Betrieb + Praxis

Sanieren ohne Insolvenz: So läuft das neue Restrukturierungsverfahren (StaRUG)

Olivier le Moal/Adobe Stock ©
Am Zug bleiben – beim neuen Verfahren führt die Geschäftsleitung das Unternehmen weiterhin autark weiter

Ein neues Restrukturierungsverfahren gibt Firmen mit Liquiditätsengpässen eine weitere Möglichkeit, auf die betriebliche Krise zu reagieren. Was Unternehmer dazu wissen sollten.

Melanie Rübartsch, Ausgabe 03/21

Die Regierung hat mächtig auf die Tube gedrückt. Vermutlich auch, weil die IHK-Organisation dies zusammen mit Wirtschaftsverbänden wiederholt angemahnt hatte. »Es war uns ein großes Anliegen, den Unternehmen jetzt schon in der Pandemie eine Sanierung ohne Insolvenz zu ermöglichen« sagt Andrea Nützel, Referentin für Insolvenzrecht bei der IHK für München und Oberbayern.

Kurz vor Jahresende hat der Gesetzgeber das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, kurz StaRUG, verabschiedet (siehe Stichwort unten). Dahinter verbirgt sich eine neue Sanierungsmöglichkeit für Unternehmen in der Krise, die eine Lücke zwischen der außergerichtlichen Sanierung und einem Insolvenzverfahren schließen soll. »Zukünftig können damit Sanierungsmaßnahmen auch außerhalb einer Insolvenz gegen den Willen einzelner Gläubiger in Eigenregie umgesetzt werden. Für krisenbefangene Unternehmen wird dadurch der Anreiz deutlich erhöht, frühzeitig Maßnahmen zur Überwindung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu ergreifen«, erklärt der Münchner Restrukturierungsexperte Jürgen Philipp Knepper von der Rechtsanwaltsgesellschaft Schultze & Braun.

Schuldenschnitt, Beteiligungen oder Stundungen

Im Kern geht es um finanzwirtschaftliche Sanierungen – also etwa um einen Schuldenschnitt, eine Umwandlung von Forderungen in Beteiligungen oder die Stundung von Verbindlichkeiten. Hat das Restrukturierungsverfahren Erfolg, kommt es zu einem verbindlichen Restrukturierungsplan, einer Art Gesamtvergleich zwischen dem Unternehmen und den beteiligten Gläubigern. Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Was sind die Vorteile gegenüber anderen Sanierungsverfahren?

Der wichtigste Unterschied ist, dass der Schuldner zur Wirksamkeit des Restrukturierungsplans nicht die Zustimmung aller Gläubiger braucht. Es reicht eine Mehrheit von 75 Prozent. »Die Sanierung kann also nicht an einzelnen unkooperativen Gläubigern scheitern, was außergerichtliche Verfahren sonst oft erschwert«, sagt der Münchner Insolvenzrechtler Rolf G. Pohlmann, Partner der Kanzlei Pohlmann Hoffmann.

Ein weiteres wertvolles Instrument sind Stabilisierungsanordnungen, die das Restrukturierungsgericht auf Antrag beschließen kann. Damit können Gläubiger daran gehindert werden, während des Verfahrens bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Schuldner geltend zu machen. »So kann das betriebsnotwendige Vermögen zunächst als Einheit erhalten bleiben«, erklärt der Anwalt.

Geschäftsführung weiterhin autark

Gegenüber der Insolvenz hat die Restrukturierung den Vorteil, dass die Geschäftsführung weiterhin autark die Geschäfte leitet und kein Dritter, also etwa der Insolvenzverwalter, mit an Bord ist. Außerdem muss das Unternehmen die Restrukturierung nicht öffentlich anzeigen. Pohlmann: »Anders als bei der Insolvenz entsteht also keine negative Publizität.«

An welche Voraussetzungen ist das Restrukturierungsverfahren geknüpft?

Für die Einleitung des Verfahrens ist lediglich die Anzeige des Unternehmens bei Gericht, nebst Restrukturierungskonzept und Bestätigung, dass das Unternehmen sich im Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit befindet, erforderlich. Letzteres ist der Fall, wenn absehbar ist, dass das Unternehmen innerhalb der nächsten 24 Monate zahlungsunfähig wird.

Gründe dafür können zum Beispiel eine auslaufende Finanzierung ohne Anschlussfinanzierung, ausbleibende Aufträge, eine Produk- toder Absatzkrise, kontinuierlich steigende Kosten oder eine schwindende Kreditwürdigkeit sein. Zugleich muss die Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung bestehen. »Für die Gläubiger ist dies ein entscheidender Anreiz, sich auf Verhandlungen einzulassen«, erklärt Volker Schlehe, Rechtsexperte bei der IHK für München und Oberbayern: »Für sie muss es letztlich besser sein, jetzt gemeinsam mit ihrem Vertragspartner eine Lösung zu finden und das Unternehmen damit auch in Zukunft als Kunden zu behalten, als sich später aus der Insolvenzmasse bedienen zu müssen.«

Wie läuft das Verfahren ab?

Es braucht vor allem eine gründliche Vorbereitung. Knepper: »Die wesentlichen Grundlagen für eine erfolgreiche Sanierung werden zwischen den Verhandlungspartnern bereits im Vorfeld des Eintritts in den präventiven Restrukturierungsrahmen gelegt.« Notwendig sind eine belastbare finanzielle Planung, eine laufende Kommunikation mit den Gläubigern und eine konkrete Idee, welche Mittel zur Restrukturierung geeignet sind. Die Vorbereitungsphase endet mit dem Restrukturierungskonzept beziehungsweise dem Restrukturierungsplan. Wird dieser von der Mehrheit der Gläubiger angenommen, bestätigt ihn das Restrukturierungsgericht. Mit Rechtskraft des Plans treten seine Wirkungen in Kraft – und sind für alle beteiligten Gläubiger bindend. Als Restrukturierungsgericht fungieren die Amtsgerichte am Sitz eines Oberlandesgerichts, in Bayern also die Amtsgerichte München, Nürnberg und Bamberg.

Welche Gläubiger können beteiligt werden?

Hier bietet das Gesetz einen gewissen Spielraum. Ein Unternehmen kann sich unter sachgerechten Kriterien von vornherein auf bestimmte Gläubigergruppen beschränken – zum Beispiel Finanzgläubiger wie Banken oder Lieferanten. Zudem kann es entscheiden, bestimmte Gläubiger außen vor zu lassen. Das Zusammenstellen der Gläubigergruppe ist daher eine entscheidende Aufgabe beim Restrukturierungsverfahren.

Wichtig: Von vornherein ausgeschlossen sind zum Beispiel Forderungen von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. »Für einen Personalabbau, die Schließung unrentabler Filialen oder die Befreiung von hohen Pensionslasten werden also im neuen Verfahren keine Werkzeuge angeboten«, betont Restrukturierungsexperte Knepper.

Welche Aufgabe hat der Restrukturierungsbeauftragte (RB)?

In bestimmten Fällen muss das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten mit ins Boot holen. Das ist etwa der Fall, wenn durch den Restrukturierungsplan in die Rechte von Verbrauchern eingegriffen wird oder wenn sich eine beantragte Stabilisierungsanordnung gegen alle Gläubiger eines Unternehmens richten soll. Der RB überwacht und begleitet das Restrukturierungsverfahren im Interesse der Gläubiger und nimmt gegenüber dem Gericht zu wesentlichen Fragen Stellung. Er muss eine Person sein, die vom Schuldner und von den Gläubigern unabhängig ist.

Welche Kosten sind mit dem neuen Verfahren verbunden?

Es fallen zunächst Gerichtskosten zwischen 250 und 1.500 Euro an. Wird ein Restrukturierungsbeauftragter hinzugezogen, soll dieser maximal 350 Euro pro Stunde abrechnen. Hinzu kommen nochmals Gerichtsgebühren für dessen Bestellung und für die Aufsicht in Höhe von 500 Euro. Ins Gewicht fallen aber vor allem die Ausgaben für die eigenen Berater. Üblich sind bei versierten Insolvenzrechtlern Stundensätze von bis zu 450 Euro.

»Die Erfahrung aus anderen Sanierungsverfahren zeigt jedoch, dass eine enge Begleitung durch spezialisierte Berater, die die Sanierungsinstrumente und Verhandlungsstrategien beherrschen, wichtig für den Erfolg ist«, sagt IHK-Expertin Nützel. Sie sollten sogar möglichst frühzeitig eingebunden werden – am besten bereits bei der Frage, welches Verfahren in der individuellen Situation am besten hilft und wann dieses gestartet werden muss.

Kann das Restrukturierungsverfahren Unternehmen helfen, die einzig aufgrund von Covid-19 in die Krise geraten sind?

Aus Sicht von Experten ist das sogar ein typischer Anwendungsfall. Gerade in Situationen, in denen ein eigentlich gesundes Unternehmen aus Gründen, die außerhalb des eigentlichen Geschäftsmodells liegen, in Bedrängnis gerät, könne das neue Verfahren helfen.

Kann das Verfahren auch für kleine Unternehmen eine Chance sein?

Aufgrund der Komplexität und der Kosten ist das Verfahren nach Einschätzung von Insolvenzrechtsexperten eher auf mittelständische und große Unternehmen zugeschnitten. Ganz generell steht es aber jedem Unternehmer offen, wenn Zahlungsunfähigkeit droht. »Es kommt stark auf die individuelle Situation an«, meint Insolvenzrechtler Pohlmann.

Ein Ladenbesitzer etwa, der Außenstände bei seinem Vermieter und zwei Lieferanten hat, werde in der Regel schneller und günstiger zum Ziel kommen, wenn er versucht, sich außergerichtlich mit diesen Gläubigern zu einigen. Das gilt erst recht, wenn er gute Beziehungen zu ihnen hat. Ein weiteres Beispiel: Ein Taxiunternehmer hat Verbindlichkeiten gegenüber vier verschiedenen Autobanken. Drei zeigen sich gesprächsbereit, die vierte nicht. »In dem Fall böte das Restrukturierungsverfahren eine Chance, den nicht verhandlungswilligen Gläubiger zu überstimmen«, so Pohlmann.

Stichwort: Die neuen Gesetze StaRUG und SanInsFoG

Das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) regelt das neue Restrukturierungsverfahren und ist am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Es ist Teil des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG), das Ende Dezember 2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde.

IHK-Service: Der passende Berater

Viele Unternehmer stehen vor der Frage, wie sie eine Insolvenz verhindern oder ob diese ihnen jetzt möglicherweise sogar helfen kann. Wegen des großen Beratungsbedarfs der Unternehmer in der Pandemie hat die Rechtsanwaltskammer München ausnahmsweise eine Liste mit Rechtsanwälten und Fachanwälten für Insolvenzrecht und deren jeweiligen Beratungsschwerpunkten zusammengestellt. Damit kann die IHK zielgerichtet passende Berater benennen, wenn sich Unternehmen an sie wenden.

Grundsätzliche Informationen zu den Voraussetzungen und dem Ablauf des neuen Restrukturierungsverfahrens gibt es auf der IHK-Website.

Verwandte Themen