Klimaschutz | Standortpolitik

Gewinn in allen Dimensionen

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Erfrischend nachhaltig – der Wunsch nach Entschleunigung und Natur wächst

Angeschoben durch die Coronapandemie, gewinnt nachhaltiger Tourismus weiter an Relevanz. Nicht nur einzelne Anbieter, sondern komplette Regionen können von diesem Trend profitieren.

EVA ELISABETH ERNST, Ausgabe 07-08/2022

Das Bier kommt aus der hauseigenen Brauerei, alle anderen Speisen und Getränke stammen aus zertifiziert ökologischer Landwirtschaft. Es fließt ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien, der Einsatz von Plastik ist, soweit möglich, reduziert: Seit sieben Jahren sind der Garmischer Hof und das Hotel Bavaria in Garmisch-Partenkirchen bio-zertifiziert und Mitglieder des Vereins Bio Hotels.

»Persönliche Werte auch in unseren Hotels leben«

Ein Schritt, den die Hoteliersfamilie Seiwald-von Thurn trotz erheblicher Umstellungen nicht bereut. »Uns war es wichtig, die Werte, für die wir persönlich stehen, auch in unseren Hotels zu leben«, sagt Konstanze Seiwald-von Thurn (41).

Viele neue Stammgäste

»Mit der Bio-Zertifizierung haben wir uns in eine Nische begeben und uns spitzer aufgestellt.« Das kommt offenbar gut an: Über die Website des Vereins der Bio Hotels gehen zahlreiche Anfragen und Buchungen ein, beide Häuser haben so viele neue Stammgäste gewonnen.

Alle zwei Jahre wird der CO2 -Fußabdruck der beiden Hotels gemessen und der CO2 -Ausstoß kompensiert. »Durch den Vergleich mit den Werten der anderen Bio Hotels sehen wir, wo wir noch besser werden können«, erklärt Seiwald-von Thurn.

Alter Öltank für Grauwasser

Erhebliche Einsparungen brachte die Umstellung beider Häuser auf Fernwärme. Im Garmischer Hof dient der alte Öltank nun als Reservoir für eine Grauwasseranlage. »Wann immer wir Zimmer kernsanieren, stellen wir die Toilettenspülung auf Regenwasser um«, erklärt die Unternehmerin. Sie freut sich besonders darüber, dass ihre Mitarbeiter die Umstellung gern mitgetragen haben. Denn die Hoteliersfamilie will Erfolg nicht allein am finanziellen Gewinn messen.

In die 2016 veröffentlichte Gemeinwohlbilanz flossen auch sozial-gesellschaftliche Kriterien ein. Dafür wurden unter anderem die Beziehungen zu Lieferanten, Mitarbeitern und anderen Stakeholdern des Unternehmens untersucht. Einen wichtigen Punkt bildet für Seiwald-von Thurn der Einkauf bei lokalen Unternehmen – von der Kaffeerösterei über Naturkosmetikhersteller bis hin zum Möbelschreiner, der mit heimischem Kirschholz arbeitet.

Großer Wunsch: ökologische Nachhaltigkeit des Urlaubs 

Mit ihrem Engagement für mehr Nachhaltigkeit in ihren Betrieben kommt die Hoteliersfamilie den Wünschen zahlreicher Urlauber entgegen. Die Coronapandemie hat das Interesse an nachhaltigem Tourismus deutlich erhöht. 47 Prozent der Reisenden möchten, dass ihr Urlaub ökologisch nachhaltig ist, 64 Prozent wünschen sich einen möglichst sozialverträglichen Urlaub. Dies sind Ergebnisse der ReiseAnalyse 2022, einer repräsentativen Befragung der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V.

»Es geht auch um soziale und ökonomische Aspekte«

Anbieter, die sich auf diesen Trend einstellen, können zum Beispiel auf regionale Lieferanten setzen. Diese Zusammenarbeit sorgt für unverwechselbare Urlaubserlebnisse bei den Gästen und stärkt zugleich die regionale Wirtschaft. Beides zahlt nach Ansicht von Tourismusberaterin Greti Ladurner (48) auf nachhaltigen Tourismus ein. »Denn dabei geht es ja nicht nur um die Ökologie, sondern auch um soziale und ökonomische Aspekte.«

»Wertschöpfung für die Region«

Die Expertin war früher bei Südtirol Marketing tätig und unterstützt nun seit sieben Jahren Destinationen bei der Strategieentwicklung. Sie hat beim Thema Nachhaltigkeit das Gleichgewicht eines Lebensraums im Blick. Dazu gehört für sie auch ein gutes Verhältnis zwischen Gästen und Einheimischen. »Aus sozialer und ökonomischer Sicht ist es entscheidend, dass der Tourismus möglichst vielen Menschen in der Region Wohlstand und Wertschöpfung bietet«, so Ladurner. »Denn je mehr sie eingebunden werden, desto größer sind die Kraft und Dynamik einer Destination – und desto nachhaltiger die Aktivitäten.«

Nachholbedarf in Sachen Nachhaltigkeit

Für die Expertin gibt es in der Branche in Sachen Nachhaltigkeit durchaus noch einen gewissen Nachholbedarf, der sich unter anderem in Fachkräftemangel und Overtourism manifestiert. »Tourismusmanagement ist weitaus mehr als die reine Vermarktung einer Destination«, sagt sie. »Dabei sollte vielmehr das Management der Gesamtleistung und der Rahmenbedingungen im Vordergrund stehen. Dann kann Tourismus der Inkubator für ganzheitliche Entwicklungen in einem Lebensraum sein.«

Auch Martin Katz (66), ehemaliger Manager bei der FTI Group und heute Experte für Deutschland-Tourismus, sieht es als eine zentrale Aufgabe von Destinationen, die Interessen der Besucher mit denen der Einheimischen und denen der Umwelt zu koordinieren und für ein verträgliches Miteinander zu sorgen. »Sinnvoll ist es, Nachhaltigkeitsleitbilder und -Benchmarks zu definieren und sich proaktiv damit auseinanderzusetzen«, sagt Katz. »Wobei dazu auch Themen wie die Anreise von Urlaubs- wie Tagesgästen sowie die Mobilität vor Ort gehören.«

»Nachhaltigkeit ist ein Qualitätsmerkmal«

Aber auch die Politik sei gefordert: Sie sollte nachhaltige regionale Infrastrukturmaßnahmen fordern und fördern sowie die Betriebe vor Ort bei deren Umsetzung unterstützen. »Denn sowohl auf Einzelbetriebs- als auch auf Destinationsebene gilt: Nachhaltigkeit ist ein Qualitätsmerkmal«, betont der Experte. 

»Corona führte zu Wertewandel«

Das zunehmende Interesse an ökologisch nachhaltigem und sozialverträglichem Urlaub führt Katz nicht zuletzt auf die Folgen der Pandemie zurück: »Corona führte zu einem Wertewandel.« Der Wunsch nach Entschleunigung, Besinnung und Natur im Urlaub sei seither deutlich stärker ausgeprägt. »Leider hat es die Tourismuswirtschaft bislang noch kaum geschafft, ein Bewusstsein für den Mehrwert von Nachhaltigkeit für die Umwelt und den Kunden selbst zu schaffen und damit die Zahlungsbereitschaft dafür zu erhöhen«, meint er.

»Mit Preiswerbung aufhören«

Da seien andere Branchen, etwa die Lebensmittelbranche, weit voraus. »Weiterhin auf den niedrigsten Preis anstatt auf Qualität zu setzen, ist daher der falsche Weg«, sagt Katz und rät allen touristischen Leistungsträgern, von Hoteliers über Airlines bis hin zu Reiseveranstaltern, mit der Preiswerbung aufzuhören und darauf zu setzen, dass immer mehr Kunden dazu bereit sind, für Nachhaltigkeit und Qualität einen angemessenen Preis zu bezahlen.

5 Tipps für mehr Nachhaltigkeit

Wie können Betriebe Ökologie, Ökonomie und Soziales miteinander in Einklang bringen? Tourismusberaterin Greti Ladurner empfiehlt Unternehmern Folgendes:

  1. Während es beim Thema Nachhaltigkeit aus Unternehmenssicht vor allem um die schonende Nutzung von Ressourcen geht, verbinden die Gäste damit Genuss, Identität, Kultur und authentische Urlaubserlebnisse. Diese Gastsicht sollten Sie bei Ihren Kommunikationsmaßnahmen unbedingt im Blick haben.
  2. Gäste können kaum alle Angaben zur Nachhaltigkeit eines Betriebs nachprüfen. Für eine hohe Glaubwürdigkeit sollten Sie daher auf allgemein bekannte und anerkannte Siegel setzen.
  3. Kooperieren Sie mit Menschen und anderen Leistungsträgern in Ihrer Region, die den Schwerpunkt ebenfalls auf Nachhaltigkeit legen. Noch besser ist es natürlich, wenn sich eine gesamte Destination glaubhaft dafür einsetzt.
  4. Nachhaltigkeit erstreckt sich auch auf die Mitarbeiter: Sorgen Sie für einen hohen Anteil an dauerhaften Arbeitsverhältnissen, für Weiterbildungen, Karrieremöglichkeiten, bezahlbaren Wohnraum, familienfreundliche Arbeitsplätze und Chancengleichheit. Das sind zugleich wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel.
  5. Legen Sie nun, beim Neustart nach Corona, den primären Fokus nicht auf die Erhöhung der Auslastung, sondern reservieren Sie Budgets und Kapazitäten zur nachhaltigen Angebotsentwicklung und Weiterbildung.

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