Kraft der Ideen
Mehr Zusammenarbeit, bessere Rahmenbedingungen – wie das MUNICH INNOVATION ECOSYSTEM Jungunternehmen und Mittelstand verbindet und den Standort sichert.
Von Eva Schröder, IHK-Magazin 09/2024
Lust, zu gestalten und ihre Technik aus der Forschung in Serie zu bringen, die hatten sie beim Münchner Start-up BAVERTIS von Anfang an. Doch das allein reicht nicht, hat Geschäftsführer Niclas Lehnert längst erkannt: „Komplementäre Partner zu finden, die nicht fürchten, dass du ihren internen Abteilungen Konkurrenz machst – das ist das Wichtigste“, sagt er.
Er lehnt sich vor und berichtet im Co-Working-Space „Munich Urban Colab“, wie er und sein Schulfreund Manuel Kuder 2019 bei einem Bier die Idee zur Gründung der BAVERTIS GmbH hatten. Seit März 2022 arbeiten die beiden mit Michael Hohenegger, Lukas Obkircher und 15 Mitarbeitern daran, mit einem neuartigen Batteriemanagementsystem besonders langlebige und leistungsfähige Akkus für E-Mobile zu entwickeln.
Mehr über das innovative Batteriesystem von BAVERTIS hier.
Start-ups brauchen Fürsprecher
Je mehr Lehnert vom Gründeralltag erzählt, desto greifbarer werden die Herausforderungen. „Du kannst ein noch so guter Verkäufer sein – für ein Start-up reicht das nicht. Du brauchst einen Fürsprecher, der im Unternehmen für dich als neuen potenziellen Partner wirbt“, ist er überzeugt.
Damit umreißt der Betriebswirt nicht nur eine typische Hürde des Geschäftsstarts, sondern skizziert zugleich den Auftrag des MUNICH INNOVATION ECOSYSTEM. In Fortführung des 2015 gegründeten Netzwerks (siehe IHK-Info unten) will die Initiative Start-ups und mittelständische Unternehmen rasch und effizient zusammenbringen, um laut Vertrag der Partner „eine der lebenswertesten Städte weltweit und ihre Umgebung weiterhin durch Innovation und technologische Spitzenleistungen an der Spitze zu halten“. Auch die IHK für München und Oberbayern ist unter den Partnern.
Akteure passgenau zusammenbringen
„Es gibt hier viele leistungsfähige Netzwerke. Die ECOSYSTEM-Initiative kann als eine Art gemeinsames Dach bewirken, dass die verschiedenen Akteure schneller voneinander erfahren, ihre Ziele abgleichen und im besten Fall passgenauer zusammen starten können. Weil sie gleich Zugang zu sämtlichen Unterstützern erhalten“, erklärt Christoph Angerbauer, IHK-Bereichsleiter für Innovation und Internationales, die Vorteile.
Dabei kann das Ökosystem auch an der Verbesserung der Rahmenbedingungen mitwirken. Ein wichtiger Punkt ist hier die Kapitalbeschaffung. Für die ersten Finanzierungsphasen ist Deutschland gut aufgestellt. „Doch es wird schwierig, wenn ein Start-up zum Scale-up wird, wächst und international expandiert“, sagt Bernhard Eichiner, IHK-Referatsleiter für Industrie, Innovation und Beratung.
Aufholbedarf bei Risikokapital
Als Scale-ups gelten besonders wachstumsstarke Start-ups, die mit einem erprobten Geschäftsmodell in internationale Märkte expandieren und ihr Wachstum über Series-B-Runden finanzieren. In dieser Stufe fallen Deutschland und auch Bayern im Vergleich mit anderen internationalen Innovationsstandorten zurück. Deshalb fordert die IHK in einem neuen Positionspapier „Wachstum und Finanzierung“ unter anderem einen Venture-Capital-Dachfonds unter Beteiligung institutioneller Investoren sowie steuerliche Verbesserungen für Risikokapital zusätzlich zum 2021 aufgelegten „Zukunftsfonds Deutschland“.
Hendrik Brandis, Co-Gründer und Partner der Münchner Earlybird VC Management GmbH & Co. KG, plädiert für eine staatliche Ausfallbürgschaft: „Der Staat nutzt seine Kreditwürdigkeit für zusätzliche Einnahmen, ohne eigene Gelder aufzubringen.“ Das würde den Investoren eine attraktive Anlageklasse ohne Eigenkapitalunterlegung und der Wirtschaft „notwendige Investitionen in Wachstumsunternehmen“ ermöglichen.
Gründer an den Standort binden
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigte im Juni neue Programme der Landesförderbank LfA sowohl für den Mittelstand als auch für Neugründungen an. Ein „Super-Risikokapitalfonds“ für Start-ups in der Wachstumsphase „als Signal, dass sie nicht auf internationale Geldgeber angewiesen sind, sondern hierbleiben und sich weiterentwickeln können“. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) rechnet für sie mit Investitionen von 7 Milliarden Euro, die sich zusammen mit privaten Kapitalgebern so mobilisieren ließen.
„Genau das kann als Turbo wirken bei der Wachstumsfinanzierung“, sagt Helmut Schönenberger, Gründer und Geschäftsführer der UnternehmerTUM (UTUM) GmbH. Er brachte zu Beginn der 2000er-Jahre aus dem Silicon Valley die Idee mit, Forschungsergebnisse der Technischen Universität München konsequenter und rascher in Geschäftsideen und marktfähige Anwendungen „zu übersetzen“.
Gilt als MIT Bayerns: die TUM
Manche nennen die Technische Universität München (TUM) gar das „bayerische MIT“, was als Referenz auf das weltbekannte, hochinnovative Massachusetts Institute of Technology gemünzt ist. Den Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie den Transfer in Geschäftsideen unter UTUM-Ägide unterstützt seit Jahrzehnten finanziell stark die BMW-Großaktionärin Susanne Klatten.
Doch Vordenker Schönenberger betont: „Wir als UTUM haben auf die Idee kein Patent, sondern wünschen uns viele Geschwister.“ So arbeiten für „die technologische Souveränität Europas“ seit Mai 2023 außerdem in der Initiative „Rise Europe“ auch Start-up-Hubs aus 13 europäischen Ländern zusammen. Wichtig sei, Vertrauen untereinander aufzubauen, „damit sich Geschäftsmodelle entwickeln, die Wohlstand und Standort sichern“.
„Europe’s Leading Start-Up Hub“
Das funktioniert in und um München schon ausnehmend gut. Man liefert sich mit Berlin ein stetiges Rennen um den Titel der deutschen Start-up-Hauptstadt. Die „Financial Times“ wählte im Frühjahr 2024 unter 125 europäischen Inkubatoren die UnternehmerTUM an die Spitze als
„Europe’s Leading Start-Up Hub“.
Die jungen Unternehmen gedeihen in München unter anderem deshalb so gut, weil hier renommierte Forschungseinrichtungen sitzen, mit denen geschätzt rund 20 Prozent der Start-ups kooperieren und daher up to date sind. Hinzu kommt die starke Basis etablierter Unternehmen. Von 40 DAX-Unternehmen haben 6 ihren Hauptsitz hier, einige US-Konzerne haben hier zudem ihre Europa-Zentralen – für Start-ups sind sie oft frühe Auftraggeber.
Motto: „Connecting the dots“
Alle Netzwerke zu nutzen und zu bespielen, bekannt zu werden, Mitarbeitende und Investierende zu finden – bei all dem hilft die ECOSYSTEM-Initiative. Jakob Biesterfeldt, Vertriebsexperte der navel robotics GmbH, findet zum Beispiel die kostenfreie rechtliche Starthilfe besonders wertvoll. Das Münchner Start-up, gegründet 2017, verbindet in seinem sozial agierenden Roboter mehrere Themenfelder mit KI. „Dass wir Leute treffen können, die mitreden und damit abschätzen können, wo die Regulatorik wohl hingehen wird, etwa beim europäischen AI Act, ist sehr wichtig für unsere nächsten Schritte in der Produktentwicklung“, betont Biesterfeldt.
IHK-Magazin-Artikel zum sozialen Roboter des Münchner Start-up navel robotics hier.
Ambitionierte Ziele verfolgt die Initiative. „Wir als MUNICH INNOVATION ECOSYSTEM fördern mit den Start-ups von heute den künftigen Mittelstand und sichern damit nachhaltig den Wohlstand“, sagt Geschäftsführerin Frizzi Engler-Hamm. „Wir vernetzen Start-ups, Hochschulen, die Wirtschaft, die öffentliche Hand und viele weitere Akteure, getreu unserem Motto ‚connecting the dots‘. Neugründungen sind essenziell für eine erfolgreiche und zukunftsfähige deutsche Wirtschaft.“ Rund 1.500 Teilnehmende waren 2023 auf Events von Engler-Hamm und ihrem Team.
Vom Start-up zum „Einhorn“
Wie fähig die Münchner Szene in Sachen Scale-ups ist, zeigen die zahlreichen Einhörner, also Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Euro. Dazu zählen zum Beispiel das auf Process Mining spezialisierte Softwareunternehmen Celonis SE, die Konux GmbH, die KI-Lösungen für den Schienenverkehr bietet, oder der Lufttaxi-Hersteller Lilium GmbH. Diese erwachsen gewordenen Start-ups sind eine weitere Stärke des Standorts. Sie unterstützen jüngere Unternehmer dabei, neue Ideen umzusetzen und Firmen aufzubauen.
Genauso wie die Gründer der Flix SE, die 2012 startete und mit heute rund 5.500 Mitarbeitenden und 2 Milliarden Euro Umsatz 2023 ebenfalls zum Club der Einhörner gehört. Mit ihrem globalen Travel-Tech-Unternehmen haben André Schwämmlein, Jochen Engert und Daniel Krauss den Markt für Bus- und inzwischen auch Bahnreisen aufgerollt. Im Juli verkauften sie 35 Prozent der Firmenanteile an 2 Großinvestoren für kolportierte 900 Millionen Euro.
Übers Ökosystem etwas zurückgeben
„Weil wir in München groß geworden sind, fühlen wir uns als Teil dieses Ökosystems sehr wohl“, bekennt Krauss. „Wir möchten auch etwas zurückgeben, denn ich glaube stark an die Tragfähigkeit und Wirksamkeit solcher Netzwerke.“ Daher haben die Flix-Gründer laut eigenen Angaben in mehrere junge Unternehmen investiert, darunter die Proxima Fusion GmbH. Sie will bis 2031 ein erstes Demonstrationskraftwerk in Deutschland bauen, um mittels Kernfusion klimafreundlich Energie zu gewinnen.
Krauss hebt die Vermittlerrolle der ECOSYSTEM-Initiative in der Start-up-Szene hervor: „Auch wenn wir gern im persönlichen Austausch weitergeben, was bei uns suboptimal gelaufen ist, damit andere sich hoffentlich eine Failure-Runde sparen“, sagt der Franke lachend, „kann eine solche Institution eine Art Coaching geben. Wenn Gründer dort gleich ‚richtig verbunden‘ werden, ist das perfekt.“
„Sich selbst verstärkender Austausch“
Der Bezug zum Standort sei stark, betont auch Hanno Renner, Mitgründer und Chef der Personio SE: „Ist doch klar, dass wir als Teil der wachsenden Start-up-Szene hier unsere erwirtschafteten Erfolge, sprich Gewinne, auch in Europa wirken lassen wollen – und nicht nur wie aktuell US-amerikanische und kanadische Investoren beziehungsweise Pensionskassen im Hintergrund profitieren lassen wollen.“ Nach eigenen Angaben hat Renner in rund 50 Start-ups investiert.
Genutzt wird die Personalsoftware des 2015 gegründeten Unternehmens von etwa 12.000, meist mittelständischen HR-Teams. Mit über 1.800 Mitarbeitenden an 8 Standorten strebt Renner mittelfristig den Börsengang an. Dabei wünscht er sich, dass der Austausch zunimmt – mit anderen Start-ups, aber auch mit etablierten Unternehmen, so wie im Silicon Valley. „Damit sich das Rad weiterdreht, eine Art sich selbst verstärkende Wirkung im Ökosystem.“ Erste Anzeichen, dass dies gelingen könnte, sind erkennbar. „Es gibt einige Leute, die von Großkonzernen zu uns und anderen aufstrebenden Firmen wechseln“, sagt Renner. Im November 2022 war das etwa Maria Angelidou-Smith, die vom Facebook-Mutterkonzern Meta zu Personio kam als Chief Product & Technology Officer – ein Coup.
40 KI-Experten, 5.000 Mitglieder
In den letzten 2 Jahren hat die ECOSYSTEM-Initiative bereits 82 KI-Start-ups jeweils mit bis zu 25.000 Euro gefördert – unter der Marke „AI+MUNICH“. Dieser Anschub wirkt. „90 Prozent der Firmen aus Robotics und KI-Software sind aktiv, haben 300 Arbeitsplätze geschaffen und insgesamt 36 Millionen Euro an Investments eingesammelt“, so Engler-Hamm. „Mit 40 KI-Expertinnen und Experten im Netzwerk und über 5.000 Community-Mitgliedern innerhalb des ECOSYSTEM können wir, wenn wir die Kräfte bündeln, zu einem international ernst zu nehmenden KI-Hub werden.“ Dafür sei ab 2025 ein deutschlandweites Angebot geplant für die Unterstützung von KI-Start-ups gemeinsam mit dem Partner K.I.E.Z. aus Berlin.
Großer Willen zur Co-Creation
„Mit der Verbindung von Technologie und KI kann der Mittelstand zu neuer Stärke finden“, ist Christian Mohr überzeugt. „Hier können wir international Anwendungschampions werden!“ Er ist nicht nur Geschäftsführer der UTUM GmbH, sondern brachte vor 3 Jahren auch die Initiative FamilienUnternehmerTUM auf den Weg. „Wir wollen eine Brücke ins bunte Ökosystem sein, das ich hier sehr offen und mit viel Willen zur Co-Creation erlebe“, so Mohr. „Wir bei UTUM matchen nicht nur, sondern klären zuvor, welchen Reifegrad an Produkt oder Dienstleistung ein etabliertes Unternehmen von einer Kooperation mit einem Start-up erwarten darf.“
Lukrativ sei das für beide Seiten. 650 Familienunternehmen im deutschsprachigen Raum zähle das FamilienUnternehmerTUM-Netzwerk, 75 Prozent davon seien aktiv, 150 in langfristigeren Projekten, etwa 300 „Clubmitglieder“ als Mentoren und Coaches.
Förderer sehen den Mehrwert
„Für solche kuratierten Zugänge zu Ideen zahlen größere Firmen Beiträge an UTUM, jährlich etwa 5 Millionen Euro. Weil sie den Mehrwert sehen“, sagt Mohr. Etwa dieselbe Summe komme an staatlicher Förderung dazu. Reifen die Ideen, stehe für verschiedene Finanzierungsrunden etwa der UTUM-nahe Risikokapitalfonds UVC Partners mit fast 300 Millionen US-Dollar Investitionsvolumen bereit.
Auch wichtig: Geduld haben …
Hört man sich im Ökosystem um, ist der Tenor: Das Interesse am Austausch sei entscheidend für den Einstieg. Zur Startenergie müsse dann Geduld hinzukommen, insbesondere für Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse in den etablierten Unternehmen.
… und immer wieder aufstehen
Seien spannende Ansatzpunkte mit Start-ups gefunden, müsse jemand aus der Firmenspitze voll hinter solchen Projekten stehen, sagt Experte Mohr. Das MUNICH INNOVATION ECOSYSTEM kann hier Mut machen, Kooperationschancen ausloten und Best Practices vorstellen. „Ausprobieren, vielleicht hinfallen, aber jedes Mal wieder aufstehen“, sagt Christian Mohr zum Abschied, das zeichne Gründer aus. Und gilt eigentlich für alle Unternehmer.
IHK-Info zum MUNICH INNOVATION ECOSYSTEM
2015 traten die 3 Gründerzentren UnternehmerTUM GmbH (UTUM), Strascheg Center for Entrepreneurship GmbH (SCE) der Hochschule München und die German Entrepreneurship GmbH (GE, inzwischen Start 2 Group GmbH) in einer Initiative an, um München als Wirtschafts-, Wissenschafts- und Technologiestandort international zu positionieren. Heute sind unter dem Dach des MUNICH INNOVATION ECOSYSTEM rund 40 Partner vernetzt – Start-ups, Unternehmen verschiedener Größe und Ausrichtung, Wissenschaft, Hochschulen sowie der öffentliche Sektor in und um München. Sie wollen Innovationen für eine nachhaltige, belastbare und gerechtere Zukunft erreichen.
Wissensaustausch par excellence
Die MUNICH INNOVATION ECOSYSTEM GmbH ist teils privat, teils öffentlich finanziert. Neben Mitteln und Leistungen der Partner, darunter die IHK, bietet die Initiative unter anderem Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Innovationsagenda 2030 für München, Talentgewinnung für Unternehmen, Vernetzungsangebote und Workshops sowie eine digitale Plattform zum Wissensaustausch an.