Standortpolitik

Rentabel und fair

fairafric ©
Bessere Arbeitsbedingungen – bei fairafric findet fast die gesamte Wertschöpfung in Ghana statt (im Bild: Prüfen der Kakaobohnen)

Soziale Innovationen sind nicht nur der Politik oder Wohlfahrtsorganisationen vorbehalten. Auch die Wirtschaft kann dazu beitragen. 

Gabriele Lüke, Ausgabe 10/20

Was verbindet alle Menschen weltweit? Sie müssen essen! Könnte gemeinsam zu kochen und zu essen also nicht auch ein guter Weg sein, Geflüchtete zu integrieren? Unbedingt! Das beweist der 2013 in Berlin gegründete Verein »Über den Tellerrand«, der genau dies umsetzt. Dabei fand die Idee so guten Anklang, dass es mittlerweile in 40 Städten Tellerrand-Satelliten gibt, seit 2015 auch in München. Inzwischen ist aus dem Verein sogar ein wirtschaftlich erfolgreiches Sozialunternehmen hervorgegangen: das Café »Über den Tellerrand«.

Sozialunternehmen mit 70 Prozent Geflüchteten

17 Menschen aus zehn Nationen, darunter zu 70 Prozent Geflüchtete, betreiben es seit Juli 2018 im Foyer der Volkshochschule in der Einsteinstraße. Darüber hinaus beliefern sie als Caterer Konferenzen oder Feste. »Das Café hilft mit kulinarischen Spezialitäten aus den Herkunftsländern, dass Einheimische und Geflüchtete neugierig aufeinander werden, Vorurteile abbauen, besser zusammenfinden«, erklären Julia Harig (34) und Jasmin Seipp (34), Geschäftsführerinnen der Über den Tellerrand GmbH.

Gute Arbeitsplätze für die Geflüchteten schaffen

»Mehr noch wollen wir mit dem Café aber gute Arbeitsplätze für die Geflüchteten schaffen. Denn vor allem Arbeit ermöglicht Zusammenleben und Integration auf Augenhöhe.« Deshalb planen die beiden Geschäftsführerinnen nun, dem Café noch eine Gastro-Akademie an die Seite zu stellen: Diese soll Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund sprachlich und praktisch für den Arbeitsalltag in der Gastronomie vorqualifizieren und so ihren Arbeitseinstieg erleichtern. Verein und Café stehen für soziale Innovationen, also für neue Praktiken und Organisationsmodelle, die einen nachhaltigen sozialen Ausgleich bewirken. Spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts fallen dank Innovationsforscher Joseph Schumpeter soziale Neuerungen genauso unter den Begriff der Innovation wie technologische.

Den Herausforderungen nicht nur technologisch begegnen können

Dabei leisten sich technologische und soziale Innovationen wechselseitig oft gute Dienste: Technologische Lösungen können helfen, soziale Ungleichheit zu nivellieren, und soziale Reformen gleichen gesellschaftliche Spannungen aus, die wiederum auch durch neue Technologien entstehen können. Aktuell wächst weltweit die Dringlichkeit sozialer Innovationen. Die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Urbanisierung, demografischer Wandel, Digitalisierung oder Migration seien zu komplex, als dass man ihnen ausschließlich mit technologischen Innovationen begegnen könnte, betont das Hightech-Forum der Bundesregierung, das zentrale Beratungsgremium zur Umsetzung der deutschen Hightech-Strategie 2025.

Diversity- und Talentmanagement

Auch das Weltwirtschaftsforum in Davos unterstreicht immer wieder die Notwendigkeit sozialer Innovationen. »Das zeigt: Verantwortung für den sozialen Fortschritt trägt neben Politik, Wohlfahrtsinstitutionen und Zivilgesellschaft auch die Wirtschaft. Insbesondere Sozialunternehmen können Impulse setzen«, betont Laura Haverkamp (36), Partnerin von Ashoka Deutschland. Das internationale Ashoka-Netzwerk unterstützt Social Entrepreneurship seit 1980. Doch auch profitorientierte Unternehmen können ihren Beitrag leisten, sagt Haverkamp, »indem sie in ihrer eigenen Organisation etwa über Diversity- und Talentmanagement oder Familienfreundlichkeit den sozialen Aufstieg und Ausgleich fördern, indem sie externe soziale Projekte sponsern oder auch die Dienstleistungen und Produkte von Sozialunternehmen nutzen.«

»Soziale Idee nicht nur ein Feigenblatt«

Martina Wegner (57), Professorin im Studiengang Management Soziale Innovationen an der Hochschule München, differenziert: »Wichtig ist, dass die soziale Idee nicht nur ein Feigenblatt ist oder gar, wenn auch unbeabsichtigt, zu sozialen Rückschritten führt.« Sie nennt ein aktuelles Beispiel: »Mehr Homeoffice bedeutet nicht in jedem Fall sozialen Fortschritt, weil es mehr Familienfreundlichkeit bringt, sondern kann auch obsolete Geschlechterrollen wiederbeleben, wenn vor allem Mütter die Option annehmen.«

Firmen sollten ihre sozialen Ziele und Maßnahmen daher kritisch abwägen und die Folgen genau prüfen, sie dann aber auch in ihre Strategie einbinden und mit Ressourcen hinterlegen, rät Wegner. Speziell von Sozialunternehmen verlangt sie: »Damit diese nachhaltig Wirkung entfalten können, sollten sie nicht dauerhaft über Förderung oder Sponsoring finanziert sein, sondern wirtschaftlich rentabel werden.« Es brauche also den Business-Case.

Faire Schokolade

Die fairafric GmbH sieht das genauso. Das Münchner Social Entrepreneurship setzt sich seit 2016 für mehr Fairness in der Schokoladenwelt ein. »Bis auf den Vertrieb findet unsere gesamte Wertschöpfung im Herkunftsland des Rohstoffs, in Ghana, statt: vom Anbau bis zur Herstellung«, erläutert Salesmanagerin Charlotte Knull (28). Damit schafft fairafric vor Ort bessere Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten. Das Unternehmen unterstützt die Bio-Kakao-Farmer zudem mit höheren Preisen und fairafric-Firmenanteilen. Produziert wurden die Schokoladetafeln bislang von einer ghanaischen Partnerfirma, nun steht die Eröffnung einer eigenen Fabrik mit Chocolaterie-Schule bevor. 85 Ghanaer sollen hier noch 2020 anfangen.

Zu mehr sozialem Wohlstand beitragen

Zugleich schwimmt sich fairafric, das sich zunächst vor allem über Crowdfunding, Investoren und Förderungen finanzierte, wirtschaftlich immer mehr frei. 2019 setzte das Unternehmen bereits 400.000 Euro um, und der Trend weist weiter nach oben. Knull: »Unser erstes Ziel bleibt aber ein soziales: Wir möchten mit unserem Beispiel noch viele Ghanaer und Ghanaerinnen zur Selbstständigkeit ermutigen und so zu mehr sozialem Wohlstand in Ghana beitragen.«

Ein Beispiel für ein Traditionsunternehmen mit sozialem Innovationsanspruch ist die Münchner Paulaner Brauerei. »Wir sind Teil der Stadt München, ihrer Geschichte und ihrer Kultur. Deshalb wollen wir unseren Teil dazu beitragen, das Lebens- und Liebenswerte zu fördern und zu erhalten«, betont Geschäftsführer Andreas Steinfatt. So sei der Paulaner Salvator-Preis entstanden. »Unterstützt werden Ideen und Initiativen, die das gesellschaftliche und soziale Zusammenleben der Stadtgesellschaft in den Mittelpunkt stellen.« Bewerben können sich Organisationen, Start-ups, Social Businesses und Privatpersonen aus München. Die besten Einreichungen erhalten eine Anschubfinanzierung und fachkundige Begleitung. Der Preis ging 2019 unter anderem an den Über den Tellerrand kochen München e.V., die Münchner Studentenorganisation rehab republic e.V. sowie den d’Schwuhplattler e.V., die erste homosexuelle Schuhplattlergruppe der Welt, in Uffing am Staffelsee.

Die Stadt »ein Stück besser und sozialer machen«

»Diese Initiativen nehmen aktuelle soziale Themen auf: Ausbildung für Geflüchtete, Nachhaltigkeit und soziale Integration«, so Steinfatt. »Wir freuen uns, mit dem Preisgeld München hoffentlich ein Stück besser und sozialer zu machen.«

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