Freier Handel | Standortpolitik

Startklar für den Neuanfang

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Großbritannien grenzt sich ab gegenüber der EU

Am 1. Januar 2021 verlässt Großbritannien den EU-Binnenmarkt und die Zollunion. Wer weiterhin gute Geschäftsbeziehungen will, muss sich jetzt vorbereiten.

Mechthilde Gruber, Ausgabe 11/20

Das Ende aller Fristen naht: Nach jahrelangen Verhandlungen, Abstimmungen, neuen Gesetzen und Abkommen verlässt in gut acht Wochen das Vereinigte Königreich endgültig die Europäische Union. Bis Ende Dezember läuft noch die im Austrittsabkommen vereinbarte Übergangsfrist, in der alle EU-Regeln weiter gelten. Deshalb war bisher von Veränderungen auch kaum etwas zu spüren.

Zum Jahreswechsel aber kommt es zu einem harten Bruch. Denn ganz gleich, ob Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen doch noch zu einem positiven Ergebnis führen sollten oder nicht – am 1. Januar 2021 wird Großbritannien zum Drittstaat. Zwischen der Insel und dem europäischen Kontinent wird es dann wieder eine Grenze geben, die die bisher einfachen Geschäftsbeziehungen komplizierter macht.

»Vieles ist unausweichlich«, sagt Jessica de Pleitez, Expertin für Europa und Ansprechpartnerin zum Brexit bei der IHK für München und Oberbayern. »Unternehmen sollten deshalb die restliche Zeit nutzen und sich mit den wichtigsten neuen Regeln im Geschäftsverkehr mit dem Vereinigten Königreich auseinandersetzen.«

Was sich für Unternehmen ändert – die wichtigsten Punkte:

  • Warenverkehr und Zoll
    Sowohl für Importeure als auch für Exporteure wird der bürokratische Aufwand ab Januar 2021 erheblich sein. Sie müssen sich mit den im Unionsrecht vorgesehenen Zollvorschriften auseinandersetzen, Zollformalitäten erfüllen und mit Zollkontrollen rechnen – selbst wenn mit dem Vereinigten Königreich eine Freihandelszone eingerichtet werden sollte. Die Formalitäten und Verfahren werden zeitaufwendiger als bisher, das kann sich auch auf die Organisation bestehender Lieferketten auswirken.

    Unternehmen, die britisches Vormaterial für ihre Produkte verwenden und bestehende Freihandelsabkommen mit Drittländern nutzen, müssen sorgfältig prüfen, in welchem Maße sie betroffen sind. Denn britisches Vormaterial kann künftig zum Verlust der Ursprungseigenschaft und damit zum Verlust von Zollvergünstigungen führen. Deshalb muss dieser Anteil genau ermittelt und der Wert berechnet werden. Auch Lieferantenerklärungen müssen entsprechend angepasst werden.
     
  • Transport und Logistik
    Allein zwischen Calais und Dover passieren täglich 17.000 Lastkraftwagen die Grenze. Mit dem Wegfall des freien Warenverkehrs und der Wiedereinführung von Zöllen und Kontrollen wird es an den Grenzen zu Verzögerungen und langen Abfertigungszeiten kommen. Logistikunternehmen müssen dabei nicht nur mit höheren Kosten und bürokratischem Aufwand rechnen. Sie müssen sich auch auf Regelungen einstellen, die von EU-Recht abweichen. Das gilt beispielsweise für Entsenderichtlinien, Emissionsgesetzgebung, Berufsqualifikationen oder Produktzertifizierungen.
     
  • Handel mit Dienstleistungen
    Immer noch nicht genau absehbar sind die Veränderungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen. Vom Wegfall der Dienstleistungsfreiheit sind vor allem Finanzdienstleister betroffen, aber auch Firmen, die ihre Mitarbeiter beispielsweise auf Baustellen oder zur Montage von Maschinen und Anlagen ins Vereinigte Königreich schicken wollen.

    Mit einem komplexen neuen »Immigration Law« will Großbritannien eigene Regelungen schaffen und Verfahren einführen, die vom EU-Standard deutlich abweichen können. Die britische Regierung wird sich aber möglicherweise erst in letzter Minute festlegen.

    Fest steht, dass sich Dienstleister berufliche Qualifikationen künftig anerkennen lassen müssen. Unklar ist, welche Ausnahmen und Erleichterungen es für bestimmte Berufssparten geben wird. Aufenthalts- sowie Arbeitsgenehmigungen und eventuell auch Visa werden künftig notwendig sein und erheblichen Zusatzaufwand und Mehrkosten verursachen.
     
  • Zertifizierung und Kennzeichnung
    Zertifizierungen oder Zulassungen etwa für Medizinprodukte, Kraftfahrzeuge, Maschinen oder Bauprodukte, die von einer britischen Behörde ausgestellt wurden, verlieren zum Jahresbeginn ihre Gültigkeit, da nach Unionsrecht eine benannte Stelle der EU dafür erforderlich ist. Ebenso gelten die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) nicht mehr, wenn sie von britischen Behörden ausgestellt wurden. Unternehmen müssen hier umgehend Maßnahmen ergreifen und sicherstellen, dass notwendige Zertifizierungen und Registrierungen übertragen oder erneuert werden – entweder durch eine zuständige Stelle oder Behörde in der EU oder durch einen Wirtschaftsakteur aus Großbritannien mit Zulassung in der EU.
     
  • Steuern
    Die Vorschriften für die Entrichtung und Erstattung der Mehrwertsteuer ändern sich zum Jahreswechsel. Unternehmen müssen sich frühzeitig darauf vorbereiten (Stichwort Umsatzsteuerregistrierung). Unternehmen, die sich über die Advanced Notification of UK VAT Registration angemeldet haben, um eine britische Umsatzsteuernummer für den Fall eines ungeregelten Brexit zu erhalten, können die vergebenen Nummern nun nicht mehr verwenden, da die Sonderregelung zurückgenommen wurde. Stattdessen gilt wieder: Eine umsatzsteuerliche Registrierung im Vereinigten Königreich kann nur beantragt werden, wenn steuerpflichtige Umsätze bereits generiert werden oder diese innerhalb von drei Monaten nach Eingang des Registrierungsantrags mit Sicherheit zu erwarten sind.

    Unternehmen, die nach Ablauf der Übergangsphase Importe in das Vereinigte Königreich durchführen, sollten den Registrierungsprozess daher sofort in die Wege leiten, um auf die steuerlichen Änderungen vorbereitet zu sein.
     
  • Recht und Datenschutz
    Unternehmen, die in Großbritannien etwa als Limited eingetragen sind, gelten ab Januar 2021 als Drittlandunternehmen und werden nicht mehr automatisch anerkannt. Spätestens jetzt sollten betroffene Firmen die notwendigen Schritte für eine Eintragung in einem EU-Mitgliedstaat unternehmen.

    Mit dem Ende der Übergangszeit finden auch die Unionsvorschriften zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in der EU und im Vereinigten Königreich keine Anwendung mehr. Unternehmen sollten neue und laufende Handelsverträge deshalb auf die damit verbundenen Risiken genau überprüfen.

    Für viele Wirtschaftszweige relevant sind auch die neuen Anforderungen bei der Übermittlung personenbezogener Daten aus der EU in das Vereinigte Königreich. Ab Januar 2021 unterliegen diese den Vorschriften für die Datenübermittlung an Drittländer, die in der DSGVO der EU festgelegt sind. Auch dies müssen Unternehmen berücksichtigen.

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