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Innovation als Teamleistung

Neuartige Produkte stärken die Wettbewerbsfähigkeit. Aber wie gelingt es Unternehmen, intern ein Klima zu schaffen, in dem Neues wirklich gedeihen kann?
Von Eva Schröder, IHK-Magazin 07-08/2025
Fast sieht es aus, als würden sie in der Kartoniermaschine hinter den Kunststoffscheiben tanzen: Die magnetisch gesteuerten Metallkörbchen sammeln Beutel mit Süßigkeiten und gleiten dabei rasch und lautlos über eine Magnetfläche, gruppieren sie schnell und schonend. Später werden die Produkte automatisiert in Umkartons verpackt und gelangen in die Supermarktregale.
Jede der rund 100 Anlagen, die die Fertigungshallen der SOMIC Verpackungsmaschinen GmbH & Co. KG im oberbayerischen Amerang pro Jahr verlassen, ist nach Kundenwunsch konfiguriert. In seiner Branche behauptet sich das Familienunternehmen seit 51 Jahren. Hier sollte es Antworten geben, welches Klima es im Unternehmen braucht, damit Neues entwickelt werden kann und erfolgreich in den Markt gelangt.
Pionier in der Verpackungsbranche
Während die Besucher den Testlauf im SOMIC-Werk beobachten, erklärt Matthias Wander (45), Director Research & Development (R&D), die Besonderheit dieser Maschine: 2023 hat sein Team das Sammel- und Gruppiersystem SOMIC CORAS entwickelt. Es nutzt die neuartige Magnetschwebetechnologie, womit das Unternehmen nach eigenen Angaben Pionierarbeit in der Verpackungsbranche geleistet hat.
Für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sind Innovationen entscheidend. „Wir in Deutschland sind nach wie vor stark darin, neue Ideen und Technologien zu entwickeln. Für die Zukunft des Industriestandorts Deutschland ist es jedoch wichtig, diese auch erfolgreich in den Markt zu bringen“, sagt Birgit Petzold, Innovationsreferentin der IHK für München und Oberbayern.
Unzureichende Ressourcen, mangelnde Risikofreude
Doch welcher Weg führt am besten dorthin? Im Unternehmen Innovationskraft einzufordern, genügt nicht. Die internen Rahmenbedingungen müssen innovationsfördernd sein. Das klingt simpel, scheint jedoch nicht einfach zu sein, zeigt eine Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte unter Innovatoren deutscher Unternehmen: 3 von 10 empfinden die Firmenkultur oder Risikobereitschaft „als unvereinbar mit der strategischen Ausrichtung“. Ein noch größeres Hindernis sind „unzureichende Ressourcen bei Finanzierungen, Personal oder Fachkräften“ (siehe Grafik).
Topthema für Innovationen ist mit 70 Prozent die Digitalisierung, worunter mehr Systemintegration, Sicherheit, verbesserte Geschäftsprozesse und Kundenerfahrung fallen. Es folgen KI-Anwendungen mit 45 Prozent und Nachhaltigkeitsinitiativen mit 24 Prozent.
Maschinenbauer SOMIC weiß um die Notwendigkeit von Innovationen. Als Hersteller von Verpackungsmaschinen steht er im intensiven internationalen Wettbewerb: 7 von 10 der SOMIC-Verpackungsmaschinen gehen ins Ausland. Laut Fachmagazin „Neue Verpackung“ gehört das Unternehmen, gegründet 1974 im oberbayerischen Vogtareuth und seit 2001 ansässig in Amerang im Chiemgau, zu den Top Ten der Endverpackungsbranche in Deutschland. 2004 erhielt die Firma den Preis „Bayerns Best 50“, mit dem das Bayerische Wirtschaftsministerium besonders wachstumsstarke Mittelständler ehrt.
Das seit Gründung immer zumindest teilweise familiengeführte Unternehmen erzielte 2024 mit 550 Mitarbeitern, davon 40 in den USA und 10 in Bangkok, rund 77 Millionen Euro Umsatz. Und so verpacken seine Maschinen denn auch nahezu alles, von Mozartkugeln über Nudeln und Kopfschmerztabletten bis zu Katzenfutter oder Non-Food-Waren.
„Ohne Druck wild ausprobieren“
Um international weiterhin bestehen zu können, legten im Jahr 2021 R&D-Leiter Wander und Christoph Kögel (37), heute Head of R&D Software, los als Innovationsduo: mit Vorstufen von digitalen Zwillingen, um Maschinen schneller einrichten und steuern zu können. Sie etablierten 3-D-Drucker, um eigenständig nach Bedarf Sonderteile zu fertigen.
„Klar gibt es das Auftragshamsterrad auch bei uns“, bekennt Wander. „Der Kundenwunsch steht an erster Stelle. Wir im Bereich Research & Development haben aber mehr Freiraum, erarbeiten in der Regel ohne den akuten Druck vom Tagesgeschäft Themen selbst, in denen wir Potenzial sehen.“ Kögel ergänzt: „Wild ausprobieren, das geht bei uns.“
Der Mix an Qualifikationen macht‘s
Bei den mittlerweile 12 R&D-Mitarbeitenden setzt Entwicklungsleiter Wander auf Ergebnisoffenheit, die Mischung aus internem Gedankengut und externem Input. Und auf die Stärken verschiedener Charaktere und Fachrichtungen: Aditya Bhandwalkar ist ein indischer IT-Experte für Cybersicherheit, der unter anderem mit Mylène Haslehner arbeitet.
Die französische Mathematikerin durchleuchtet die Abläufe im Unternehmen, um sie mit passenden KI-Systemen rascher und effizienter zu machen. Haslehner hat in Konzernen gearbeitet, schätzt beim Familienunternehmen nun „den starken Austausch und Zusammenhalt untereinander“. Neben eigenen Markt- und Trendbetrachtungen hören sie bei SOMIC vor allem ihren Kunden sehr genau zu und werten etwa Messebesuche aus.
Interne Erfahrung nutzen
Transfer ist also Trumpf. Mehr als 10 Jahre ist die Hälfte der SOMIC-Mitarbeiter bereits an Bord. Bewusst haben sie sich laut Wander beim Aufbau des Teams gegen Berater entschieden, stattdessen „lassen wir unsere Leute selbst machen, darunter 3 Experten um die 60 Jahre“. In manchen Projekten braucht es eben Erfahrung.
Neben der stetigen Verbesserung des Angebots (der sogenannten „inkrementellen Innovation“) suchen die SOMIC-Innovatoren wie eine Inhouse-Agentur auch Kontakte zu Start-ups für fundamentalere Innovationen. Mit dem Dresdner Start-up Peerox GmbH hat SOMIC zum Beispiel eine Onlinehilfssoftware erprobt, die Störungen im Maschinenlauf behebt und so die Produktionseffizienz steigert.
Themen proaktiv erkennen, Kontakte weitergeben
„Letztlich passte das für uns nicht ideal. Wir konnten das Start-up aber an unsere Kunden vermitteln“, berichtet Elektroingenieur Kögel. „Das wirft auch auf uns ein gutes Licht, weil wir Themen erkennen, proaktiv angehen und direkt Kontakte haben.“ Diese Haltung begrüßt Moritz Förster (46), der als Chef von UnternehmerTUM für Venture Clienting schon zahlreiche Kooperationen hergestellt hat. Eine Zusammenarbeit mit aufstrebenden Start-ups kann für etablierte Firmen ein Weg sein, um Innovationen ins Haus zu holen.
IHK-Expertin Petzold: „Bei Kooperationen zwischen Mittelständlern und Start-ups gewinnen beide Seiten. Oft bringen junge Unternehmen neuartige technologische Ansätze mit und können aufgrund weniger starrer Strukturen schnell in die Umsetzung gehen. Erfahrene Mittelständler punkten etwa mit guten Kontakten zu Kunden und Wissen zur Produktsicherheit.“
3 Erfolgsparameter zwischen Mittelstand und Start-up
Förster von der U-TUM weiß zu vermitteln „bei gegenseitig unrealistischen, zu hohen Erwartungen von Mittelständlern und Junggründern“, wie er sagt. Die Erfolgsparameter für eine Kooperation lauten für ihn: „Transparenz, Flexibilität und Realismus auf beiden Seiten – dann begegnet man sich auf Augenhöhe.“
Es sei wichtig, sich vor Projektstart auf einen Einseiter zu einigen: „Steht dort, ,unser Ziel ist gleich x‘, ist das oft zu vage. Konkret müssen die Meilensteine aufgeführt sein, ,das ist der gewünschte Ergebniskorridor, das sind die tatsächlich verfügbaren Ressourcen‘.“
Mittelständler und Start-ups Hand in Hand
Geboten sei, eine Vertrauensbasis zu schaffen, in der offengelegt werde, welche Prozesse beide Parteien unbedingt voneinander kennen müssen. Der Kooperation müsse sodann Dringlichkeit eingeräumt, ein Brückenkopf etabliert werden beim Mittelständler, der zwischen bestehenden Firmenstrukturen und dem Start-up vermittelt. „Und der in den wöchentlichen Abstimmrunden dabei ist – mit Entscheidungsbefugnis.“
Klare Zeit- und Zielvorgaben sowie Entscheidungsrechte auf den jeweiligen Ebenen – das gibt auch Martin Hermann, Technikchef des Kochsystemherstellers RATIONAL AG, für Innovationen vor: „Die meisten Kunden wissen, was sie heute brauchen. Jedoch meistens nicht, was sie in ein paar Jahren als neues Produkt wollen – das müssen wir rechtzeitig mit Vorlauf erspüren und entwickeln.“
„Den Markt mitentwickeln“
Die Roadmap für die Weiterentwicklung von Gargeräten für Profiküchen, die dem Landsberger Mittelständler 2024 rund 1,2 Milliarden Euro Umsatz einbrachten, zielt sehr fokussiert auf den besten Kundennutzen bei der thermischen Speisenzubereitung. „Wir müssen mit einem neuen Gerät häufig den Markt mitentwickeln“, sagt Hermann.
Er nennt als Beispiel die im März 2025 neu eingeführte, dritte Produktlinie iHexagon: Auf 6 Ebenen werden Speisen gegart durch Heißluft, Dampf und Mikrowelle, gleichmäßig, in hoher Qualität, schnell und frisch – sowie um 25 Prozent produktiver als herkömmliche Geräte. Die Neuentwicklung erhielt 2 Preise: als „Innovator des Jahres 2024“ vom Informationsnetzwerk „Die Deutsche Wirtschaft“ sowie den „German Innovation Award 2025“ des Rats für Formgebung.
Agile Teams für multiple Herausforderungen
Für Innovationssprünge wie diese sei die Haltung entscheidend: „Unternehmer im Unternehmen sein und die jeweils eigene Verantwortung wahrnehmen“, das sei Teil der RATIONAL-Firmenphilosophie, so Hermann. Früher hätten 60 Entwickler an einem großen Vorhaben gearbeitet, in Matrixstruktur, mit definierten Tagespaketen auf Wochen voraus und „dem Glauben, dass alles beherrschbar ist“.
Der promovierte Mechatronik-Ingenieur unterstreicht: „Heute müssen unsere agilen Teams viel schneller auf die multiplen Herausforderungen reagieren.“ Dabei spielen Agile Transition Coaches, die bei der Umsetzung agiler Arbeitsweisen im Unternehmen helfen, eine wichtige Rolle. Sie erkennen fachlich wie menschlich neue Ansätze, ermutigen zur Umsetzung, motivieren auch bei Rückschlägen.
Treffen in Etappen mit gut 100 Kollegen
Ist ein Projekt zu Anfang definiert, geht es in 2- bis 3-Wochen-Sprints voran. Was in Kleingruppen mit den Prozessverantwortlichen und innerhalb der Projekte an Erkenntnissen gewonnen wurde, tragen die Coaches zur Verfeinerung in die Organisation, die damit weiterarbeitet.
Alle 4 Monate werden dann Etappendemotermine angesetzt. „Das sind Testaufbauten und Modelle, an denen 100 bis 150 Kollegen zusammenkommen – mit einer bunten Mischung der Qualifikationen quer durchs Unternehmen“, erläutert Thorsten Hallauer (42), Leiter des Bereichs Project Portfolio Management.
„Klar ist das ein Aufwand, aber die unterschiedlichen Inputs und Einschätzungen aus Einkauf, Produktion und Service sind wichtig.“ Typisch ist das Nachschärfen des Projektziels während des Prozesses. Sind Neuentwicklungen dann vorzeigbar, werden ausgewählte Kunden früh in Feldtests eingebunden.
Heute dreimal so viele Projekte
Seit 15 Jahren ist Hallauer im Unternehmen und beobachtet: „In der Zeit haben sich die Projekte etwa verdreifacht, wir bewegen uns auf Multiprojektebenen. Je komplexer und somit unbeherrschbarer die Umgebung, desto geeigneter sind deshalb agile Arbeitsmethoden. Sie haben uns geholfen, strategisch umzusteuern.“
Hallauer, früher als Projektmanager tätig, leitet seit 2022 das RATIONAL Project Portfolio Management mit 8 Mitarbeitern, darunter Zoi Natsiopoulou als interne Agile-Transition-Coachin. „Unsere Produkte sind komplexe Systeme, die Mechanik, Elektronik, Software, Thermodynamik plus Hochfrequenz- und Verbrennungstechnik verbinden“, erklärt die Wirtschaftspsychologin und gelernte Schreinerin. „Dafür müssen wir unseren Weg finden und ein eigenes agiles Framework entwickeln. Das fordert uns oft ziemlich, aber wir haben vom Management viel Vertrauen und Gestaltungsfreiheit – was Spaß macht.“
Kurssteigerung um Faktor 40
Mehr Fokus auf Individuen, Interaktionen und Selbstorganisation zu legen als auf Prozesse, Werkzeuge und Dokumentation, das passe zur Firmenkultur. Von den 2.700 RATIONAL-Beschäftigten sind 1.700 am Stammsitz in Landsberg am Lech. 1973 gegründet, konnte das Unternehmen zum 25-jährigen Börsenjubiläum im März 2025 eine Kurssteigerung nahezu um den Faktor 40 vorweisen.
Um die Rahmenbedingungen für die deutschen Unternehmen insgesamt zu verbessern und die technologische Leistungsfähigkeit auszubauen, berät unter anderem die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) die Bundesregierung. Eines der 6 Mitglieder ist die Innovationsforscherin Carolin Häussler, Professorin für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Universität Passau.
„Braucht klare Strategie in Forschungs- und Innovationspolitik“
Sie betont: „Unternehmerische Initiative und Risikobereitschaft müssen gefördert werden. Die hohen Kosten des Scheiterns müssen runter, damit Unternehmen wieder mutig innovieren, anstatt beim Bewährten zu bleiben. Überbordende Regulierungen und Berichtspflichten müssen zurückgefahren werden.“ Das sei im aktuellen EFI-Gutachten klar formuliert, so Professorin Häussler: „Es braucht eine klare Vision und Strategie in der Forschungs- und Innovationspolitik, klare strategische Leitlinien und mehr Durchsetzungskraft. Alle Ministerien müssen hier einschwingen.“
Blickwinkel ändern
Blickt man auf die Umfrage zu Anfang, empfehlen die Deloitte-Experten dieses Vorgehen: die Professionalisierung des Innovationsprozesses sowie die monetäre Bewertung von entwickelten Innovationen und des Portfolios. Firmenlenker sollten also die Entrepreneur-Perspektive einnehmen oder die Brille eines Wagniskapitalgebers aufsetzen. Und den Blick schweifen lassen, welche unterschiedlichen Köpfe in ihren Teams Wissen und Willen einbringen können für neues Denken, aus dem mehr werden kann.
IHK-Info: Umfassende IHK-Websites -rund um Innovationsförderung
Die IHK bietet auf ihrer Homepage umfassende Ratgeber zum Thema Innovation im Unternehmen:
- Hinweise und „Kompass“ für das An- und Vorgehen bei Kooperationen zwischen Mittelstand und Start-ups
- Hinweise, wie aus der Idee ein erfolgreiches Produkt werden kann – 6 Innovationsschritte
- Alles rund um Förderprogramme, von Bund und Ländern, inklusive aktueller, meist kostenfreier Beratungsangebote