Standortpolitik

Neuanfang im Zentrum

WSP Pfaffenhofen ©
Kommunen sind in der Pflicht, für belebte Zentren zu sorgen, findet Philipp Schleef, Projektmanager der Wirtschafts- und Servicegesellschaft in Pfaffenhofen a. d. Ilm

Lockdowns, Maskenpflicht und Abstandsregeln sorgen für beklemmend leere Stadtzentren. Corona hat die Veränderungsprozesse in unseren Innenstädten stark beschleunigt. Jetzt sind neue Konzepte gefragt.

Eva Elisabeth Ernst, Ausgabe 05/2021

Eine große Vielfalt an Einzelhandelsgeschäften, üppige Wochenmärkte, ein breites Spektrum an Gastronomie- und Dienstleistungsbetrieben, dazu spannende Freizeit- und Kulturangebote, die für gemeinsame Erlebnisse sorgen. Und viele, viele Passanten, die einkaufen, bummeln oder einfach nur das angenehm gestaltete Umfeld mit passender Stadtmöblierung, viel Grün, Schatten und Wasser genießen: So stellt sich Christian Hörmann eine attraktive Innenstadt vor – und er weiß, dass die meisten Menschen das genauso sehen. Der 47-Jährige leitet das Münchner Büro der cima Beratung + Management GmbH, die sich mit Stadt- und Regionalentwicklung beschäftigt.

Die meisten Innenstädte in Deutschland entsprachen allerdings schon vor Corona kaum diesem Ideal und litten entsprechend unter rückläufigen Passantenfrequenzen, Leerständen und Attraktivitätsverlusten. Knapp die Hälfte der Kommunen, die sich an einer Umfrage der Bundesstiftung Baukultur beteiligten, meldeten bereits 2019, dass bei ihnen selbst in Top-Lagen Ladengeschäfte leer stehen.

»Corona hat die Veränderungsprozesse in den Innenstädten stark beschleunigt«, sagt Carla Kirmis, Referentin Handel und E-Commerce bei der IHK für München und Oberbayern. »Jahrzehntelang sorgte vor allem der Einzelhandel dafür, dass Menschen in die Innenstadt kamen. Durch den Onlinehandel hat sich das Einkaufsverhalten jedoch nachhaltig verändert. Jetzt brauchen die Innenstädte zusätzliche Frequenzbringer und Erlebniskonzepte, von denen wiederum auch Handel und Gastronomie profitieren.«

Der klassische Einkaufsbummel ist zwar nach wie vor die Hauptmotivation für einen Besuch der Innenstadt, das gilt jedoch vor allem für reifere Semester: Rund zwei Drittel der über 51-Jährigen nannten diesen Besuchsgrund, als sie im Herbst 2020 vor dem zweiten Lockdown für die Studie »Vitale Innenstädte« des IFH Köln befragt wurden. Bei den unter 25-Jährigen kam dagegen nur die Hälfte zum Shoppen ins Zentrum. »Die Rolle als wichtigster Frequenzbringer wird der Handel künftig nicht mehr allein leisten können«, prognostiziert cima-Experte Hörmann. »Gastronomie, Kultur, Bildung, Gesundheit und auch das Wohnen werden in lebendigen Innenstädten wieder wichtigere Rollen spielen und für mehr Vielfalt und Leben sorgen.«

»Geschäftsbetreiber mit persönlicher Note«

Schließlich waren die Straßen und Plätze in Top-Lagen nach Geschäftsschluss auch ohne Pandemie und Ausgangssperren häufig leer gefegt. Dennoch, fordert Hörmann, müsse auch der klassische stationäre Handel seine Hausaufgaben machen, um weiterhin Kunden in die Geschäfte und damit auch in die Innenstädte zu holen.

Dies betont auch Philipp Schleef (36). Er ist in Pfaffenhofen a. d. Ilm als Projektmanager der WSP – Wirtschafts- und Servicegesellschaft mbH für den digitalen Marktplatz der Kommune verantwortlich. Er soll den Händlern, Gastronomen, Handwerkern und Dienstleistern aus Pfaffenhofen unter www.besserdaheim.de ein Schaufenster im Internet inklusive Onlineshop bieten. »Eine Innenstadt braucht Geschäftsbetreiber mit persönlicher Note, die nicht nur ihre Ware absetzen, sondern die Wünsche ihrer Kunden erfüllen wollen«, betont Schleef.

Höhere Wertschätzung für Angebote vor Ort

Er geht nicht davon aus, dass nach Corona wieder genauso eingekauft wird wie zuvor. »Die Innenstädte werden zwar wieder besucht werden. Aber in der Pandemie haben die Kunden gelernt, online einzukaufen, und werden das wohl auch weiterhin tun«, sagt Schleef. Er rechne damit, dass die Gastronomie in den Innenstädten künftig eine größere Rolle spielen werde. Und auch die Kultur- und Freizeitangebote vor Ort, die heimischen Museen und Sehenswürdigkeiten, dürften wieder höhere Wertschätzung erfahren. »Aber auch darüber hinaus sind die Kommunen in der Pflicht, für belebte Zentren zu sorgen«, sagt Schleef.

Tipp: dezentraler Restart nach dem Lockdown

Berater Hörmann empfiehlt Kommunen, eine Art dezentralen Restart nach dem Lockdown mit Märkten, Musik und Veranstaltungen im öffentlichen Raum zu planen und die Rahmenbedingungen langfristig so zu gestalten, dass sich die Menschen wieder gern in den Stadtzentren aufhalten. »Dazu braucht man ein Citymanagement, das sich um die vielfältigen Belange der Innenstadt kümmert – ähnlich wie das Centermanagement in Einkaufszentren«, sagt der Berater. Diese Experten für die Innenstadtwirtschaft sollten allerdings deutlich mehr Kompetenzen haben, als sich um die jährliche Weihnachtsbeleuchtung zu kümmern, und auch über entsprechende Budgets verfügen. »Bislang fehlt es in vielen Kommunen an schlüssigen Gesamtkonzepten für die Zentren«, stellt Hörmann fest. »Eine vorbildlich sanierte Altstadt allein genügt leider nicht.«

Multifunktionale Zentren

Als relativ robust erwiesen sich bereits vor Corona Kommunen mit multifunktionalen Zentren und zahlreichen inhabergeführten Geschäften, die keine Einzelhandelszentren auf der grünen Wiese zugelassen haben. Zur Belebung der Innenstädte kann auch das Internet einen Beitrag leisten – vorausgesetzt, der Kommune gelingt es, die Angebote der Stadt digital sichtbar zu machen. »Die Menschen informieren sich heute online, bevor sie sich auf den Weg machen. Und sie suchen auch während des Stadtbummels online nach Informationen, allen voran den Öffnungszeiten«, berichtet Hörmann.

Schub für den lokalen Onlinemarktplatz

In Pfaffenhofen brachte Corona einen deutlichen Schub für den lokalen Onlinemarktplatz: Die Zahl der Unternehmen, die die Plattform besserdaheim.de nicht allein als Schaufenster nutzen, sondern auch Produkte eingestellt haben, ist deutlich gestiegen. Sie konnten auch während des Lockdowns Umsätze erzielen. »Eine Kommune muss heute nicht nur den Gehweg hübsch pflastern, sondern auch die digitale Infrastruktur zur Verfügung stellen und virtuell abbilden, was es vor Ort zu erleben und zu kaufen gibt«, betont Schleef. Die Stadtportale dürften zudem davon profitieren, dass während Corona ein gewisser Lokalpatriotismus gewachsen sei und der Einkauf in regionalen, inhabergeführten Geschäften an Beliebtheit gewinne.

Leerstände contra Lokalpatriotismus

Um Städte »neu zu denken«, wie es cima-Berater Hörmann formuliert, sollten neben Kommunen sowie Einzelhändlern, Gastronomen und Dienstleistern einer Innenstadt ebenso die Immobilienbesitzer eingebunden werden. »Leerstände und Flächenüberhang werden weiter rapide steigen, die Mieten sind rückläufig«, so der Experte. Der Einzelhandel werde künftig weniger Fläche benötigen. Daher sei es an der Zeit, Handelsimmobilien zu repositionieren und umzubauen – »und zwar am besten mit Fokus auf neue Vielfalt in der Innenstadt«.

Nutzung bestehender Gebäude verändern

Dass der großflächige Einzelhandel mit Flächen, die sich über mehrere Etagen erstrecken, an seine Grenzen gekommen ist, bekräftigt auch Christian Balletshofer (53), der als Geschäftsführer der Bayerischen Hausbau GmbH & Co. KG für das Geschäftsfeld Immobilien verantwortlich ist: »Einzelhandel wird sich künftig im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss abspielen.« Die Nutzung bestehender Gebäude zu verändern, ist jedoch nicht ganz einfach. Neben genehmigungsrechtlichen Aspekten inklusive Brandschutz lauern architektonische Herausforderungen: So gibt es in typischen großflächigen Einzelhandelsimmobilien etwa kaum Tageslicht in den Innenbereichen. Treppen und Aufzüge befinden sich häufig nicht im Eingangsbereich, sondern im Inneren des Gebäudes.

Zum Immobilienbestand der Bayerischen Hausbau zählen mehr als 140 Objekte. Die Gewerbeflächen im Portfolio summieren sich auf 1,8 Millionen Quadratmeter. Davon entfällt knapp ein Fünftel auf Einzelhandelsflächen, darunter sind mehrere Immobilien in der Münchner Fußgängerzone. »Vor Corona konnten wir die Mieter für unsere Einzelhandelsimmobilien aus einem Pool von Interessenten auswählen«, berichtet Balletshofer. »Das ist jetzt nicht mehr ganz so einfach. Zudem brachte die Pandemie einen deutlichen wirtschaftlichen Einschnitt für unsere Mieter und damit auch für uns.«

Daher sei man intensiv im Austausch, um gemeinsam zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Dass die Bayerische Hausbau in der Vergangenheit in architektonisch anspruchsvolle Gebäude und hochwertige Ausstattung investiert habe, erweise sich nun genauso als Vorteil wie das breite Portfolio an Büro- und Wohnimmobilien.

Trend zu mehr Gastronomie in den Einkaufsmeilen

Balletshofer rechnet ebenfalls damit, dass der Trend zu mehr Gastronomie in den Einkaufsmeilen anhalten wird: »Die Gastronomie wird sich daher schnell und gut erholen.« Das spielt auch für das neue Hotel der Kategorie »5-Sterne ultra luxury«, das die Bayerische Hausbau derzeit in der Münchner Altstadt entwickelt, eine wichtige Rolle: Denn neben Spa und Innenhof werden auch dessen gastronomische Angebote öffentlich zugänglich sein. »Damit vitalisieren wir eine bislang eher ruhige Ecke im Zentrum Münchens«, sagt Balletshofer. »Und auch die Gäste des neuen Hauses werden einen Beitrag zur Belebung der Innenstadt leisten.«

IHK-Service: Fünf Tipps für Einzelhändler

Was können mittelständische Händler tun, damit auch weiterhin Kunden in ihre stationären
Läden kommen? Christian Hörmann vom Münchner Büro der cima Beratung +
Management GmbH
empfiehlt:

  1. Aktualisieren Sie Ihr Geschäftskonzept, indem Sie Ihren Kunden Besuchsanlässe bieten. Laden Sie zum Beispiel zu Genussnachmittagen ein, veranstalten Sie kleine Events und setzen Sie in Ihrem Geschäft auf Aus- und Anprobieren, Riechen, Schmecken, Fühlen und Testen.
  2. Sorgen Sie für ein attraktives, regelmäßig neu gestaltetes und auch nachts gut beleuchtetes Schaufenster. Nutzen Sie die Zone vor dem Laden nicht nur für Sonderangebote.
  3. Machen Sie Ihren Kunden den Einkauf so komfortabel wie möglich. Bieten Sie Lieferservices und/oder kuratiertes Shopping an. Stellen Sie sicher, dass Ihre Mitarbeiter die Kunden wirklich gut beraten.
  4. Schließen Sie sich mit anderen Händlern und Dienstleistern zusammen – für gemeinsame Aktivitäten und Kundenbindungsprogramme wie Gutscheine oder Kundenkarten.
  5. Kümmern Sie sich darum, dass Sie online auffindbar sind: Tragen Sie alle Informationen zu Ihrem Geschäft zumindest bei Google my Business ein, bespielen Sie Social-Media-Kanäle wie Facebook und Instagram und – besonders wichtig – nutzen Sie die Chancen, die Ihnen lokale Initiativen und Onlinemarktplätze bieten.

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