Standortpolitik

„Die Breite der Inflation treibt uns um“

Deutsche Bundesbank ©
„Nicht mehr tragfähige Geschäftsmodelle sind auch früher vom Markt verschwunden“, sagt Reinhold Vollbracht, Präsident der Bundesbank-Hauptverwaltung in Bayern.

Im Interview (Stand: Mitte Mai 2023): Reinhold Vollbracht, Präsident der Bundesbank-Hauptverwaltung in Bayern, über Risiken aus dem Klimawandel, die Auswirkungen hoher Zinsen und die Folgen für Banken und Firmen.

Von Monika Hofmann, IHK-Magazin 07-08/2023

Herr Vollbracht, in vielen Firmen nimmt nachhaltiges Wirtschaften immer mehr Raum ein, die Anforderungen steigen. Was ist dabei für Unternehmen wichtig?
Ausgangspunkt für alle Beteiligten ist die EU-Taxonomie-Verordnung. Diese legt fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch nachhaltig gelten. Sie wurde entwickelt, um Unternehmen und Investoren dabei zu unterstützen, umweltfreundliche Vorhaben zu identifizieren und ihre Entscheidungen nachhaltig auszurichten.

Was sind die konkreten Kriterien?
Die EU hat sich auf sechs umweltbezogene Ziele geeinigt: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verringerung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Ob eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zu einem der Umweltziele leistet, soll anhand von technischen Bewertungskriterien bestimmt werden.

Finanzmarkt als Hebel für Transformation

Und welche Rolle spielt die Bundesbank dabei?
Unsere Rolle ist hier eine mittelbare. Die Transformation der Wirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit erfordert ein immenses Investitionsvolumen. Dazu ist ein leistungsfähiger und stabiler Finanzsektor nötig, der die nötigen Investitionen ermöglicht – und hilft, die Transformation zu finanzieren. Ein stabiler Finanzmarkt und stabiles Geld gehören zu unseren Kernaufgaben. Und über diesen „Hebel“ können und wollen wir die Transformation unterstützen.

Hinreichende Kredite für nachhaltige Investitionen

Wie wollen Sie dies denn sicherstellen?  
Grundsätzlich über drei Bereiche: Erstens, im Bereich der Geldpolitik leisten wir unseren Beitrag für ein stabiles Preisniveau. Das ist wichtig für die Kalkulation von Unternehmen, insbesondere mit Blick auf nachhaltige Investitionen.

Zweitens haben wir eine wichtige Rolle in der Bankenaufsicht. Zusammen mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin tragen wir Sorge für einen stabilen und leistungsfähigen Bankensektor. Er soll zum einen hinreichend Kredite für nachhaltige Investitionen bereitstellen, zum anderen klimabezogene Risiken angemessen berücksichtigen. Solche finanziellen klimabezogenen Risiken schauen wir uns auch in unserer eigenen Bilanz an. Deshalb werden wir künftig Transparenzanforderungen an die Emittenten von Wertpapieren stellen, die wir in geldpolitischen Kaufprogrammen erwerben. Das trägt zur Markttransparenz bei.

Und was ist der dritte Bereich?
Zusätzlich zu den einzelnen Banken analysieren und überwachen wir außerdem die Stabilität des gesamten Finanzsystems. Um es mit einem Bild zu beschreiben: Wir schauen uns hier nicht die einzelnen Bäume an, sondern den ganzen Wald.

Firmen müssen Risiken antizipieren

Keine Veränderung ohne Risiko: Welche Risiken kommen bei der Transformation auf Firmen zu?
Wir unterscheiden hier zwischen zwei Kategorien von Risiken. Das eine sind die physischen Risiken, die unmittelbar aus dem Klimawandel resultieren. Stichworte sind Starkregen oder Überschwemmungen, wie beispielsweise bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021. Die zweite Risikokategorie ist mit dem Übergang zu einem nachhaltigeren Wirtschaften verbunden. Das kann bedeuten, dass eine bisherige Produktpalette möglicherweise nicht mehr erfolgreich sein wird, weil sie nicht mehr als nachhaltig angesehen wird.

Änderungen sind damit unvermeidlich?
So ist es. Wir sollten dabei aber nicht vergessen, dass der Wandel häufig die Keimzelle für Innovationen war und ist. Nicht mehr tragfähige Geschäftsmodelle sind auch früher vom Markt verschwunden. Unternehmen und Branchen erfinden sich aufgrund von technologischen Entwicklungen immer wieder neu. Denken Sie an die Videotheken, die mit dem Internet und den Streamingdiensten obsolet geworden sind.

Zusätzliche Herausforderungen für Banken

Und welche Veränderungen sehen Sie konkret für den Bankensektor?
Die klassischen bankgeschäftlichen Risiken – etwa das Kreditrisiko oder das Marktrisiko – bleiben bestehen. Aber es gibt jetzt zusätzliche Ausprägungen in Form von klima- und nachhaltigkeitsbezogenen Risiken. Diese müssen die Banken angemessen berücksichtigen.

Kerninflation anhaltend hoch

Kommen wir zur weiterhin hohen Inflationsrate. Wie beurteilen Sie die Lage?
Die Inflationsrate ist in der Tat immer noch zu hoch. Es bedarf auch künftig eines entschlossenen Handelns des Rats der Europäischen Zentralbank, um sie wieder auf zwei Prozent zurückzubringen. Der Höhepunkt der Inflationswelle in Deutschland und im Euroraum dürfte inzwischen jedoch überschritten sein. Das zeigen auch die nachlassenden Teuerungsraten.

Aber für eine Entwarnung ist es zu früh?
Ja! Wir haben trotz der jüngsten Leitzinsanhebungen im Euroraum weiterhin ein schwieriges Preisumfeld. Was uns als Bundesbank besonders umtreibt, ist die Breite der Inflation. Bei der sogenannten Kerninflationsrate, also der um die stark schwankenden Energie- und Lebensmittelpreise bereinigten Rate, sehen wir noch keine nachhaltigen Rückgänge.

Banken kurzfristig unter Druck

Der EZB-Rat geht mit massiven Leitzinserhöhungen gegen die Inflation vor – mit welchen Folgen für die Banken?
Dies hat zwei Effekte: Zunächst können sich höhere Zinsen kurzfristig nachteilig auswirken. Aufgrund des langen Zeitraums mit niedrigen Zinsen haben die Banken Kredite zu niedrigen Zinssätzen vergeben und Wertpapiere erworben, die nun an Wert verlieren. Dies belastet vorerst die Ergebnisse der Institute, wie sich in den Jahresergebnissen der Banken und Sparkassen in Bayern für 2022 zeigt.

Und die mittel- bis längerfristige Sicht?
Dann können die Banken profitieren, wenn sie neue Kredite zu höheren Zinsen vergeben und eine verbesserte Zinsspanne erzielen. Wie stark dies gelingt, hängt allerdings von der Kreditnachfrage ab. Höhere Erträge wären wichtig, um Kreditausfälle in nächster Zeit besser abfedern zu können.

Unternehmensgewinne grundsätzlich robust

Die Inflation ist ein großes Ärgernis – auch für Firmen. Welche Risiken ergeben sich?
Steigende Preise für Rohstoffe, Energie und Löhne erhöhen die Kosten für die Firmen. Zudem schrecken Unternehmen vor Investitionen zurück, da deren Rentabilität viel schwerer abzuschätzen ist als bei stabilem Preisumfeld.

Hinzu kommt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher derzeit reale Einkommensverluste erleiden. Das dämpft die Nachfrage. Schließlich kann eine hartnäckige Inflation auch eine Preis-Lohn-Spirale in Gang setzen. Das alles bremst das Wachstum. Allerdings zeigen sich die Unternehmensgewinne insgesamt robust, zum Teil wurden Gewinnmargen sogar ausgeweitet. Auch das trägt zur hartnäckigen Inflation bei.

Hohe Zinsen fordern Tribut

Und was bedeuten die Zinserhöhungen für Unternehmen?
Betriebsmittel- und Investitionskredite werden teurer. Der Großteil der Unternehmen dürfte mit den höheren Finanzierungskosten zurechtkommen. Aber bei einzelnen Firmen kann es sein, dass sie die größere Zinslast nicht mehr tragen können. Kreditversicherer in Deutschland gehen von steigenden Insolvenzzahlen aus – nicht dramatisch, aber spürbar.

Das könnte sich wiederum negativ auf Banken auswirken.
Ja. Daher ist es gut, wenn die Banken auskömmliche Erträge erwirtschaften, um mögliche Kreditausfälle als Folge von Insolvenzen abfedern zu können.

Basel III gezielt weiterentwickeln

Manche Experten wie der Ökonom Martin Hellwig fordern strengere Eigenkapitalvorschriften als im aktuellen Regelwerk Basel III. Was halten Sie davon?
Es ist richtig, hierüber nachzudenken. Die jüngsten Bankenturbulenzen haben gezeigt, dass es Verwundbarkeiten im Finanzsystem gibt. Allerdings hat das bankaufsichtliche Regelwerk Basel III als Reaktion auf die schwere Finanzkrise 2007/2008 zu einem deutlich stabileren Banken- und Finanzsystem beigetragen. Nun gilt es, darauf aufzubauen durch gezielte Weiterentwicklung des Rahmenwerks. Deshalb ziehen wir Lehren aus den jüngsten Bankenschieflagen und denken über punktuelle Veränderungen bei Regulierung und Aufsicht nach.

Zur Person: Reinhold Vollbracht

Reinhold Vollbracht (58) ist Diplombetriebswirt und hat auch eine Ausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen. Er ist seit 1991 bei der Deutschen Bundesbank in verschiedenen Positionen tätig und seit knapp einem Jahr Präsident der Hauptverwaltung in Bayern.

Verwandte Themen