsstandard ESRS E4 allein mit Biodiversität und Ökosystemen. Unter anderem sind das Festlegen biodiversitätsbezogener Ziele als Teil der Unternehmensstrategie und eine Widerstandsfähigkeitsanalyse vorgesehen.

Finanzentscheidungen: Impact auf Ökosystem relevant

Neben umfassenden Sorgfaltspflichten zur Einhaltung von Menschenrechten wird die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) auch Umweltschutz- und Biodiversitätsaspekte umfassen. Die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten hat ebenfalls einen direkten Bezug zur Biodiversität.

Die Bundesregierung wiederum arbeitet aktuell an der „Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“, um diese an globale wie europäische Vorgaben anzupassen. Der vorliegende Entwurf sieht beispielsweise spezifische Anforderungen für Unternehmen und Finanzinstitute vor. Bis 2030 sollen demnach die Auswirkungen auf Ökosysteme und Ökosystemleistungen in allen privaten und öffentlichen Finanzentscheidungen als Entscheidungskriterium berücksichtigt werden.

Bayerische Betriebe mit guten Ansätzen

Im Freistaat beschäftigen sich viele Unternehmen längst mit dem Schutz der Biodiversität auf ihren Firmengeländen sowie in ihrer Lieferkette – so etwa die EGGER Druck & Medien GmbH und die HiPP GmbH & Co. KG. Sie sind somit gut vorbereitet auf die bestehenden wie kommenden Berichtspflichten und zeigen, welche Maßnahmen Firmen ergreifen können.

Wer das Areal der Druckerei EGGER in Landsberg betritt, dem fällt gleich die üppige Vegetation auf: verschiedene Pflanzen wie Lavendel oder Goldregen und sogar Weinstöcke. Auch diverse Baumarten stehen auf dem Gelände. Einen englischen Rasen – kurz gestutzt, unkrautfrei und saftig grün – sucht man vergebens. Immer wieder bekommt Andreas Karlsdorfer deshalb zu hören: „Ihr solltet mal wieder die Wiese auf eurem Firmengelände mähen.“

Für den Manager, der in der EGGER-Geschäftsführung für Marketing, Vertrieb und Personal zuständig ist, ist so ein Satz ein willkommener Einstieg ins Gespräch über Biodiversität und Nachhaltigkeit als Unternehmenswert. Denn die Wiese wird aus Umweltschutzgründen nur einmal jährlich gemäht.

Erster „Blühender Betrieb“ in Landsberg

„Durch unseren naturnah angelegten Garten rund um das Firmengebäude mit heimischen Sträuchern und Bäumen unterstützen wir die Artenvielfalt“, erklärt Karlsdorfer. Seit mehr als 30 Jahren ist ein großer Teil des Firmengeländes so gestaltet, dass viele Insekten- und Vogelarten sich dort niederlassen und Futter finden können. 

 

Karlsdorfer erklärt: „Durch unseren naturnah angelegten Garten rund um das Firmengebäude mit heimischen Sträuchern und Bäumen unterstützen wir die Artenvielfalt“. Seit mehr als 30 Jahren ist ein großer Teil des Firmengeländes so gestaltet, dass viele Insekten- und Vogelarten sich dort niederlassen und Futter finden können.Als erstes Unternehmen in Landsberg erhielt EGGER Druck – über 150 Jahre alt und in fünfter Generation inhabergeführt – 2020 die Auszeichnung „Blühender Betrieb“. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz hat die Auszeichnung erst vor Kurzem um weitere 3 Jahre verlängert.

Fokus auf nachhaltigen Druck

Zudem verarbeitet die Firma FSC®-zertifizierte Papiere aus nachhaltiger Waldwirtschaft, hat bei dem Thema also auch die Lieferkette im Blick. „Als in der Region verwurzelter Familienbetrieb mit Fokus auf nachhaltigen Druck besitzen wir eine Vorbildfunktion, versuchen, ökologisch, ökonomisch und sozial jederzeit verantwortungsvoll zu handeln“, erklärt Karlsdorfer. „Deshalb ist Biodiversität fester Bestandteil unserer Firmenphilosophie.“

Dass sich das Unternehmen mit seinen knapp 60 Mitarbeitenden schon lange um Nachhaltigkeit und den Erhalt des ökologischen Gleichgewichts bemüht, kommt ihm jetzt besonders zugute. Denn die bereits zum fünften Mal nach dem Umweltmanagementsystem DIN EN ISO 14001 zertifizierte Firma ist besser als viele andere Betriebe auf neue Pflichten vorbereitet.

CSRD fordert Maßnahmen zu Biodiversität

„Ab 2024 müssen sukzessive immer mehr Unternehmen darüber Rechenschaft ablegen, wie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten von Nachhaltigkeitsthemen, darunter Biodiversität und Ökosysteme, abhängen und welche Auswirkungen sie darauf haben“, erläutert Susanne Kneißl-Heinevetter, Referentin für Umweltmanagement (EMAS) und Corporate Social Responsibility (CSR) bei der IHK für München und Oberbayern. So schreibt es die neue Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD) vor.

„Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird mit der CSRD auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung gestellt“, sagt IHK-Expertin Kneißl-Heinevetter. Aber auch kleine und mittlere Unternehmen sowie Kleinstfirmen werden sich mit den Anforderungen beschäftigen müssen. Denn ihre berichtspflichtigen (Groß-)Kunden forderten immer mehr Nachhaltigkeitsinformationen ein, betont die Expertin.

Versicherungen: Artenschutz bald Teil des Risikomanagements?

„Dabei geht es nicht allein um Biodiversität an den Firmenstandorten, sondern in der gesamten Lieferkette. Auch bei der Finanzierung und bei Versicherungen werde mit Blick auf das Risikomanagement der Schutz der Biodiversität zukünftig eine größere Rolle spielen, ist Kneißl-Heinevetter überzeugt.

„Unabhängig von den neuen Berichtspflichten betrifft das Thema alle Unternehmen – nicht nur die, die direkt auf Ökosysteme und Biodiversität einwirken“, betont Stefan Hörmann, Geschäftsführer der Stiftung „Global Nature Fund“. Alle Betriebe seien von Biodiversität und kostenlosen Ökosystemleistungen wie etwa frischer Luft und sauberem Wasser abhängig, „vor allem natürlich Branchen wie Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus und die Lebensmittelindustrie“. Somit liege es im eigenen Interesse der Firmen, hier Verantwortung zu übernehmen. Viele tun dies bereits.

Biodiversitätscheck für Unternehmen: Nachfrage steigt

Die bestehende und in Planung befindliche Regulatorik scheint dem Thema weiteren Schub zu geben – obgleich Biodiversität schon davor in vielen nationalen wie internationalen Gesetzen verankert gewesen ist. „Wir bieten bereits seit 10 Jahren einen Biodiversitäts-Check für Unternehmen an, der aufzeigt, wo individueller Handlungsbedarf besteht. Aber seitdem klar ist, dass Firmen künftig hierzu Bericht erstatten müssen, haben viel mehr Firmen diesen Check absolviert“, sagt der Experte.

Wie steigen Betriebe ins Thema ein? Am Anfang sollte die Identifikation der Abhängigkeiten der verschiedenen Unternehmensbereiche und der Auswirkungen auf die biologische Vielfalt stehen, rät Hörmann. „Umweltmanagementsysteme wie EMAS sind dabei hilfreich, weil sie Biodiversität berücksichtigen und auch die Dokumentation erleichtern.“ Anschließend geht es darum, wie der Betrieb positiv auf die biologische Vielfalt einwirken kann.

Dreiklang: vermeiden, reduzieren, aufwerten

„Ein Unternehmen sollte sich immer 3 Ziele setzen: erstens negative Wirkung vermeiden, zweitens verbleibende Wirkung reduzieren und drittens zur Schaffung oder Aufwertung von natürlichen Lebensräumen beitragen“, sagt Hörmann. So helfe es, je nach Standort Blühflächen anzulegen oder auf pflanzenbasierte Kläranlagen umzustellen, um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen.

Die biodiversitätsorientierte, also naturnahe Gestaltung von Gewerbeflächen wie bei EGGER hat den Vorteil, dass sich schon mit kleinen Flächen und geringem Budget positive Effekte erzielen lassen. „Und im Gegensatz zu Maßnahmen im Kerngeschäft greift die Gestaltung der Räumlichkeiten in der Regel nicht in den Betriebsablauf eines Unternehmens ein“, sagt Hörmann.

Finanzmittel im Budget einplanen

Für größere und damit kostspieligere Maßnahmen, die etwa auch die Lieferanten einschließen, rät der Experte, Mittel im Unternehmensbudget einzuplanen und sich über Fördermöglichkeiten zu informieren: „Es gibt einige zinsgünstige Darlehen und Zuschüsse, die Unternehmen für biodiversitätsfördernde Zwecke nutzen können.“

Das Familienunternehmen HiPP kann ebenfalls auf langjährige Erfahrung in puncto Biodiversität zurückblicken und gibt diese gern weiter. Seit rund 10 Jahren testet der Babynahrungshersteller aus Pfaffenhofen/Ilm auf seinem Musterhof für biologische Vielfalt, wie sich die Artenvielfalt fördern lässt.

Know-how-Transfer an Lieferanten

„Gemeinsam mit unserem Agrarmanagement haben wir eine Übersicht über unsere Biodiversitätsmaßnahmen erstellt, die wir unseren Lieferanten und auch Interessenten zur Verfügung stellen“, sagt Evi Weichenrieder, Leiterin Nachhaltigkeitskommunikation bei HiPP. Dabei geht es um Fragen wie: Warum ist extensive Beweidung so wichtig? Wie lässt sich ein naturnahes Kleingewässer anlegen, das gefährdeten Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bietet? Was muss getan werden, um die Bodenflora und -fauna zu erhalten?

„Darüber hinaus beraten wir gemeinsam mit dem Netzwerk Blühende Landschaft unsere Lieferanten zu strukturverändernden Maßnahmen“, so Weichenrieder. Was die künftigen Anforderungen an die Berichterstattung zu Biodiversität betrifft, ist sie optimistisch: „Wir haben 1995 unseren ersten Umweltbericht nach EMAS veröffentlicht, dadurch haben wir eine sehr gute Basis.“ Nur die Tatsache, dass es bei Biodiversität noch keine belastbaren Kennzahlen gibt, bereitet ihr etwas Kopfzerbrechen.

„Natur kommt zurück – wenn wir sie lassen“

Mut macht ihr, dass die auf dem Musterhof erprobten Maßnahmen offensichtlich auch andernorts anschlagen. „Ein Bauer mit konventioneller Landwirtschaft hat zahlreiche Vorschläge aus unserem Katalog umgesetzt und innerhalb eines Jahres beispielsweise deutlich mehr Bestäuber auf seinem Betrieb. Die Natur kommt also zurück – wenn wir sie lassen“, freut sich die HiPP-Sprecherin.

Jüngere Fachkräfte honorieren Engagement

Nachhaltiges Handeln lohnt sich in mehrfacher Hinsicht, ist auch EGGER-Manager Karlsdorfer überzeugt. „Das sehen wir einerseits im Wettbewerb mit anderen Anbietern, weil Kunden – etwa Hersteller von Naturkosmetik – unser Angebot als nachhaltige Druckerei gezielt nachfragen.“ Andererseits steige das Renommee als Arbeitgeber. „Wir merken ganz deutlich, wie gerade die jüngere Generation unser ökologisches Engagement als Pluspunkt für unsere Arbeitgeberattraktivität wertet.“

Das Stichwort: Biodiversität

Der Begriff Biodiversität umfasst die Vielfalt der Arten (Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen), der Gene (innerhalb einer Art) und der Ökosysteme (Wald, Meer, Flüsse, Land). Im Dezember 2022 fand im kanadischen Montreal die Weltnaturschutzkonferenz statt. Ziel war es, ein neues Biodiversitätsabkommen abzuschließen.

Die zentralen Ergebnisse: Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Landschaft und der Meere zu Schutzgebieten werden. Die Länder verpflichten sich zudem, mehr Geld in den Schutz der Artenvielfalt zu investieren. Reiche Staaten sollen ärmeren Ländern bis 2025 rund 20 Milliarden Dollar jährlich zahlen. Risiken aus Pestiziden und Düngemitteln für die Natur sollen halbiert werden.

Die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) sieht vor, dass bestimmte Unternehmen schrittweise ab 2024 darüber Rechenschaft ablegen müssen, wie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten von Nachhaltigkeitsfaktoren wie Biodiversität und Ökosystemen abhängen und welche Auswirkungen sie darauf haben.

Mehr Informationen zum Thema Biodiversität gibt es auf der IHK-Website

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