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Tempo machen, Temperatur halten

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Heikles Logistikgut – Impfstoffe gegen Corona

Die Pharmalogistik hat mit zertifizierten Dienstleistungen ein Qualitätsmanagement nach dem europäischen GDP-Standard aufgebaut. In der Coronakrise zahlt sich dies nun aus.

Stefan Bottler, Ausgabe 05/2021

Qualitätsmanagement ist Routinearbeit. Das erlebt Nicolas Witte (42) an nahezu jedem Arbeitstag. Rund 50 Arbeitsanweisungen hat der Qualitätsexperte für die 100 Mitarbeiter der Kyberg Pharma Vertriebs-GmbH, eines mittelständischen Pharmahandels- und Logistikunternehmens in Oberhaching, formuliert. »Jedes Papier muss laufend überprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden«, sagt Witte. Gleiches gilt für Change Control, Abweichungsmanagement, und andere Prozesse des Qualitätsmanagements.

Außerdem inspiziert Witte laufend Temperaturführung und weitere Logistikvorgänge im Kyberg-Lager in Otterfing. Er checkt Betriebsräume, EDV und anderes Equipment und organisiert Weiterbildungen für seine Kollegen. Ansonsten fällt einiges an Papierkram an. Wenigstens alle drei Jahre muss Witte von 7.000 Apotheken und weiteren Kunden eine Kopie ihrer Betriebserlaubnis anfordern. Wenn diese wiederum ein Betriebsaudit von Kyberg wünschen, ist Witte ebenfalls Ansprechpartner.

Solche und weitere Aufgaben schreiben die Leitlinien »Good Distribution Practice« (GDP) vor, die 2013 die Europäische Union ursprünglich für den Pharmagroßhandel formuliert hat. Die EU wollte sicherstellen, dass Verbraucher und Anwender die Arzneimittel, Pharmagrundstoffe, Vakzine und sonstigen Healthcare-Artikel in einwandfreier Qualität erhalten.

Besonders sicher

Der Aufwand lohnt sich. Wenn heute Transport- und Lagerlösungen für Medikamente, Salben, Laborproben, Blutkonserven und andere Branchenprodukte als besonders sicher gelten, hat daran GDP nach Meinung von Marktkennern einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Das zahlt sich jetzt in der Coronapandemie aus. »Grundsätzlich war und ist die Pharmalogistikbranche auf die Herausforderungen durch diese Krise im Allgemeinen und die Impfstoffdistribution im Besonderen gut vorbereitet«, sagt Christina Thurner (40), Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und Vorstand der Loxxess AG.

Die GDP schreibt in zehn Kapiteln jedem Unternehmen, das Pharmaprodukte vertreibt, standardisierte Arbeitsprozesse vor. Die Kapitel haben unter anderem das Qualitätsmanagement, Personalschulungen, Selbstinspektionen und die Überwachung der ganzen Transportkette »unter Einhaltung der vorgegebenen Temperaturbedingungen« zum Gegenstand.

»Einhaltung von Kühlketten ist das tägliche Brot«

Ausdrücklich betont BVL-Vorstandsmitglied Thurner die hohen Anforderungen an die Temperaturführung. Auf bis zu minus 70 Grad Celsius musste das Vakzin von Biontech und Pfizer in der Anfangsphase heruntergekühlt werden, wofür Spezialbehälter mit Trockeneis (Gefahrgutklasse 9) benötigt werden. Mittlerweile genügen minus 25 Grad Celsius. »Für Pharmalogistikspezialisten ist die Einhaltung von Kühlketten das tägliche Brot«, sagt Thurner. Jeder Anbieter mit GDP-Zertifikat nutzt Fahrzeuge beziehungsweise Lager mit drei Temperaturzonen – »Ambient« für 15 bis 25 Grad Celsius, »Refrigerated« für 2 bis 8 Grad Celsius und »Frozen« für –25 bis –15 Grad Celsius. Mit dieser Dreiteilung können alle Impfstoffe gegen Corona transportiert beziehungsweise gelagert werden.

An einem permanenten Controlling und Reporting führt hier kein Weg vorbei. Mit Telematik- und Warenmanagementsystemen, deren Daten ausfallsicher in einem externen Rechenzentrum gehostet werden, stellen Pharmalogistiker sicher, dass alle Produktinformationen sofort abrufbar sind.

Kein Mangel an zertifizierten Lagerstandorten in Bayern

An zertifizierten Lagerstandorten herrscht in Bayern kein Mangel. Der Großhandel hat seine Kapazitäten weiter hochgefahren. Die meisten Branchenunternehmen haben in Logistiktöchter beziehungsweise -abteilungen investiert, die nicht nur Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäuser versorgen. Außerdem bieten sie mittelständischen Pharmaherstellern die Abwicklung aller logistischen Prozesse bis hin zur Belieferung von konkurrierenden Großhandelsunternehmen an.

Versorgung von Apotheken und Kliniken in 15 europäischen Ländern

Ein Beispiel ist die eurodepot GmbH, die 2012 als Logistiktochter des Großhändlers Sanacorp Pharmahandel GmbH in Planegg gegründet wurde. In wenigen Jahren baute das Unternehmen ein deutschlandweites Netz mit 14 Standorten auf. Logistikdienstleister haben ebenfalls eigene Pharma- und Healthcare-Töchter gestartet. So hat Loxxess das Joint Venture Loxxess Pharma GmbH initiiert. An diesem beteiligen sich auch drei Unternehmen aus der Pharmabranche. Von Logistikzentren in Geretsried, Neutraubling und Wolfratshausen aus versorgen 180 Mitarbeiter Apotheken und Kliniken in 15 europäischen Ländern.

Für den Transport nutzen fast alle Pharmalogistiker externe Netze. In Bayern haben sich viele für ThermoMed des Weinheimer Expressdiensts Trans-o-Flex GmbH (ToF) entschieden. Von München und sechs weiteren Standorten aus fährt ToF mit Multitemperaturfahrzeugen flächendeckend Apotheken und Arztpraxen an. Der Freistaat hat deshalb diesen Expressdienst auch für die Impfstofflogistik engagiert. Seit Januar 2021 werden die Impfzentren und seit April die Hausärzte mit den Vakzinen von Biontech & Co. versorgt. Während des Transports können die Impfstoffe kontrolliert aufgetaut werden, was eine sofortige Verabreichung am Einsatzort ermöglicht. »Unsere Netze sind so flexibel, dass wir von heute auf morgen mehr Kapazität zur Verfügung stellen können«, versichert Wolfgang P. Ahlbeck (69), CEO von Trans-o-Flex. »Auch eine Verdopplung der bisherigen Liefermengen ist kurzfristig möglich.«

Transportbündelung auch gut für die Umwelt

Wohl auch wegen solcher Zusagen gibt es Stimmen, die eine Straffung der Lieferketten anregen. »Mit einer bundesweiten Belieferung der Hausärzte könnten die Bundesländer, die bislang die Impfstofflogistik organisieren, entlastet und der administrative Aufwand reduziert werden«, schlägt Loxxess-Vorstand Thurner vor. Das könnte womöglich auch die Impfungen beschleunigen. Noch jedoch ist eine solche Transportbündelung, die im Übrigen auch die Umwelt entlasten würde, nicht in Sicht.

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