Studienziel Unternehmer

Hochschulen in Deutschland stehen für Spitzenforschung. Neue Unternehmen entstehen dort jedoch kaum. Warum gründen Forscher nicht? Dieser Frage ging eine Studie nach – mit überraschenden Ergebnissen.
Nadja Matthes, Ausgabe 05/2021
Deutschland gilt als ausgezeichneter Standort für die Wissenschaft. Immer wieder gewinnen Forscher an hiesigen Hochschulen herausragende Erkenntnisse und schaffen Innovationen. Ausgründungen könnten diese Ergebnisse zu marktreifen Produkten weiterentwickeln, ein Unternehmen aufbauen, der Wirtschaft neue Impulse geben und Arbeitsplätze schaffen. In der Praxis jedoch gelingt das selten.
Geringe deutsche Gründungsrate an Hochschulen
Zwar gibt es mehr als 70 Förderprogramme des Bundes, der Länder und der Europäischen Union, um Gründungen aus der Forschung mit Beratung, Infrastruktur und Geld zu unterstützen. Dennoch entstehen an deutschen Hochschulen nur wenige neue Unternehmen. Die Gründungsrate ist insgesamt gering. Während sie in Deutschland bei 7,6 Prozent liegt, sind es zum Beispiel in Kanada 18,2 Prozent. Konkret bedeutet das: In Deutschland haben nur 7,6 Prozent der 18- bis 64-Jährigen während der letzten 3,5 Jahre ein Unternehmen gegründet oder sind gerade dabei, eine Firma zu starten. In Kanada ist dieser Anteil mehr als doppelt so hoch.
Warum aber gründen Deutschlands Wissenschaftler so selten eine eigene Firma? Über drei Jahre hinweg suchte das Entrepreneurship Research Institute der Technischen Universität München (TUM ERI) im Auftrag der Joachim Herz Stiftung nach Antworten. Dabei konzentrierte sich die Studie auf den Faktor Mensch: Sie analysierte, welche psychologischen Aspekte aus Forschern erfolgreiche Gründer machen. Dazu befragte die Studiengruppe Gründungsteams zu Stress, Motivation, Zusammenarbeit und beobachtete Jungunternehmer im Gründungsprozess.
Übung im Umgang mit Misserfolgen
Dabei zeigte sich: »Viele Wissenschaftler sehen sich weit entfernt von einer unternehmerischen Rolle«, sagt Nicola Breugst, Professorin für Entrepreneurial Behavior. Sie leitete zusammen mit Holger Patzelt, Chair of Entrepreneurship bei TUM ERI, die Studie. Vielen Wissenschaftlern sei ein pragmatisches Vorgehen fremd. Die befragten Gründer fanden es zudem belastend, Rückschläge zu bewältigen. »Jede Woche geht etwas schief«, war ein klassischer Stoßseufzer in den Gründerteams. »Da wird ein Förderantrag nicht genehmigt, ein Auftrag nicht gewonnen«, sagt Breugst, und schon rutscht die Motivation in den Keller.
Wissenschaftler seien es eher nicht gewohnt, mit solchen Misserfolgen umzugehen, beobachtet die Studienleiterin, ganz anders als erfahrene Unternehmer. Diese seien daher als Vorbilder für die Start-up-Gründer enorm wertvoll – zum Beispiel, wenn beide Seiten in einer Kooperation zusammenarbeiten.
Schwierige Teamarbeit
Unternehmen aus der Forschung starten meist mit einem mehrköpfigen Gründerteam. Da die Geschäftsideen in der Regel sehr komplex sind, ist es sinnvoll, interdisziplinäre Teams zu bilden. Allerdings fiel in der Studie auf, dass dieser Vorteil kaum genutzt wurde. »Ich war überrascht, dass die Zusammenarbeit so schwierig ist und dass das Expertenwissen der Einzelnen nicht entsprechend genutzt wurde«, erklärt Studienleiterin Breugst. Um die wertvollen Spezialistenkenntnisse für das junge Unternehmen wirklich nutzbar zu machen, müsste echte Teamarbeit noch stärker gefördert werden.
Erfolgs-/Scheiternsfaktor "versteckte Konflikte"
Die Gründungsberatung ist derzeit jedoch häufig auf die betriebswirtschaftlichen Eckpunkte wie den Businessplan ausgerichtet. Sie sollte sich auch das Team und versteckte Konflikte dort ansehen, so eine Empfehlung der Studie. Breugst: »Viele Gründungen scheitern, weil es im Team nicht klappt.«
Unternehmertum erlernen
Die Studie rät überdies, Studierende früh für die Option Unternehmertum zu sensibilisieren. Es lohne sich, spielerische Formate wie etwa sogenannte Makeathons einzuführen, um Lust am Unternehmertum zu wecken. Dabei entwickeln interdisziplinäre Teams über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen eine Idee und ein Produkt und werden dabei von Coaches begleitet. Werden solche Projekte mit etablierten Firmen zusammen durchgeführt, könnte dies viel bewirken, so Studienleiter Patzelt: »Allein das unternehmerische Umfeld wirkt schon inspirierend.«