Klimaschutz
„Es geht auch ganz ohne Bürokratie“

DIHK-Präsident Peter Adrian über die Energiekrise, Lösungen für den Fachkräftemangel, Pragmatismus und den wichtigsten Tipp, den er für den Kanzler hat.
Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 09/2023
Herr Adrian, Sie sind als Unternehmer auch in Oberbayern aktiv und sagen: Wenn ein Preuße gutes Geschäft machen wolle, müsse er nach Bayern kommen. Was läuft im Freistaat besser als im Rest der Republik?
Wenn ich hier in Oberpfaffenhofen oder in Starnberg zum Landrat gehe und sage, wir planen ein Bauvorhaben für die Uni München, wir brauchen dafür eine Genehmigung, dann sagt mir der Landrat: Ich kümmere mich darum. Das funktioniert dann auch. Was man hier in Bayern spürt: Die Behörden arbeiten lösungsorientiert. Wir reden viel über Bürokratieabbau. Ein großer Schritt dafür ist schon, wenn Sie in den Behörden einen festen und lösungsorientierten Ansprechpartner haben. Das ist schon die halbe Miete.
Es könnte doch sein, dass Sie einfach Glück hatten mit Ihren Landräten.
Vielleicht, aber nach meiner persönlichen unternehmerischen Erfahrung ist Bayern in diesem Punkt im Schnitt besser. Anderes Beispiel: Ich habe hier ständigen Kontakt zur Luftfahrtbehörde, das ist die Regierung von Oberbayern in München. Wenn wir da einen Antrag stellen, sind die in der Regel in der Lage, binnen 24 Stunden eine schriftliche Genehmigung per E-Mail zuzuschicken. Die Verwaltung arbeitet in Bayern tatsächlich häufig so, wie man sich das als Unternehmer wünscht: pragmatisch, schnell und lösungsorientiert.
Lösungsoffen statt ideologisch
Was verstehen Sie unter Pragmatismus?
Dieser Begriff steht für das Prinzip trial and error. Ich halte ihn deshalb für so wichtig, weil er auch unser Leben ausmacht. Wir haben ein Problem. Dann suchen wir eine Lösung dafür. Wenn die nicht passt, korrigieren wir unseren Ansatz. Wir probieren etwas Neues aus. Das ist das Gegenteil von einer starren ideologischen Vorgehensweise, die sich den Weg zu einer vielleicht besseren Alternative oft selbst verbaut.
Pragmatisch oder ideologisch – ist es letztlich nicht egal, wie man ein Problem in den Griff bekommt?
Wer ideologisch denkt und argumentiert, für den gibt es meist nur eine richtige Lösung. Eine ideologische Vorgehensweise erlaubt kaum Korrekturmöglichkeiten, sie kann sich nur schwer anpassen an veränderte Realitäten und andere Sichtweisen. Ideologie ist aus meiner Sicht daher wenig geeignet, unsere Probleme zu lösen.
Gas: Knackpunkt im Energiemix
Hört man Ihnen in Berlin zu? Sucht die Bundesregierung den Kontakt zur Wirtschaft?
Ja, das kann man schon sagen. Auch bei Gesprächen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck habe ich das Gefühl, dass er wirklich zuhört. Und er ist auch ein guter Gesprächspartner.
Wie beurteilen Sie die Lage unserer Energiewende?
Jeder, der sich unseren Mix bei der Stromerzeugung anschaut, erkennt sofort: Wir haben unsere Probleme noch nicht gelöst. Etwa ein Drittel des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken, knapp 15 Prozent stammen aus Gaskraftwerken.
Wir haben die Kernkraftwerke abgeschaltet, mit denen hätten wir die Gaskraftwerke für eine Übergangszeit zumindest teilweise ersetzen können. Wir haben in Zukunft einen enormen Bedarf an weiteren Gaskraftwerken, weil wir weg von der Kohle wollen und zugleich die Grundlast absichern müssen. Woher soll das Gas kommen? Und wer investiert überhaupt in Gaskraftwerke, wenn sie doch nur die Lücken der Erneuerbaren schließen sollen? Wir haben noch keine verlässliche Lösung für die nächsten Jahre.
Der Standort Deutschland verliert an Attraktivität
Was ist dran an der Warnung, die Industrie verlagere Produktion ins Ausland?
Die Ausrüstungsinvestitionen unserer Unternehmen im Inland liegen deutlich unter dem Stand der Vor-Corona-Zeit. Die Unternehmen schauen sich sehr genau an, wo sie in Zukunft investieren wollen. Wo sind die wichtigen Märkte, wo sind die besten Standortbedingungen – da spielen auch Kosten wieder verstärkt eine Rolle. Beispielsweise fahren die Kollegen unserer Auslandshandelskammern in Nordamerika von einer Grundsteinlegung zur nächsten, weil viele deutsche Unternehmen erkannt haben, wie attraktiv die USA als Investitionsstandort sind. Diese Dynamik fehlt mir in Deutschland.
Was könnte man tun, um die Unternehmen im Land zu halten?
In den USA gilt für energieintensive Nutzungen teilweise ein Strompreis noch unter dem französischen Industrietarif von vier Cent. Unternehmen bekommen dazu einen langfristigen 10-Jahres-Vertrag. Das ist unvergleichlich attraktiver als alles, was wir hier insbesondere in Deutschland haben.
Bezahlbarer Strom auch für KMU
Was halten Sie von dem Plan der Bundesregierung, einen Industriestrompreis einzuführen?
Herr Habeck diskutiert über einen Energietarif von 6 Cent. Aber damit liegen wir immer noch über dem Preisniveau, das wir vorher hatten. Der Industriestrompreis wäre dann ein gutes Instrument, wenn es diesen Tarif für alle Unternehmen gäbe. Die Bundesregierung will das aber nur für wenige Unternehmen mit einem komplizierten System der Zuteilung und Konditionierung einführen. Da bleiben wieder viele Unternehmen auf der Strecke.
Als IHK-Organisation müssen wir uns für eine bessere Alternative einsetzen, weil wir die Unternehmen in der Breite vertreten – kleine, mittlere und große mit unterschiedlich hohem, aber alle eben mit Bedarf an stabilem und bezahlbarem Strom.
Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, bei dem Thema noch zu Verbesserungen zu kommen?
Das ist jedenfalls nicht zu Ende diskutiert und wir führen hier weiter intensive Gespräche. Ein guter Ansatzpunkt ist die inzwischen in der Bundesregierung gereifte Erkenntnis, dass beim Strompreis etwas getan werden muss. Wir versuchen alles, um eine gute Lösung zu erzielen.
Willkommenskultur stärken
Auch auf das Problem des Fachkräftemangels hat die Bundesregierung reagiert. Was bringt uns die erleichterte Zuwanderung?
Die Erleichterungen im Fachkräfteeinwanderungsgesetz sind sinnvoll. Wir haben dadurch bessere Möglichkeiten, an Fachkräfte aus anderen Ländern zu kommen. Unser Problem ist aber: Es hapert in der praktischen Umsetzung und wir haben nach wie vor keine Willkommenskultur.
Was verstehen Sie darunter?
Es wird Fachkräften häufig schwer gemacht, nach Deutschland zu kommen. Wenn sie zu uns kommen wollen, haben sie oft Verfahren von vielen Monaten vor sich, um ein Visum zu bekommen. Für diese Prozesse fehlen digitale Strukturen, um sie zu erleichtern und zu beschleunigen.
Offene Baustellen: von der Digitalisierung bis zur Familienpolitik
Wo klemmt es? Fehlen die nötigen PCs?
Ich habe mit Botschaftern in afrikanischen Ländern gesprochen. Die sagen mir, ihre Mitarbeiter bearbeiten die Einreiseanträge waschkörbeweise, die müssen Formulare handschriftlich ausfüllen. Weil die Botschaften zu wenig Personal haben, setzen sich mancherorts die Botschafter am Wochenende selbst hin, um Anträge zu bearbeiten.
Hat die Bundesregierung die schnellere Visavergabe nicht längst zugesagt?
Das Onlinezugangsgesetz sollte bis Ende 2022 umgesetzt sein und unter anderem auch die Beantragung von Aufenthaltstiteln beinhalten. Leider sind wir aber von einer Flächendeckung weit entfernt. Die seit Jahren zu langsame Geschwindigkeit bei der Verwaltungsdigitalisierung ist ein schwieriges Thema. Auch bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben wir Nachholbedarf. Der gesetzliche Anspruch auf Kinderbetreuung kann nicht erfüllt werden, solange das Angebot viel niedriger ist als die Nachfrage. Und die Angebote unserer Kitas müssen gerade in den Randzeiten flexibler sein.
Arbeitslose besser qualifizieren
Klagen über Fachkräftemangel und trotzdem eine steigende Zahl von Arbeitslosen – wie passt das zusammen?
Aus meiner Sicht eine besondere Herausforderung ist, dass 2,5 Millionen junge Deutsche zwischen 20 und 35 keinen Berufsabschluss haben. Jedes Jahr verlassen nahezu 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss. Diese Zahl ist einfach zu hoch.
Was schlagen Sie vor?
Die Schulbildung muss für eine bessere Grundqualifizierung sorgen. Alle Schulabgänger müssen fit für eine Ausbildung sein. Und ja, Sie haben Recht, wir haben mehr als 2,5 Millionen Arbeitslose und gleichzeitig fast 2 Millionen offene Stellen. Aber häufig passen die Anforderungen der Betriebe nicht zu den Qualifikationen der Arbeitslosen oder die Arbeitslosen suchen nach anderen Tätigkeiten. Damit Arbeitslose besser in Beschäftigung kommen, sind zum Beispiel Teilqualifizierungen oder das Nachholen von Berufsabschlüssen wichtig. Auch die Bereitschaft zu höherer Mobilität kann ihre Jobchancen erhöhen.
Weniger Bürokratie wagen
Sie sprechen ja auch persönlich mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Was wäre Ihr wichtigster Tipp für ihn, wenn er danach fragen würde?
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Bürokratie. Wir haben dem Bundeskanzler auch schon ein ganzes Paket von Vorschlägen vorgelegt. Da geht es um Bürokratieabbau, Digitalisierung und so weiter. Für entscheidend halten wir bei der DIHK die Idee, an manchen Stellen auf Bürokratie ganz zu verzichten. Müssen wir die Unternehmen wirklich bei jedem Schritt kontrollieren und überwachen? Ich meine, vieles geht auch ohne staatliche Genehmigungsstempel, weil die Betriebe von sich aus häufig das Richtige machen.
Zur Person: Peter Adrian
Peter Adrian ist seit März 2021 Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Der Immobilienunternehmer leitet die von ihm aufgebaute TRIWO AG, die bundesweit rund 30 große Industrie- und Gewerbeparks betreibt, etwa den Flughafen Oberpfaffenhofen bei München, den Adrian als Forschungs- und Entwicklungsflughafen ausbaut.