Zukunftsfest

Mithilfe der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) können Firmen Innovationen vorantreiben und sich für die Herausforderungen der Zukunft besser aufstellen. Wie Unternehmen dies in der Praxis angehen.
Gabriele Lüke, Ausgabe 12/2021
Mehrmals im Jahr rund um die Erde und das fast CO2-frei – so weit würden es die 60 Mitarbeitenden der ilapo Internationale Ludwigs-Arzneimittel GmbH & Co. KG schaffen, wenn man jene Arbeitswege zusammenrechnen würde, die sie mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Dass die Beschäftigten so konsequent auf Rad, Bus und Bahn umgestiegen sind, liegt auch an ilapo-Geschäftsführerin Sabine Fuchsberger-Paukert (58) und ihrer CSR-Beauftragten Brigitte Gollmitzer (56).
Ohnehin schon aktiv in verschiedenen Bereichen der Corporate Social Responsibility (CSR), beschäftigten sich die beiden intensiv mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs). »Wir schauen mit Blick auf die Zukunft und aus gesellschaftlicher Verantwortung schon immer über den Tellerrand«, betonen sie. »Die SDGs bestärkten uns in dieser Hinsicht und haben zudem zu einigen weiteren Neuerungen geführt.« Dazu gehört CO2-Sparen auf dem Arbeitsweg, das ilapo durch Leasingfahrräder unterstützt, aber auch innovative Ansätze im Kerngeschäft, dem Arzneimittelimport und -export.
169 Unterziele als Treiber für Innovationen
Die SDGs umfassen vom Umweltschutz über Gendergerechtigkeit bis hin zur Armutsbekämpfung insgesamt 17 ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeitsziele sowie 169 Unterziele. Firmen können sie als Treiber für Innovationen nutzen. Das ist auch die Botschaft der CSR-Expertin der IHK für München und Oberbayern, Verena Jörg: »Das Innovationspotenzial der SDGs ist groß und gibt Unternehmen mehr Zukunftssicherheit; es stärkt sie in Bezug auf potenzielle neue Umwelt- und Lieferkettenvorschriften, Compliance- oder Berichtspflichten und macht sie attraktiver für Investoren, Partner, Kunden und Fachkräfte, die heutzutage mehr denn je nachhaltige Ansätze erwarten.«
Zunächst Ziele nah am Kerngeschäft angehen
Dabei können die SDGs auf den unterschiedlichsten Ebenen zu Neuerungen führen: von Produkten über Prozesse und dem Einsatz innovativer Materialien bis hin zu neuen Ansätzen in der Unternehmenskultur oder in der Stakeholder-Kommunikation. Um die Potenziale der SDGs zu heben, dürfen sich die Unternehmen durchaus Hilfe holen, meint Robin Hesch (26), Projektmanager Technologie beim Thinktank Bayern Innovativ GmbH in Nürnberg. »Die SDGs sind komplex. Damit die Betriebe sich nicht überfordert fühlen, ist ein niederschwelliger und individueller Zugang wichtig.« Die Unternehmen sollten sich die Ziele aussuchen, die am besten zu ihrem Kerngeschäft passen, daraus innovative Lösungen entwickeln und dann weitere Ziele angehen. Bayern Innovativ unterstützt die Betriebe mit einem SDG-Assessment, »das bei der Bestandsaufnahme hilft und Maßnahmen vorschlägt, die ihrerseits wiederum zu Innovationen führen«, so Hesch.
Die bayerischen IHKs und das bayerische Landesamt für Umwelt wiederum haben zur Unterstützung der Firmen gemeinsam mit Pilotunternehmen einen SDG-Wegweiser entwickelt (s. Kasten unten). Die Münchner ilapo gehört zu diesen Pilotfirmen. Eine wesentliche Neuerung, die sie auf Basis der SDGs auf den Weg brachte, waren innovative Verpackungen. »Wir kaufen und verkaufen Medikamente in aller Welt. Dabei fällt sehr viel Verpackungsmaterial an, das in der Regel nach einmaligem Gebrauch im Restmüll landet«, erklärt ilapo-Geschäftsführerin Fuchsberger-Paukert. Mittlerweile nutzt ilapo für temperaturempfindliche Medikamente Kühlboxen, die bis zu 50-mal wiederverwendet und anschließend recycelt werden können, gleiches gilt für die Temperaturmesser in den Boxen. Bei nicht gekühlten Medikamenten sind die Boxen selbst und das Füllmaterial nun aus recycelfähigem Papier. Auch die Lieferscheintaschen sind nicht mehr aus Plastik, sondern aus Papier.
Werben auf vielfältigen Wegen
Weitere Schritte folgten: Verhaltenskodizes für die Lieferanten zur Sicherung fairer Lieferketten, Senkung des CO2-Ausstoßes oder eben die klimafreundliche Mobilität. »Was uns besonders gefreut hat: Wir werben über spielerische Aktionen, Vorträge oder nun unseren Nachhaltigkeitsbericht auch bei den Beschäftigten, Kunden und Lieferanten für die SDGs«, sagt CSR-Beauftragte Gollmitzer. »Sie alle haben sich auf das neue Mindset eingelassen, ziehen mit und erhöhen die Wirkung der SDGs.«
Achtsamer auf mehreren Ebenen
Bereits seit geraumer Zeit auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist auch die Don Bosco Medien GmbH, ein zum Salesianer-Orden gehörender Verlag mit Druckerei in München und Ensdorf und ebenfalls ein Pilotunternehmen. »Unsere Energieversorgung basiert auf Hackschnitzeln, wir nutzen beim Drucken umweltfreundliche Farben, sind seit 2019 klimaneutral«, erklärt Prokurist Reinhard Graf (59). »Die Auseinandersetzung mit den SDGs hat uns jedoch noch achtsamer werden lassen.« Das führte zu weiteren Innovationen.
Zum einen wurde auf Basis der SDGs das Verlagsprogramm ausgebaut. In 15 neuen Publikationen sind diese nun auch inhaltlich Thema. Zum anderen wirken die UN-Ziele in der Produktion: So unterstützt das Unternehmen die Entwicklung einer Druckfarbe, die kein Mikroplastik, keine Schwermetalle oder genmanipulierte Substanzen enthält. »Zudem lassen sich diese neuen Farben komplett und unschädlich aus dem Papier herauswaschen, sodass dieses nicht grau, sondern weiß wiederverwertet werden kann«, erläutert Graf. Beim Papier selbst achtet die Druckerei schon länger darauf, dass es aus zertifiziertem Holz gewonnen wurde oder recycelt ist. Nun denkt der Betrieb zudem über Alternativen aus Gras nach.
»Mittelfristig kreislauforientiert und abfallfrei arbeiten«
»Mittelfristig sollen unsere Unternehmen kreislauforientiert und abfallfrei arbeiten«, betont Graf. »Damit fühlen wir uns gegenüber neuen Anforderungen vom Gesetzgeber oder von Stakeholdern gut vorbereitet und zukunftsfest. Vor allem aber«, so ergänzt er, »lassen wir uns aus Verantwortung gegenüber Menschen und Schöpfung von den SDGs auf neue Wege bringen.«
IHK-Service: SDG – mit diesen Instrumenten gelingt Ihr Einstieg
- Der kostenlose SDG-Wegweiser für kleine und mittlere Unternehmen, den die bayerischen IHKs gemeinsam mit dem bayerischen Landesamt für Umwelt im Umwelt- und Klimapakt Bayern entwickelt und herausgegeben haben, stellt alle 17 SDGs vor. Er zeigt in Theorie und Praxis, wie sie sich umsetzen lassen, und bietet praktische Arbeitshilfen sowie Handlungsanweisungen zum niederschwelligen Einstieg.
- Die von Bayern Innovativ durchgeführten Innovations-Assessments bieten kleinen und mittleren Unternehmen zehn kostenlose Beratertage. Dabei können sie anhand von 15 Fragen prüfen, wie SDG-gerecht ihr Geschäftsmodell bereits ist. Bayern Innovativ wertet die Antworten aus, generiert einen Report, der auch konkrete Maßnahmenvorschläge enthält, und bietet Unterstützung bei der Umsetzung. Zudem erhalten die Unternehmen eine Orientierung, wo sie in ihrer Branche im europäischen Vergleich stehen.