Klimaschutz | Standortpolitik

„Dissonanz macht uns fertig“

Anke Illing ©
„Menschen sind unglaublich bereit zu helfen.“ Neurowissenschaftlerin Franca Parianan

Neurowissenschaftlerin Franca Parianen erklärt, warum wir angesichts des Klimawandels und sozialer Spannungen oft nicht das tun, was wir tun müssten – und es dennoch Hoffnung gibt.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 01–02/2024

Frau Parianen, Ihre Keynote auf dem 11. Bayerischen CSR-Tag in der IHK lautete „Warum wir zukünftig stärker zusammenhalten müssen, aber nicht wollen“. Wir können viel mehr, als wir uns selbst zutrauen – lässt sich die Botschaft so zusammenfassen?

Ich glaube, das trifft es ganz gut. Nur stehen wir uns ständig selbst im Weg.  

Als Beispiel dafür nennen Sie die Dekarbonisierung der Schifffahrt. Was läuft denn da schief?  

Man kann da sehr gut sehen, woran unser System krankt. Da hat man ein großes Ziel: Bis 2050 soll die Schifffahrt emissionsfrei sein …

Das ist doch gut.

Ja, aber das Problem beginnt schon damit, dass die meisten nur an Kreuzfahrtschiffe denken, sprich an Privatvergnügen. Die machen aber nur etwa 3 Prozent der CO2-Emissionen aus. Wir müssen also an die Containerschiffe ran und da geht es um den Kern unserer Wirtschaft. Wir verschiffen 80 Prozent aller weltweit transportierten Waren, davon hängen in Europa Millionen Arbeitsplätze ab. Und sofort greifen die alten Reflexe: Dekarbonisierung? Zu teuer, kostet über 30 Milliarden US-Dollar jährlich. Technisch nicht machbar.

Und? Ist das so?

Das ist alles Unsinn. Ja, das Problem ist groß und komplex, aber in großen Teilen auch schon lösbar: mit alternativen Kraftstoffen, langsamerem Tempo und Modernisierung von Schiff bis Schraube. Jetzt entdeckt man wieder, was man schon vor 100 Jahren erfunden und entwickelt hatte: Containersegelschiffe, Boote, die auf Metallstangen segeln. 1925 kam das erste Rotorenschiff aus einer Hamburger Werft. Damals war man sich sicher: Das ist die Zukunft. Aber dann hat man alles aufgegeben. Man verfeuerte Öl und Kohle, die Vorkommen schienen endlos, an das Klima dachte niemand.

Klar ist doch: Wir müssen in den nächsten 6 Jahren Emissionen auf den absoluten Tiefstand drücken, um die Welt, wie wir sie kennen, zu retten. Wenn wir hier auf diesem Planeten glücklich miteinander leben wollen, brauchen wir eine Einigung auf gemeinsame Ziele. Klar kann man über das „Wie“ streiten, aber doch nicht über das „Ob“!

Alternativlos: CO2 bis 2030 auf Tiefstand bringen

Gibt es diese gemeinsamen Ziele denn in unserem Land?

Aber sicher. Wir sind doch in den meisten Fragen gar nicht weit auseinander. Über Ernährung nachzudenken – das ist nicht berlinerisch, das brüten auch keine Ökos im Prenzlauer Berg aus. Das Thema beschäftigt auch die Münchner. Als Landwirt will ich ebenfalls nicht, dass Tiere leiden, dass ich im Preis unterboten werde von Leuten, denen alles egal ist.

Mitgefühl und Solidarität stärker als Egoismus

Wäre der erste Schritt, uns glücklicher zu machen, nicht einfach, uns wie mündige Bürger anzusprechen und zu behandeln?

Das ist ein guter Punkt. Menschen sind von sich aus instinktiv eher solidarisch, auch wenn dieser Impuls später oft zerredet wird. Sie handeln nicht nur wie Egoisten. Als die Ukraine-Flüchtlinge am Berliner Bahnhof ankamen, gab es wochenlang eine Warteliste für Berliner, die helfen wollten. Wir hatten zu viele Freiwillige.

In der Coronazeit hatten wir Einkauflisten. Da konnte man sich eintragen, wenn man freiwillig Einkäufe miterledigen wollte – für Alte, Kranke und Menschen aus Risikogruppen. Da war die Helferliste immer viel länger als die Liste der Menschen, die Hilfe brauchten.

Nötig: Klare Ansage, was jede/r tun kann

Warum ist diese Solidarität dann kein Dauerzustand?

Die Menschen sind unglaublich bereit zu helfen. Aber man muss es ihnen leicht machen. Man muss ihnen klar sagen: Das könnt ihr jetzt machen, um das und das zu erreichen. Diese Botschaft fehlt momentan. Da herrscht Funkstille. Allgemein gilt: Wir sehen und hören die Nachrichten über die Klimakatastrophe und machen das Gegenteil von dem, was nötig wäre.

Machen wir das aus Selbstschutz? Nach dem Motto: Wenn wir die Katastrophe nicht stoppen können, hilft uns das Verdrängen?

Das wird gerade beim Klima nicht funktionieren. Nichts zu tun, obwohl man weiß, was man tun müsste – diese Dissonanz macht uns auf Dauer fertig. Das ist nicht durchzuhalten.

Unternehmen als Multiplikatoren

Wie gehen denn Unternehmen mit dieser Lage um?

Denen geht es auch nicht besser. Der Unterschied ist nur: Unternehmer sind in der Regel Leute, denen man mehr zutrauen kann, weil sie mehr anpacken. Als einzelne Menschen fühlen wir uns oft hilflos – Unternehmen können unendlich viel bewirken: klimabewusste Geldanlagen, Solarpaneele auf dem Dach, CO2-neutrale Lieferketten, Bahncards für die Belegschaft oder wenigstens kleinere Dienstwagen. Ich war neulich bei einer Versicherung, da hat der Chef gleich am Anfang erzählt, wie viel sie schon verdient haben mit der Versicherung von Windrädern. Klimaschutz bedeutet auch gutes Geschäft und vor allem motivierte Mitarbeitende.

Von Care-Arbeit profitieren alle

Zählt dazu auch das „Zusammenhalten“, das Motto des CSR-Tags?

Sicher, wir können gar nicht anders, weil wir eben soziale Wesen sind. Nur wird das hartnäckig ignoriert. Die Care-Arbeit aus Kinderversorgung & Co. macht ungefähr 35 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts aus. Da kommt keine Industrie mit. Trotzdem wird alles Soziale nur negativ gesehen: Das steht für Kosten, Belastung, Sozialausgaben, das gilt als unproduktiv. Dabei ist das die wichtigste Wertschöpfung, die wir haben. Davon profitieren alle, auch die Unternehmen.

Hürden für Einwanderer abbauen

Unternehmen fordern eine Willkommenskultur für Fachkräfte aus dem Ausland. Aber wie soll die entstehen, wenn laufend Abschottung gefordert wird?

Da geistern irre Vorstellungen durch die Welt. Eine davon lautet: Alle reißen sich darum, nach Deutschland zu kommen. Tatsächlich bevorzugen die meisten Menschen, die die Wahl haben, also nicht akut auf der Flucht sind, schon wegen der Sprache andere Länder. Englisch und Französisch sind geografisch weiter verbreitet. Wir wissen, dass die deutsche Verwaltung es Leuten sehr schwer macht, bei uns reinzukommen. Zudem wirkt das deutsche Schulsystem wie eine große Integrationshürde.

Wie könnte man das ändern?

Man muss sich große Ziele setzen und die ernsthaft verfolgen. Eine Regierung muss Visionen entwickeln. Wir müssen Ideen dafür haben, wie das Land in zehn Jahren aussehen soll.

Es für die Menschen besser machen

Ist das nicht zu viel verlangt angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich die Welt wandelt?

Sorry, aber Personalchefs fragen bei jedem Bewerbungsgespräch: Wo siehst du dich in 5 Jahren? Gleichzeitig wüsste ich von wenigen in der Politik, was sie darauf ganz konkret antworten würden. Wir reden über Schlagworte wie den Digitalisierungsturbo. Wo aber sehen wir die Menschen in 5 Jahren? Geht es ihnen dann besser? Und was machen wir für sie besser? Darauf gibt es keine Antworten.

Jetzt gestalten statt aufschieben

Sind die Menschen denn veränderungsbereit genug?
Es gibt das Sprichwort: Wenn der Wind kommt, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen. Mauern helfen nicht. Die stemmen sich gegen Veränderung, bis sie einbrechen. Wenn wir so klug sind, jetzt den Wind zu nutzen, haben wir viel Spielraum, um den Wandel zu gestalten und sogar zur Verbesserung zu nutzen. Wenn wir es weiter aufschieben, wird die Klimakatastrophe für die Veränderung sorgen – und das wird niemandem von uns gefallen.


Zur Person: Franca Parianen

Franca Parianen ist promovierte Neurowissenschaftlerin mit Zusatzabschluss in Social Entrepreneurship und Public Administration. Als Science-Slammerin und Wissenschaftskommunikatorin bringt sie Forschungsergebnisse auf deutsche Bühnen.
Auch als Autorin hat sich Parianen einen Namen gemacht mit Titeln wie „Teilen und Haben: Warum wir zusammenhalten müssen, aber nicht wollen“.

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