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Start-up im Pausenmodus

EGYM/Benjamin Olszewski ©
»Was die Investoren wollen, ist ein defensiv geprägter Plan, der den Cashflow schont.«

Mit cleveren Fitnessgeräten wollte EGYM durchstarten. Wegen Corona muss das Unternehmen jetzt umplanen. Der für 2022 geplanten Börsengang ist verschoben.

Cornelia Knust, Ausgabe 02/21

»I am still struggling – ich habe immer noch zu kämpfen.« Diese Botschaft setzt Philipp Roesch-Schlanderer nun jeden Freitag an seine Belegschaft ab. Dann ist wöchentliche Videokonferenz mit dem Start-up-Unternehmer – wenn man ihn zehn Jahre nach Firmengründung noch so nennen darf.

Doch das zehnte Jahr der EGYM GmbH ist ein Coronajahr, weshalb das Kämpfen nun zum Tagesgeschäft gehört. Der Münchner Softwareanbieter für Fitness- und Gesundheit mit zuletzt stolzen 82 Millionen Euro Umsatz scheint urplötzlich in der falschen Branche unterwegs zu sein. Die Gründer und Geschäftsführer Philipp Roesch-Schlanderer (Betriebswirt, 38) und Florian Sauter (Informatiker, 37) mussten von »Hype« auf »Hope« umschalten. Die Fitnessstudios sind geschlossen oder nur mit Physiotherapierezept zu benutzen. Das dürfte die Investitionsbereitschaft gewaltig dämpfen. Wird es gelingen, das Unternehmen auf Kurs und die Investoren bei der Stange zu halten?

Auf dem Weg zur »Einhorn«-Bewertung

EGYM hatte in drei Finanzierungsrunden reichlich Risikokapital eingesammelt. Waren anfangs nur Business Angels wie Ex-Microsoft-Chef Jürgen Gallmann und staatliche Gründerfonds engagiert, so stiegen 2014, 2016 und 2018 internationale Venture-Capital-Fonds ein. 2020 sollte eine weitere 100-Millionen-Dollar-Platzierung starten; so weit kam es nicht. Doch noch im Februar 2020 bescheinigten Experten bei einem Kapitalmarkt-Ranking, das Unternehmen sei auf dem Weg zum »Einhorn«, also zu einer Bewertung von einer Milliarde Dollar.

Spezielle Trainingsgeräte angeschafft

Der Börsengang und damit der gewinnbringende Ausstieg (Exit) der Investoren war für 2022 avisiert. EGYM sollte mit interaktiven und wie ein Computerspiel ausgelegten Trainingsapps gerade so richtig abheben. In Deutschland nutzten schon 2.000 (von insgesamt 9.600) Fitnessstudios die EGYM-Applikationen und hatten die speziell darauf ausgelegten Trainingsgeräte angeschafft. Die fertigt ein Zulieferer von der Schwäbischen Alb für das Unternehmen. Weitere 15.000 Studios weltweit verwendeten die EGYM-Software auf Ausdauertrainingsgeräten von anderen Herstellern wie Life Fitness, Matrix oder Precor.

Im nächsten Schritt zielte man auf die Märkte Physiotherapie und Firmen-Fitnessprogramme. Vor allem aber sollte der vielversprechende US-Markt mit seinen großen Fitnessketten aufgerollt werden. Dort hatte das Unternehmen einen kalifornischen App-Anbieter gekauft und eine eigene Tochtergesellschaft in Boulder (Colorado) gegründet. Und dort war gerade die Marketingzentrale für die gesamte EGYM-Gruppe angesiedelt worden – bevor sie für Monate unerreichbar wurde.

Statt USA verwaiste Büros

Roesch-Schlanderer wollte eigentlich immer eine Woche des Monats in Boulder sein. Jetzt sitzt er im vierten Stock des nagelneuen »Blue Tower« in der Münchner Einsteinstraße, wo außer ihm nicht viele sitzen. Die teuren Büroetagen, gemietet für zehn Jahre, sind fast verwaist.

Am Chefbüro steht »CEO«, also Chief Executive Officer, doch drinnen sieht es aus wie in einem neutralen Konferenzraum. Auf dem eiförmigen Tisch nur ein Laptop, ein Smartphone und ein paar Wassergläser. »Ich lebe asset-light«, sagt Roesch-Schlanderer (intern PRS genannt), Unternehmersohn aus Sindelfingen bei Stuttgart. So wohne er auch, möbliert, mit nur wenigen eigenen Stücken. An Kleidung besitze er 20 schwarze und fünf weiße T-Shirts mit V-Ausschnitt. Zudem zwei Anzüge – für Messeauftritte und die Treffen mit den Investoren.

Mehr Kommunikation

Der Unternehmer, dessen Leben temporeich war und in zwei Koffer passte, muss sich nun mit Geduld durch die Mühen der Ebene arbeiten. Ein Viertel der Belegschaft hat er schon bald nach Ausbruch der Pandemie entlassen, so steht es zumindest im Internet in den Mitarbeiter-Bewertungsportalen für EGYM. Roesch-Schlanderer spricht von einem »signifikanten Stellenabbau« und räumt ein: »Die Entlassenen waren unglaublich sauer. Das hat mich schockiert. Ich hätte meine sehr frühen Erkenntnisse über die Lage in China und meine Sicht auf Verlauf und Dauer der Krise besser kommunizieren müssen.«

Gegen Nervosität hilft defensiv geprägter Plan

»Generell war einfach jeder sehr nervös«, so antwortet der Unternehmer auf die Frage nach der Reaktion der Investoren. Die seien aber auch ein wichtiger Ratgeber und folgten der Devise: »Wenn sehr viel Unsicherheit herrscht, sollte man so schnell wie möglich die Kosten rausnehmen.« Daher der Stellenabbau. Zudem liegen viele Projekte auf Eis, Zukäufe wurden vertagt, Investitionen in den Vertrieb verworfen. »Was die Investoren wollen, ist ein eher defensiv geprägter Plan, der den Cashflow schont«, so der Unternehmer.

Wenn die Geldgeber in diesen unsicheren Zeiten kein weiteres Kapital nachschießen möchten, so ist das laut Roesch-Schlanderer »aus heutiger Sicht kein Problem«. Obwohl das Unternehmen noch Verluste macht (allein elf Millionen wurden für das Jahr 2019 veröffentlicht), ist der Firmenchef sicher: »Wir können es schaffen, kein zusätzliches Geld zu brauchen, allein aufgrund der Cash-Reserven, die wir haben oder abrufen können.«

Keine Exit-Szenarien

Den Börsengang peilt er nach wie vor an, wenn auch für etwas später: »Ich möchte mein Versprechen gegenüber den Investoren einlösen und einen Plan erarbeiten, der ihnen den Pfad zur Liquidität ebnet.« Andere Exit-Szenarien wie den Einstieg eines neuen Großinvestors oder gar ein Unternehmensverkauf würden nicht verfolgt.

Noch im Spätsommer gab es positive Nachrichten vom deutschen Markt, die auch der Branchenverband DSSV mit seinen Umfragen untermauerte. Damals hieß es, die Check-ins (also Besuche) bei den Fitnessstudios seien wieder fast auf Vorkrisenniveau. Doch schon im November klang das anders: Der DSSV berichtete von durchschnittlich 16 Prozent Mitgliederschwund und 20 Prozent Umsatzrückgang in den Studios und forderte ein Nothilfeprogramm vom Staat. Die Hilfe ist versprochen, kommt allerdings schleppend.

Und normalerweise seien es die Monate November bis Februar, in denen die aller meisten Neukunden geworben werden, sagte Verbandspräsidentin Birgit Schwarze im Januar 2021; die Lücke lasse sich wahrscheinlich erst bis 2023 schließen.

Werden die Mitglieder denn überhaupt wieder in die Studios zurückkommen? Das Turnen zu Hause, angeleitet von Fitnesstrainern im Internet, sieht Roesch-Schlanderer jedenfalls nicht als gefährliche Konkurrenz. EGYM hat seinen Kunden sogar selbst solche Programme zur Verfügung gestellt, damit die während der Schließung ihre Kunden bei der Stange halten können. Doch auf Dauer mache Fitness im Studio mehr Spaß und sei effektiver. Vielversprechend sei zudem das Geschäft mit Fitness in Firmenprogrammen. Hier erhalten die Unternehmen für ihre Mitarbeiter ein Abo per App, mit der diese in allen Vertragsstudios und weiteren Sporteinrichtungen trainieren können.

»Personal Training für Normalos«

Im Showroom des Münchner »Blue Tower« lässt EGYM die eigenen Mitarbeiter an die Geräte. In einem Kreis aufgestellt sind klassische Kraftmaschinen zur Stärkung von Rücken, Bauch, Schultern oder Oberschenkeln. Den Widerstand bilden hier nicht Gewichte, sondern ein Elektromotor in jedem Gerät. Dieses erkennt (über smarte Uhr oder Telefon) den jeweiligen Nutzer, stellt Trainingsposition und Belastung automatisch ein. Ein Display führt durch die Übung, bestimmt Tempo, Pausen, Intensität und Dauer gemäß definiertem Trainingsplan. Dann heißt es, im Uhrzeigersinn wechseln. »Personal Training für Normalos« nennt Roesch-Schlanderer das.

Weiterdenken

Ein neues, besonders schonendes Trainingsmodul namens »Immunity Boost« ist seine Antwort auf die Coronakrise. Überhaupt sind Schlagworte wie »Steigerung der Immunabwehr« oder »Senkung des biologischen Alters« seit Neuestem ein häufig genanntes Verkaufsargument. Roesch-Schlanderer denkt auch schon weiter: Effektive Therapien oder Prävention und ihre Kontrolle – das sei auch ein Thema für die Krankenkassen.

Weil der Nutzer der EGYM-Geräte oder -Apps immer eine Datenspur hinterlässt, werde das Unternehmen bald mehr über die Gewohnheiten, körperlichen Schwächen und inneren Schweinehunde der Trainierenden wissen als jeder andere in der Branche.Außer vielleicht der italienische Wettbewerber TechnoGym, der ein ähnliches Geschäftsmodell hat, aber (etwa wie Vorbild Apple) kein offenes System anbietet und auf Partner in der Geräteindustrie verzichtet.

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