Predigtstuhlbahn: Zeitreise ins Jahr 1928
Die Predigtstuhlbahn ist die älteste Seilschwebebahn der Welt und ein ganz besonderes Tourismusziel in Oberbayern. Seit 2012 gehört sie zur Unternehmensgruppe Max Aicher.
Von Sebastian Schulke, IHK-Magazin 07-08/2024
Was da an dem dicken Seil aus Stahl hängt, ist ein sogenannter Dummy. Ein Dummy, der nur vorübergehend im Einsatz ist. In diesem Fall ist es eine rote Gondel mit einer weißen Eins darauf. Sie trudelt gerade unten in der Talstation ein, hat ein paar Fahrgäste vom Gipfel des Predigtstuhls zurück ins Tal nach Bad Reichenhall gebracht. So, wie es das Original schon seit knapp 100 Jahren tut. „Dieses Original befindet sich jedoch in der Werkstatt“, sagt Stephan Semmelmayr, Geschäftsführer der Predigtstuhlbahn GmbH & Co. KG, der ältesten Seilschwebebahn der Welt. „Die alte Gondel wird dort von Kopf bis Fuß zerlegt und nach den Auflagen des Denkmalschutzes instandgehalten.“
300.000 Euro für eine Gondel
Ein sehr aufwendiges Unterfangen. Jede Schraube, jede Leiste und jedes noch so kleine Bauteil muss dem Original entsprechen. Das gilt für die gesamte Anlage der Bergbahn. „300.000 Euro kostet uns die Instandhaltung dieser einen Gondel“, erklärt Semmelmayr. Und auch alles andere wird entsprechend aufwendig repariert beziehungsweise restauriert. „Wer sich bei uns eine Fahrkarte kauft, beginnt eine Zeitreise ins Jahr 1928“, sagt der Geschäftsführer und steigt in den Dummy.
Meilenstein der Ingenieurskunst
Die Fahrt von der Tal- bis zur Bergstation auf 1.584 Metern dauert 8,5 Minuten. Die Streckenlänge beträgt 2.380 Meter, dabei überwindet die Gondel 1.140 Höhenmeter. Das Seil verläuft über 3 mächtige, in Stahlbeton gegossene Stützen, die markant bis zu 32 Meter hoch aus dem Fels ragen. „Die Predigtstuhlbahn ist damals ein Meilenstein der Ingenieurskunst gewesen und setzte Maßstäbe“, erzählt Semmelmayr. „Das erhalten wir nicht einfach nur, sondern machen es für unsere Fahrgäste erlebbar und greifbar.“
Ein Blick zurück: Um die 1920er-Jahre ist in Bad Reichenhall nicht viel los. Die goldenen Jahre, in denen die Königshäuser aus Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland in dem Kurort verweilten, sind vorbei. Der Erste Weltkrieg, der Sturz der Monarchie und die Hyperinflation in Deutschland haben tiefe Spuren hinterlassen. Bad Reichenhall muss etwas tun, will mit der Zeit gehen und vor allem den internationalen Jetset anlocken.
Seilbahn war touristisches i-Tüpfelchen
So baut der Kurort, der seit 1890 auf Verfügung des bayerischen Prinzregenten den Zusatz „Bad“ führen darf, 1926 einen Linienflughafen und errichtet ein zentrales Kurmittelhaus. Damit nicht genug. Die Predigtstuhlbahn soll das i-Tüpfelchen des Ganzen sein. Direkt neben der Bergstation wird zudem ein Hotel mit 70 Betten gebaut, das wie ein tibetisches Bergkloster aus den Felsen am Gipfel ragt.
Der Plan geht auf. Gäste aus aller Welt strömen in den Kurort. Doch der Zweite Weltkrieg macht erneut einen Strich durch die Rechnung. Bad Reichenhall wird zu einem riesigen Lazarett. Nach den Kriegswirren wird klar: Die glorreichen Zeiten des mondänen Weltkurorts neigen sich endgültig dem Ende zu. Das bekommt auch die Bergbahn zu spüren. Der aufkommende Wintersport lockt zwar kurzzeitig mehr Menschen auf den Predigtstuhl – doch insgesamt gehen die Besucherzahlen zurück. Außerdem werden in den umliegenden Tälern ebenso Bergbahnen gebaut.
Rettung wegen persönlicher Verbundenheit
2009 folgt die Insolvenz, der Fahrbetrieb wird allerdings aufrechterhalten. Hotel und Restaurant werden geschlossen. 2012 kauft Max Aicher mit seiner Unternehmensgruppe die Bahn – samt Berghotel und der Alm in der Schlegelmulde. „Ich bin Bad Reichenhaller und habe hier als Kind das Skifahren gelernt“, erzählt Aicher, „bin also mit dem Predigtstuhl eng verbunden. Außerdem ist für mich als Ingenieur die alte Bahn, die seit 2006 unter Denkmalschutz steht, ein Hit.“
Die rote Gondel schwebt gerade mit 18 Stundenkilometern recht leise und angenehm Richtung Gipfel. Die Talstation wird immer kleiner, der Ausblick über Bad Reichenhall, die Berge und Täler immer imposanter. Bis zu 25 Personen plus Schaffner haben Platz und können aus dem 12-eckigen Corpus mit Steh- und Sitzplätzen den Rundumblick genießen. Die Scheiben sind damals wie heute aus Plexiglas – vor 100 Jahren ein ganz neues und innovatives Material. „Die Techniker von Bleichert-Zuegg entwickelten damals diese neue Form für Gondeln, die eine bessere Aerodynamik brachte und mehr Komfort bot“, erklärt Semmelmayr.
Denkmalgeschützt, aber voll einsatzfähig
Als der schwebende Pavillon in der Bergstation ankommt, geht der Geschäftsführer in den Maschinenraum. Der riesige Dieselmotor eines Schiffs zieht die Blicke auf sich. „Der war bis 1941 im Einsatz. Dann erfolgte die Elektroenergieversorgung per Freileitung aus dem Tal“, sagt Ralf Urban. Er ist Diplom-Ingenieur und seit 21 Jahren Betriebsleiter der Predigtstuhlbahn.
„Es schaut hier aus wie in einem Museum“, meint Urban. „Doch die gesamte Anlage ist noch voll in Betrieb.“ Mike Pallentin, der Maschinist, kommt herein. Er legt einen großen Hebel an der altertümlichen Schalttafel um und bringt die Anlage wieder zum Laufen. „Jetzt wird’s laut. Die Gondeln fahren wieder“, so Urban. „Die eine Richtung Tal, die andere Richtung Bergstation.“
Komplett analoger Betrieb
Der Antrieb der Bahn befindet sich in der Bergstation. Hier hat auch Maschinist Pallentin seinen Fahrstand, der sich direkt über dem Bahnsteig befindet. Riesige Telefone hängen an der Wand. Ein sogenannter Fahrbildanzeiger verdeutlicht, wo sich die beiden roten Gondeln gerade befinden. „So kann ich auch bei Nacht und Nebel fahren“, sagt Pallentin. Ein elektrischer Umformer versorgt den Gleichstromantriebsmotor mit Energie, um das Zugseil in Gang zu setzen. Dieses läuft über eine riesige Treibscheibe aus Stahlguss.
Zahnräder in groß und klein drehen sich dazu. Ein Konstrukt, das komplett analog läuft und bestens funktioniert.
Außerdem befindet sich hier oben die Verankerung der beiden Tragseile, die jeweils einem Zug von bis zu 85.000 Kilogramm standhalten müssen und die unten in der Talstation durch zwei riesige Stahlbetonblöcke (50 Tonnen schwer), die sich in einem 11 Meter tiefen Schacht befinden, gespannt werden. Aus technischen Gründen und um den Sicherheitsanforderungen zu entsprechen, werden die Tragseile alle 12 Jahre um etwa 6 Meter verzogen. „Es wird noch Jahrzehnte dauern“, meint Urban, „bis wir das gute alte Tragseil dann auch mal austauschen müssen.“
Digitales Back-up
Eimer mit schwarzem Fett stehen im Maschinenraum. „Damit schmieren wir die Zahnräder jeden Tag ein“, erzählt Urban und führt uns in einen kleinen Nebenraum, der so überhaupt nicht in das nostalgische Bild der alten Bergbahn passt. Ein großer Flachbildschirm steht hier, daneben graue Schaltschränke mit elektrischen Modulen. „Das haben die Behörden vor 6 Jahren so verlangt, obwohl unsere Seilschwebebahn seit knapp 100 Jahren tadellos läuft“, sagt Semmelmayr. Das digitale Kontrollsystem diene als Back-up und springe im Notfall ein.
Neue Attraktionen geplant
Das Hotel oben am Predigtstuhl ist seit 10 Jahren wegen Sanierungsarbeiten nicht mehr in Betrieb. „Da ist noch nicht ganz klar, wie wir das weiter nutzen können“, meint Geschäftsführer Semmelmayr, der bereits eine neue Attraktion vor Augen hat.
Natur und Geschichte zugleich erleben
Er verlässt den Maschinenraum und tritt auf die große, verglaste Terrasse des Restaurants. Ein traumhafter Blick über die Alpen bietet sich hier. „Neben unserem sehr nostalgischen Restaurant aus den 1930er-Jahren soll es bald auch ein Predigtstuhl-Museum geben“, verrät der Geschäftsführer. „So können unsere Fahrgäste die Historie unserer Seilschwebebahn nicht nur während der Fahrt erleben, sondern direkt danach entdecken, was alles hinter diesem Wunderwerk der Technik steckt – in Form von alten Fotos, Plakaten, Maschinen, Bauteilen und spannenden Geschichten von Zeitzeugen.“
Instandhaltung kostet viel Geld
Finanziert wird die denkmalgeschützte Predigtstuhlbahn von der Max-Aicher-Stiftung. Um die 50.000 Fahrgäste steigen jedes Jahr in die roten Gondeln. Die Fahrpreise sind im Vergleich zu anderen, modernen Bergbahnen recht hoch. Erwachsene zahlen für eine Berg- und Talfahrt 49 Euro. Kinder ab sieben Jahren 39 Euro. Dennoch schreibt die Bergbahn in Bad Reichenhall rote Zahlen, da die Instandhaltungskosten so hoch sind.
„Schwebendes Museum“
Für die Besucher lohne sich die Fahrt in jedem Fall, meint Semmelmayr. „Denn bei uns bekommt man dafür nicht nur Natur und tolle Einkehrmöglichkeiten geboten. Wir sind ein schwebendes und sehr lebendiges Museum.“