Standortpolitik

Unter der Haube

Landratsamt Weilheim-Schongau ©
Zipfelmütze – die neue Hülle über Antenne 1

Das Radom bei Raisting, ein Stück sichtbare Technikhistorie nahe Weilheim, hat endlich wieder eine Kunststoffkuppel. Die Restaurierung des Industriedenkmals ist ein Stück bayerischer Wertarbeit.

Beate Strobel, Ausgabe 01/2022

Als würde man der Antenne eine Zipfelmütze aufsetzen.« Bei René Jakob, Geschäftsführer der Radom Raisting GmbH, klingt das wie eine ziemlich einfache Aktion. Ein Kran lupft eine kreisrunde Kunststoff-Membrane hoch, schwenkt das Gebilde über eine etwa 25 Meter hohe Antenne und lässt es dann dort wieder herab. Danach die Membrane festzurren und aufblasen. In drei bis fünf Stunden soll das Industriedenkmal Radom Raisting so eine neue Kugelhaube bekommen. So weit der Plan.

Widerspenstiges Gebilde

Die Realität jedoch sabotiert Jakobs Zipfelmützen-Plan. Die auf einer Schutzfolie ausgebreitete Membrane hat sich am Boden festgesaugt und muss durch Luftzuführung gelöst werden. Der luftgefüllte Schlauch, der wie ein Schwimmreifen den Rand der Membrane stabilisieren und so den Einhub erleichtern soll, bekommt während des Aufblasens immer wieder Knicke und muss mühsam zurück in seine Kreisform gezogen werden. 5.200 Quadratmeter PVC-Polyester – das ist kein Taschentuch, sondern ein extrem widerspenstiges Gebilde. Und auch wenn die Herbstsonne Mitte Oktober bald den Morgennebel vertrieben hat, passt das Wetter nicht: »Zu viel Ostwind«, ärgert sich Jakob laut.

Das Objekt, um das sich hier alles dreht, wendet dem Geschehen scheinbar unbeeindruckt den Rücken zu. Alarmrot leuchten die Metallverstrebungen der sogenannten Antenne 1 vor dem blauen Himmel – ein Anblick, an den sich die Raistinger noch immer nicht so recht gewöhnt haben. Seit der Inbetriebnahme 1964 durch die Deutsche Bundespost hatte stets eine weiße Traglufthülle (englisch: Radar Dome, kurz Radom) die Parabolantenne der Erdfunkstelle verhüllt. Sie schützte die Technik vor Wind und Wetter, solange die Antenne in Betrieb war, und diente später auch mal als Leinwand, wenn die Pfadfinderfreunde zum Open-Air-Kinoevent »SpaceCinema« am Radom luden. Doch dann kam »Bianca«: Im Februar 2020 zerriss der gewaltige Sturm die knapp zwei Millimeter dünne Membrane des Radom.

Dass die Antenne 1 wieder unter die Haube kommt, stand außer Frage. Schließlich wurde südlich des Ammersees Technikgeschichte geschrieben. Als erste deutsche Erdfunkstelle markiert die Parabolantenne einen Meilenstein in der Historie der Satellitenfunktechnologie. Dass viele Millionen Bundesbürger am 21. Juli 1969 die Mondlandung der Apollo11 nahezu live auf ihrem Röhrenfernseher verfolgen konnten, ist der Antenne1 zu verdanken: Sie empfing die Bilder vom Mond per Nachrichtensatellit.

Drei Sekunden Übertragungszeit

Insgesamt benötigten die Aufnahmen vom Mond via Raisting in die deutschen Wohnzimmer drei Sekunden. Auch das »Rote Telefon«, die ständige Fernschreiberverbindung zwischen den USA und der Sowjetunion während des Kalten Kriegs, lief über Raisting. Mit einem Durchmesser von 48 Metern ist das Radom Raisting immer noch das größte Radom der Welt.

Funktionsfähig ist die Antenne seit »Bianca« nicht mehr, sie lässt sich nicht mehr bewegen, sagt Radom-Geschäftsführer Jakob. Der Förderverein Industriedenkmal Radom Raisting würde die Antenne 1 gern wieder technisch nutzbar machen. Dem Landkreis Weilheim-Schongau als Eigentümer des Radom Raisting schwebt hingegen vor, das Industriedenkmal wieder verstärkt für Ausstellungen und Vorträge zu nutzen. Eine Machbarkeitsstudie soll die Optionen eruieren.

»Das Radom in Raisting ist ein einzigartiges Industriedenkmal, das es zu erhalten gilt. Es ist eine prägende Landmarke in der Region und steht wie nichts anderes als Symbol für die Verbindung zwischen Tradition und Moderne«, betont Landrätin Andrea Jochen-Weiß (CSU). »Unser Ziel ist es jedoch, dass das Radom nicht nur ein lebloses Denkmal in der Landschaft ist, sondern durch eine gesellschaftsorientierte Nutzung – etwa als Eventlocation und Ausstellungsort – auch ein Teil des Lebens unserer Bürger wird. Die neue Hülle ist für diese künftige Rolle ein wichtiger Schritt.«

Sanierer aus Rosenheim

Als Generalunternehmer für die Sanierung des Radom wurde die ITF Technical Fabrics GmbH in Raubling bei Rosenheim beauftragt. Geschäftsführer Michael Wolf hat schon die PTFE/Glas-Frontfassade des Burj Al Arab in Dubai mitverantwortet sowie die Dachkonstruktion des polnischen Nationalstadions in Warschau.

Die Membrankuppel für die Antenne 1 birgt als Projekt für den Maschinenbautechniker einen großen Reiz: Mit 5.200 Quadratmetern dürfte das verarbeitete PVC-Polyester eine der größten an einem Stück hergestellten Membranen sein, schätzt Wolf. Auf 2,4 Millionen Euro werden aktuell die Gesamtkosten veranschlagt, die aber – da ein Sturm die Sanierung ja erst notwendig gemacht hat – von der Versicherungskammer Bayern in Gänze übernommen werden.

Regionale Wertarbeit

Gut 90 Prozent der rund 25 Gewerke, die in die Antennenverhüllung involviert sind, stammen aus der Region, 30 Prozent davon sogar aus dem Landkreis Weilheim-Schongau. Die Profis von der BKL Baukran Logistik GmbH etwa kommen aus Forstinning bei München. »Nach Möglichkeit wählen wir Firmen aus der näheren Umgebung«, betont Projektleiter Wolf. Und das nicht nur aus logistischen Gründen: »Uns geht es auch darum, eine längerfristige geschäftliche Beziehung zu unseren Subunternehmern aufzubauen, um zu gewährleisten, dass wir die gleichen Vorstellungen von Qualität und Unternehmenswerten haben. Da hilft es, wenn man sich immer wieder ganz real an einem Tisch zusammensetzen kann.«

50 Leute zum Verpacken nötig

Gewebt und beschichtet wurde die Membrane allerdings bei der Sattler Protex GmbH im österreichischen Graz. Zuschnitt und Konfektionierung übernahm das Unternehmen Tensaform in Istanbul – »die große Schneiderei«, wie ITF-Experte Wolf sie nennt. Denn dort wurden wie nach einem Schnittmuster die vorbereiteten Kunststoffbahnen zusammengefügt.

»Konfektionsbetriebe in Deutschland verfügen nicht über so große Hallen und über die Kapazitäten, in kurzer Zeit ein soches Kugelgebilde herzustellen«, erklärt Wolf. Die Hülle muss mit Personenkraft gefaltet und bewegt werden. Zu Beginn ist das noch relativ einfach, doch mit jeder Bahn wird das schwerer. »Am Ende liegt in der Halle ein Faltenmeer, das geordnet bewegt werden muss«, beschreibt es Wolf. »Um die Membrane im Endzustand zu verpacken, sind bis zu 50 Leute notwendig.«

Schwer wie zwei Elefanten

Dieses Mammutwerk mit einem Gewicht von zwei ausgewachsenen Elefanten liegt nun in Raisting auf dem Geländeboden wie ein gigantischer Swimmingpool ohne Wasser. Um das Gelände herum haben sich viele Interessierte versammelt, manche haben sich auf Campingstühlen im abgeernteten Maisfeld niedergelassen und fachsimpeln nun über Wind, Kompressionsdruck und geschweißte Kunststoffnähte. Heißer Kaffee aus der Thermoskanne soll darüber hinwegtrösten, dass nach Stunden vor dem Bauzaun langsam die Herbstkälte über die Schuhsohlen in die Knochen zieht. Eine Kameradrohne surrt über die Köpfe der Zuschauer und hält die Fortschritte aus der Vogelperspektive fest.

Vorsichtig zieht der Kran schließlich an dem in der Mitte der Membrane fixierten Hubring, langsam hebt sich das 11-Tonnen-Gebilde nach oben und sieht nun wirklich aus wie die von Jakob angekündigte Zipfelmütze. Das gesamte Montageteam vor Ort hat sich die dicken Arbeitshandschuhe angezogen, 16 Männer positionieren sich rund um die Membrane, die wie ein Zirkuszelt vom Kran hängt.

Doch kurz vor dem Finale ist Schluss: Der Meteorologe im Team, der seit Wochen die Wetter- und thermischen Daten speziell für das Gelände aufgezeichnet und ausgewertet hat, warnt vor zu viel Wind in der entscheidenden Einhubhöhe von etwa 100 Metern. Der Prozess, gestartet bereits bei Sonnenaufgang, wird am frühen Nachmittag abgebrochen. »Beim Einhub bietet die Membrane dem Wind eine dreieckige Angriffsfläche in der Größe eines halben Fußballfelds«, erklärt Projektleiter Wolf. »Wer segelt, der kann sich vorstellen, welche Kräfte da wirken würden.«

Zuversicht in Sachen Haltbarkeit der Hülle

Einen Tag später aber geht es dann tatsächlich ganz schnell und einfach: Am Sonntagvormittag wird im zweiten Anlauf die Membrane über die Antenne 1 gestülpt, mit gut 320 Schrauben festgezurrt und schließlich mit Druckluft zur Kugel aufgeblasen. ITF-Experte Wolf ist zuversichtlich, dass diese Hülle lang hält, schließlich wurde die Membrane noch einmal zusätzlich in besonders beanspruchten Bereichen verstärkt und sollte nun auch höheren Windgeschwindigkeiten standhalten.

Wolf macht damit einen zufriedenen Haken hinter das Projekt Radom Raisting und wendet sich dem nächsten zu: Das Nashornhaus im Zoo Berlin braucht ein neues Folienkissendach.

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