Klimaschutz | Standortpolitik

Bremse statt Hilfe

Dani Oshi ©
Engagierte Debatte – Ralf Kronberger (Wirtschaftskammer Österreich), Handwerkspräsident Franz-Xaver Peteranderl, BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz, Europaabgeordneter Markus Ferber, Marcel Haag (EU-Kommission) und Moderatorin Sandra Parthie (Institut der Deutschen Wirtschaft) (v.l.)

Wie umsetzbar ist Sustainable Finance? BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz kritisiert Brüsseler Planwirtschaft und fordert die Abschaffung der Taxonomie.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 05-06/2023

Sustainable Finance – der Begriff klingt eigentlich ganz gut. Er steht für ein Maßnahmenpaket, mit dem die EU die Kapitalströme in grüne Projekte, Unternehmen und Wirtschaftstätigkeiten lenken will. Für die EU-Kommission ist der grüne Wandel des Finanzsystems das entscheidende Instrument für das Jahrhundertprojekt Green Deal: Bis 2050 will Europa klimaneutral werden. Das erfordert Investitionen in Billionenhöhe.

In der Wirtschaft wachsen jedoch die Zweifel, ob die EU dabei auf die richtigen Instrumente setzt. Aus dem Mittelstand mehren sich Klagen über die Bürokratie der EU-Maßnahmen. Die grüne Regulatorik erschwere die Kreditgespräche mit der Hausbank. Bayerns IHKs werten dies als Alarmzeichen.

Diskussionsrunde vor vollem Haus

Vor diesem Hintergrund organisierten der Bayerische Industrie- und Handelskammertag (BIHK) und die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) Ende März 2023 in Brüssel eine Podiumsdiskussion zu Sustainable Finance unter dem Slogan „Umsetzbar und wichtig oder Hindernis für notwendige Innovationen im Mittelstand?“. Mit rund 200 Teilnehmern war das Event in der Vertretung des Freistaats Bayern ausgebucht – ein Indiz für die Brisanz, die das Thema besitzt.

Melanie Huml (CSU), Bayerische Staatsministerin für Europaangelegenheiten und Internationales, betonte per Videobotschaft, für wie wichtig die Staatsregierung das Thema Nachhaltigkeit halte. Regierung und Wirtschaftskammern seien sich völlig einig: ja zum Klimaschutz, aber bitte mit Augenmaß und Realitätssinn.

Größte Streitpunkte: Taxonomie und CSRD

Marcel Haag, in der EU-Kommission Direktor für Horizontale Angelegenheiten, DG FISMA, hatte in einem Impulsvortrag Gelegenheit, zu erklären, weshalb die Kommission Sustainable Finance für „umsetzbar und wichtig“ hält. Mit seiner Position hatte er an diesem Abend jedoch einen schweren Stand. Er war auf dem Podium die einzige Pro-Stimme. Haag versicherte, die Kommission nehme das Feedback der Wirtschaft ernst. Man werde prüfen, was man verbessern oder korrigieren müsse. Auch die Kommission habe das Ziel, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht zu überfordern.

Die übrigen Experten in der Runde kritisierten vor allem zwei Dinge: erstens die Taxonomie, ein Kriterienkatalog, der definieren soll, was grüne von braunen Wirtschaftstätigkeiten trennt. Und zweitens die im November 2022 vom EU-Parlament verabschiedete Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die EU-weit etwa 50.000 Unternehmen zu einer umfangreichen Nachhaltigkeitsberichterstattung zwingt.

„Grüner Wandel“ auch ohne Regulierung

BIHK-Präsident Klaus Josef Lutz stellte die große Sinnfrage. Unternehmen seien von sich aus innovativ und nachhaltig, weil der Markt danach verlange. Er verwies auf das Beispiel seines eigenen BayWa-Konzerns. Der grüne Profitanteil liege bei 60 bis 70 Prozent, aber nach der Taxonomie-Verordnung könnten nur 5,5 Prozent als „grün“ ausgewiesen werden. Die Folge: Kreditkosten bleiben hoch, was Investitionen in Nachhaltigkeit bremse. Das ist das Gegenteil von dem, was die EU erreichen will.

Der grüne Wandel laufe auch ohne Regulierung, betonte Ralf Kronberger, WKÖ-Abteilungsleiter für Finanz- und Steuerpolitik. Dafür gebe es zahlreiche Beispiele: So wird die Glasherstellung im Bayerischen Wald heute zum Teil mit Elektroöfen und grünem Strom betrieben. Die Outdoor-Unternehmen Vaude Sport GmbH & Co. KG und Ortovox Sportartikel GmbH machen ein gutes Geschäft mit Textilien aus recycelten PET-Flaschen.

„Bitte macht es ein bisschen weniger aufwendig“

Automobilzulieferer wie Vitesco Technologies Group AG und iwis SE & Co. KG haben bei Antriebssystemen längst auf Elektromotor und Batterien umgestellt. „Bitte macht es ein bisschen einfacher, bitte macht es ein bisschen weniger aufwendig“, forderte Kronberger von der Kommission.

Eine aktuelle PWC-Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer Vereinfachung. Demnach fürchten 76 Prozent der Unternehmen den bürokratischen Aufwand des grünen Wandels. 62 Prozent beklagen, dafür Personal einsetzen zu müssen, das ihnen dann in der Produktion fehlt.

EU-Parlamentarier Markus Ferber (CSU) kritisierte, auch Vertreter deutscher Nichtregierungsorganisationen, Parteien und der Finanzwirtschaft seien an der Misere schuld. Sie hätten die EU-Kommission zu diesen Eingriffen ermutigt. „Wer nach Brüssel fährt und um Regulierung bettelt, wird bestraft werden“, stellte Ferber fest. Als Ergebnis habe man eine Regulierung, die am Markt und den Menschen vorbeigehe.

Rolle der EZB?

BIHK-Präsident Lutz ergänzte, die Taxonomie-Verordnung mit ihren derzeit 350 Seiten für nur 2 von 6 Klimakriterien sei so komplex und widersprüchlich, dass das von Mittelständlern nicht zu stemmen sei. Nur die Wirtschaftsprüfer profitierten. Als besonders kritisch bezeichnete Lutz die neue Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB). Lutz warf ihr vor, ihr Mandat zu überziehen.

Demnach dränge die EZB die Banken dazu, das Ausfallrisiko nicht länger zum entscheidenden Kriterium der Kreditvergabe zu machen. Nun stehe die Nachhaltigkeitsanalyse im Blickpunkt. Der BIHK-Präsident wertete das als Angriff auf den Mittelstand. Mehr als 80 Prozent der Unternehmen Europas seien betroffen.

Berichtspflicht betrifft auch kleine Betriebe

Handwerkspräsident Franz-Xaver Peteranderl warf der EU-Kommission Schönfärberei vor. Sie nehme nicht zur Kenntnis, dass KMU indirekt stark von den Vorgaben zu Sustainable Finance betroffen seien. Grund: Großunternehmen, die der Berichtspflicht nach CSRD unterliegen, geben den Druck an ihre Lieferanten weiter. Laut Peteranderl müssten beispielsweise Kfz-Zulieferer heute 75 Seiten lange Berichte ausfüllen.

Sorgen macht dem Handwerkspräsidenten, dass die Bankenaufsicht nun von den Banken eine „Green Asset Ratio“ (GAR) fordert, die belegt, welcher Prozentanteil der vergebenen Kredite „grün“ ist. Auch das ein Nachteil für Betriebe, die über keine Nachhaltigkeitsabteilung verfügen.

USA gehen anderen Weg

Von den USA könne man lernen, wie man es besser macht, so EU-Parlamentarier Ferber. Der von der US-Regierung beschlossene 370 Milliarden US-Dollar schwere Inflation Reduction Act (IRA) werde Wunder wirken: mehr Klimaschutz, Rechtssicherheit für die nächsten 10 Jahre, mehr Wachstum und Jobs sowie starke Anreize für Europas Firmen, Produktion in die USA zu verlegen. „Und wir schießen uns mit der Taxonomie selbst ins Knie“, so Ferber.

BIHK-Präsident Lutz sah das genauso. Statt auf CO2-Bepreisung und Innovationsförderung setze Brüssel auf pure Planwirtschaft („DDR 2.0“). Es wäre gut für Europa, das Bürokratiemonster Taxonomie abzuschaffen. Der Inflation Reduction Act der USA sei ein Vorbild, wie man Investitionen klug fördern könne.

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