Bremicker Verkehrstechnik ©
Achtung, Stau! Künstliche Intelligenz soll den Verkehr automatisch leiten

Digitalisierung und künstliche Intelligenz werden für die Verkehrssteuerung eine immer größere Rolle spielen. Wie sich der Verkehrsfluss verbessern lässt – vom Parkleitsystem bis zum digitalen Zwilling von Ortschaften.

Josef Stelzer, Ausgabe 10/2021

Kilometerlange Staus mit schier endlosen Fahrzeugkolonnen, stundenlange Wartezeiten und Baustellen. Auf den Autobahnen in Richtung Brenner kommt es in beiden Richtungen infolge hohen Verkehrsaufkommens häufig zu starken Verzögerungen. Allein von Januar bis Mai 2021 fuhren 1,9 Millionen Pkw und knapp eine Million Lkw über die Brennerautobahn nach Süden. Nicht nur im Alpentransit gehören Staus zum Alltag.

Vor allem auf Autobahnen und in Ballungszentren geraten der Pkw-Verkehr und Gütertransporte immer wieder ins Stocken. Zu den typischen Staustrecken in Bayern zählen unter anderem die Autobahnen A8, A9 und die Ostumgehung A99 bei München. Und das Verkehrsaufkommen wächst weiter – angetrieben durch den zunehmenden Personenverkehr, das Wirtschaftswachstum und auch infolge der Bevölkerungsentwicklung. Laut Verkehrsprognose Bayern 2030 des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr wird der »motorisierte Individualverkehr« bis 2030 im Vergleich zu 2010 um 14,3 Prozent zulegen, der Güterverkehr um über 40 Prozent. Und über 72 Prozent der Güterverkehrsleistung laufen in Bayern über die Straße.

Automatische Steuerung der Verkehrsströme

Digitale Verkehrssteuerungssysteme sollen den Straßenverkehr insgesamt flüssiger machen. Deshalb werden Lösungen mit künstlicher Intelligenz (KI), mit denen sich Verkehrsströme je nach Verkehrsaufkommen automatisch steuern lassen, immer wichtiger.

Auf einem Teilstück des Autobahnrings A99, zwischen dem Autobahnkreuz München Nord und der Ausfahrt Aschheim, hat die Bremicker Verkehrstechnik GmbH aus Weilheim in Oberbayern ein solches System errichtet. Zum Lieferumfang gehören Schilderbrücken über die Autobahn samt den Betonfundamenten und LED-Wechselverkehrszeichen für dynamische Tempolimits, die – je nach Verkehrsdichte – automatisch variieren. Auf weiteren Abschnitten der A99, die ein zentrales Teilstück im bayerischen Autobahnnetz darstellt, sollen diese Systeme ebenfalls zum Einsatz kommen. »Eine KI-basierte Verkehrssteuerung steigert die Kapazität der damit ausgerüsteten Straßen schätzungsweise um 20 Prozent und ermöglicht eine staufreie Nutzung trotz hohen Verkehrsaufkommens«, sagt Felix M. Schaumberg (48), Geschäftsführer der Bremicker Verkehrstechnik GmbH in Weilheim. »Noch viel mehr ist möglich, wenn das gesamte Straßennetz flächendeckend mit solchen Systemen ausgestattet wird.«

Weiträumige Steuerung mit Verkehrsdaten aus ganz Europa?

Für die Stadt Karlsruhe wird Bremicker ein digitales Parkleitsystem mit farbigen LED-Displays einrichten, das auch Hinweise für Veranstaltungen, aktuelle Umweltinformationen oder Warnmeldungen anzeigen kann. »Das wird sich sicher günstig auf den Verkehrsfluss auswirken«, so der Firmenchef. Beteiligt ist Bremicker auch am Digitalisierungsprojekt der Autobahn A5 bei Frankfurt. Baubeginn ist Ende 2021. Dort wird das Unternehmen 250 LED-Wechselverkehrszeichen für eine intelligente Verkehrssteuerung installieren. Damit lassen sich Tempolimits automatisch so anpassen, dass der Verkehr nicht ins Stocken gerät, etwa bei steigendem Verkehrsaufkommen oder in der weiteren Umgebung von Baustellen.

»Am besten wäre es, die Verkehrsdaten aus ganz Deutschland oder gar europaweit in Echtzeit zentral zusammenzuführen, sodass man den Verkehr KI-basiert weiträumig steuern kann«, glaubt Schaumberg. Denkbar sind beispielsweise intelligent variierende und aufeinander abgestimmte Tempolimits im deutschen Autobahnnetz, um so mögliche Staus zu vermeiden. Dafür muss die minutengenaue Erfassung und vernetzte Nutzung von Verkehrsdaten verbessert werden.

Infos datenschutzkonform direkt aus den Fahrzeugen in die Verkehrssteuerung

René Fassbender ist Gründer der Garchinger OmegaLambdaTec GmbH, die in diverse Forschungs- und Entwicklungsprojekte für digitale Verkehrssteuerung und Verkehrssimulationen für Städte und Gemeinden eingebunden ist. Er unterstreicht die zunehmende Bedeutung von künstlicher Intelligenz. »Solche Systeme kommen vor allem dann ins Spiel, wenn es um Prognosen für die Verkehrsfluss-Optimierung und Empfehlungen in Echtzeit geht. Je komplexer die Systeme sind und je mehr Datenquellen zum Einsatz kommen, desto bedeutsamer werden KI-Bausteine.«

Beispielsweise könnten, so Fassbender, künftig anonymisierte Informationen über Tempo, Standorte und Fahrtrichtung datenschutzkonform direkt aus den Fahrzeugen für die Verkehrssteuerung und für Prognosen berücksichtigt werden. »Prinzipiell könnten für eine optimierte Verkehrssteuerung auch die anonymisierten Daten der Mobilfunktelefone der Fahrer einfließen«, sagt der 44-jährige promovierte Astrophysiker.

Weitere Angebote wie Carsharing einbinden

Ziel sei letztlich ein auf künstlicher Intelligenz basierendes, automatisiertes Steuerungssystem, das Ampeln und digitale Verkehrsschilder optimiert schaltet, um Staus und Stop-and-go-Situationen zu minimieren, beschreibt Geschäftsführer Fassbender die Idee. »Auch der öffentliche Personennahverkehr und weitere Mobilitätsangebote wie etwa Carsharing sind einzubinden.« Ein besserer Verkehrsfluss soll auch in kleineren Städten und Gemeinden möglich werden. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat im September 2020 für die Förderung im Rahmen des bundesweiten Modellprojekts »Smart Cities« 32 Kommunen vorgestellt, darunter Kirchheim bei München. Die Gemeinde erhält Fördermittel in Höhe von 2,45 Millionen Euro, um über drei Jahre hinweg unter anderem digitale Verkehrsprojekte umzusetzen.

Komplexes 3-D-Modell der Ortschaft

Als Herzstück des Vorhabens fungiert ein 3-D-Modell, ein sogenannter digitaler Zwilling der Ortschaft. Damit können die dortigen Auto-, Bus- und Lkw-Verkehre, sämtliche Gebäude sowie der Radfahrer- und Fußgängerverkehr komplett digital abgebildet werden. Ein flächendeckendes Netzwerk aus Sensoren zur Objekterkennung und zur Geschwindigkeitsmessung liefert aktuelle Verkehrsdaten, die letztlich in ein intelligentes System zur Verkehrssteuerung einfließen.

Staus und zeitraubender Stop-and-goVerkehr, so die Idee, lassen sich damit in Zukunft signifikant reduzieren. Mehr noch: »Die intelligente Steuerung der Verkehrsströme kann auch dazu beitragen, die Zahl der Verkehrsunfälle deutlich zu reduzieren sowie die lokale Schadstoffbelastung mit Feinstaub und gesundheitsgefährdenden Stickoxiden spürbar zu verbessern«, so Fassbender. Die Teilnahme an diesem Bundesprogramm ist im Übrigen hervorgegangen aus dem Ende 2019 abgeschlossenen Pilotprojekt »Smart Mobility in Kirchheim« des IHK-Regionalausschusses München Landkreis.

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