Durch Mediation die Insolvenz vermeiden

Die Pandemie bringt auch manchen gesunden Betrieb in Bedrängnis. Eine außergerichtliche Mediation kann helfen, dass Unternehmer und Gläubiger gemeinsam eine Lösung finden und die Insolvenz abwenden.
Gabriele Lüke, Ausgabe 09/2020
In der deutschen Wirtschaft geht die Insolvenzangst um. Jedes fünfte Unternehmen bewertet die Beeinträchtigungen durch die Pandemie als existenzbedrohend, ermittelte das Münchner ifo-Institut im Juni. Um das Schlimmste zu verhindern, können betroffene Unternehmen auf ein wirksames Instrument zurückgreifen: die Mediation. »Es geht vor allem darum, jene Betriebe zu retten, die ohne das Virus nie in eine Schieflage geraten wären«, betont Franziska Edlin, Leiterin der Geschäftsstelle MediationsZentrum der IHK für München und Oberbayern.
Nicht kämpfen, sondern alle besser stellen
Eine Mediation ist die wichtigste Form der außergerichtlichen Streitbeilegung. Begleitet von einem allparteilichen Mediator, versuchen die Parteien selbst, eine einvernehmliche Lösung zu finden. »Eine Schieflage zu meistern ist Anstrengung genug«, sagt Edlin. »Die Mediation ermöglicht, dass Unternehmer und Gläubiger nicht gegeneinander kämpfen. Stattdessen arbeiten sie zusammen und sind, wenn die Rettung gelingt, alle bessergestellt – im besten Fall bleibt sogar die Geschäftsbeziehung erhalten.«
Eine Mediation können die betroffenen Unternehmer, aber auch die Gläubiger anstoßen. Je früher sie startet, umso mehr Spielräume haben die Akteure und umso größer ist die Chance, die Schieflage auszugleichen. »Doch selbst wenn die Insolvenzgerichte bereits eingeschaltet sind, können mediative Verfahren noch rettend wirken«, sagt Utz Brömmekamp (60), Insolvenzanwalt, Mediator und Partner der Düsseldorfer Kanzlei Buchalik Brömmekamp. »Allerdings gelten, je weiter die Schwierigkeiten fortgeschritten sind, mehr insolvenzrechtliche Regeln und Fristen, die beachtet werden müssen.«
Fristen und Regeln dringend beachten
Dieser gesetzliche Rahmen ist die besondere Herausforderung bei Mediationen in Schieflagen. Aktuell ist coronabedingt die strafbewehrte Insolvenzantragstellungspflicht noch bis mindestens 30. September 2020 ausgesetzt. »Angeschlagene Unternehmen sollten diesen Aufschub für einen Sanierungsversuch mithilfe eines Mediators nutzen«, rät der Insolvenzanwalt. Einen vorinsolvenzlichen und zugleich mediativen Sanierungsansatz verfolgt übrigens auch die EU-Kommission in ihrer Restrukturierungsrichtlinie, die bis spätestens Mitte nächsten Jahres in nationales Recht überführt werden muss.
»Zur Unterstützung der vorinsolvenzlichen Sanierung lässt die EU auch die Einschaltung eines Mediators sowie Sonderrechte für das betroffene Unternehmen zu, die die Nationalstaaten zum Teil selbst ausgestalten können«, erläutert Brömmekamp.
Mehrwert in psychischer Ausnahmesituation
Sinnvolle Sonderrechte wären etwa die einfachere Beendigung von Verträgen während der Sanierungsphase oder eine Privilegierung von Finanziers als Gläubiger, falls die Insolvenz doch eintritt. Worin besteht nun der spezielle Mehrwert der Mediation in Schieflagen? »Eine wirtschaftliche Krise ist immer auch eine psychische Ausnahmesituation für alle Akteure. Das erschwert die praktische Sanierung«, sagt Sylvia Wipperfürth (43), Mediatorin und Leiterin des SIIW SachverständigenInstituts für Insolvenz- und Wirtschaftsrecht in Alsdorf.
Aus Sicht der insolvenzbedrohten Unternehmer bedeutet dies: »Um den Betrieb zu retten, müssen sie sich die Schwierigkeiten selbst und den anderen Betroffenen frühzeitig eingestehen – was viele abblocken, da in Deutschland Scheitern immer mit Scham und Stigmatisierung verbunden ist«, weiß die Mediatorin. Die Gläubigerseite wiederum nimmt oft die Haltung ein, vor allem ihre Ansprüche realisieren zu wollen. »Vielleicht haben die Gläubiger schon finanzielle Zugeständnisse gemacht und sehen nun, dass die Schieflage gravierender ist«, so Wipperfürth. »Sie machen sich Sorgen, mit in den Abwärtsstrudel zu geraten.«
Langwieriges, ungewisses Insolvenzverfahren vermeiden
Für die Rettung des Unternehmens müssen die beiden Lager aufeinander zugehen. Hier hat sich die Mediation, auf die sich beide Seiten freiwillig einlassen müssen, bewährt. »Der Mediator kann den Akteuren mit seiner besonderen Kommunikations- und Methodenkompetenz helfen, Vorbehalte zu überwinden und verhärtete Positionen aufzulösen«, erklärt Wipperfürth. Entscheidendes Argument dabei: Die schnelle Rettung des Unternehmens kann beiden Seiten langfristig mehr bringen als ein langwieriges Insolvenzverfahren mit ungewissem Ausgang. »Mit dieser Erkenntnis haben die Akteure eine echte Chance, eine Sanierungslösung zu finden, ihre Interessen auszugleichen«, sagt die Mediatorin.
Ein Fall aus der Praxis: sich Luft verschafft
Wie das konkret funktioniert, zeigt ein Beispiel aus Vor-Corona-Zeiten: Eine kleine Textilkette steuert auf die Insolvenz zu. Die Ladenlokale liegen an weniger frequentierten Standorten, der Verkauf stagniert. Schließlich sitzen dem Händler drei Hauptgläubiger im Nacken: der Vermieter, der Lieferant und die Bank. Der Unternehmer nimmt den Rat seines Anwalts an und bittet die Gläubiger um eine Mediation. Der Mediator arbeitet mit den Beteiligten ihre Interessen heraus.
Dabei wird klar: Würden alle Gläubiger auf ihre Forderungen bestehen, wäre die Insolvenz unvermeidlich – mit erheblichen finanziellen Einbußen auch für die Gläubiger. Diese entscheiden daher, dem Unternehmen durch Mietreduktion, Stundung der Rechnung für die Kollektionen und eine Aussetzung der Bankverbindlichkeiten Luft zu verschaffen. Der Unternehmer wiederum bringt privates Geld ein. Er nutzt die finanzielle Atempause, kurbelt sein Marketing an, verkauft wieder mehr. So kann er seine Gläubiger bedienen und die Insolvenz vermeiden. Bis heute arbeiten alle zusammen.
IHK-Service: Das IHK-MediationsZentrum München
Es bietet Unternehmen Hilfe bei außergerichtlichen Verfahren zur Konfliktlösung. Das Team unterstützt bei der Anbahnung von Mediationsverfahren, stellt eine Verfahrensordnung
und einen Mediatorvertrag bereit, benennt Wirtschaftsmediatoren, administriert im Mediationsverfahren und hilft bei der Erteilung vollstreckbarer Titel. Mehr hier.