Trödeln im Hof

Simon Malik Photography ©
Stöbern bei den Nachbarn

Was mit ein paar Höfen in der Münchner Au und in Haidhausen begann, hat sich zur Flohmarktplattform für 30 Städte entwickelt. Dahinter steht ein findiger Unternehmer.

Cornelia Knust, Ausgabe 04/20

Das kleine Mädchen mit den Zöpfen steht hinter dem Verkaufsstand. Nur schwer trennt es sich vom Bilderbuch mit der gefräßigen Raupe, das bis vor kurzem noch in einer Kiste im Keller dämmerte. Doch die Dame, die den winzigen Hinterhof betreten hat, braucht den Band für ihr Patenkind und bietet zwei Euro. Das Verkaufsgespräch endet mit Einigung und Übergabe. Ein Stück Kindheit ist weg, aber die duftende Waffel im Nachbarhof scheint finanziert.
So idyllisch und familiär starteten die Münchner Hofflohmärkte vor 15 Jahren. Das Prinzip: Hausgemeinschaften in einem Stadtviertel öffnen zu einem festen Datum ihre Höfe, stellen Tapeziertische auf und schleppen aus Keller und Rumpelkammer alles her, was nicht mehr gebraucht wird. Die Besucher bummeln neugierig durch die Rückseite ihrer Stadt, schleppen am Nachmittag Schnäppchen und Fundstücke heim, während die Hausbewohner mit einem Glas Prosecco auf gute Nachbarschaft anstoßen.
Auch dieses Jahr ab Mai wird es wieder so sein. Bunte Luftballons markieren die Eingänge zu den Höfen, in denen verkauft wird. Der Andrang ist regelmäßig groß. Nicht jeden Anwohner freut das. »Auf den Straßen ist kein Durchkommen«, sagt eine Gewerbetreibende aus Untergiesing. »Und bei uns im Geschäft ist an dem Tag nichts los, weil die Leute auf Flohmarktpreise getrimmt sind. «
Hinter den Hofflohmärkten steht René Götz (43). Er hat der Idee sein Leben gewidmet. Ein Flohmarktkind aus Pasing sei er, sagt Götz beim Gespräch in einem Café in der Au. Jeden Samstag seien seine Eltern losgezogen auf den Trödel. Damals ging man noch auf den großen Flohmarkt entlang der Gleise in der Arnulfstraße. Beim Bummeln habe auch der finanzielle Aspekt eine Rolle gespielt: Man brauchte Sachen und konnte sie sich neu nicht leisten. Götz räumt freimütig ein: »Die Idee mit den Hofflohmärkten stammt gar nicht von mir. « In den USA seien die »garage and yard sales« seit den 1950er-Jahren gang und gäbe. Seit den 1980ern habe es auch in Deutschland einzelne Veranstaltungen dieser Art gegeben – »von Nachbarn für Nachbarn«. In München beanspruchen die Ehrenamtlichen von der Seidl-Villa in Schwabing das Urheberrecht.
Doch Götz hat das Ganze eben professionell aufgezogen: mit einem richtigen Konzept, einer Plattform im Internet und Skaleneffekten. Nicht nur die urbanen Stadtteile wurden bespielt, sondern auch Vororte oder das Hasenbergl: »Ich habe in jedem Viertel neu angefangen«, sagt Götz. Organisation und Kommunikation, die Website, die Drucksachen – das ist sein Beitrag.
Heute gibt es in München und Umland 55 verschiedene Hofflohmarkttermine. Längst muss man seine Hausgemeinschaft nicht mehr im Buchladen um die Ecke anmelden, sondern online. Dort zahlt man auch die 15 Euro Gebühr pro Haus. Vom Erlös druckt Götz die Flyer mit Stadtteilkarten, in denen die teilnehmenden Höfe und weitere Anlaufpunkte eingezeichnet sind. Denn auch Ladeninhaber, Handwerker oder kulturelle Einrichtungen sind eingeladen mitzumachen. »In manchen Vierteln nehmen bis zu 300 Höfe teil. Und bei gutem Wetter kommen dort bis zu 15000 Menschen zum Schauen und Kaufen«, schwärmt Götz. Der Mann ist gelernter Kaufmann im Einzelhandel, hat früher Stadtmarketing gemacht, außerdem in einer Werbeagentur und einem Verlag gearbeitet. Bei den Hofflohmärkten, die ja im Prinzip auf privatem Grund stattfinden, versteht er sich nicht als Veranstalter, sondern als Initiator und übernimmt daher keinerlei Haftung für Schäden. Er agiert als One-Man-Show und Einzelunternehmer, hat keine Investoren im Boot und sei »gesund gewachsen«, wie er sagt.
Aber er ist nicht mehr allein. Dass sich über Nachbarschaftsplattformen Relevanz herstellen und Daten sammeln lassen, haben inzwischen auch andere erkannt. Mit sozialen Netzwerken wie nebenan.de zum Beispiel sei das Verhältnis anfangs schwierig gewesen, so Götz, inzwischen kooperiere man. Mit dem Skalieren hat der Unternehmer nicht aufgehört. Als er in München alle Viertel durch hatte, richtete sich sein Blick auf das restliche Deutschland. »Köln, Stuttgart, Dortmund kamen auf mich zu«, erzählt er. Inzwischen bespielt er 30 Städte an insgesamt 300 Terminen und hat in der Saison pro Tag 25000 Besucher auf seiner Website hofflohmärkte.de.

»Die Menschen suchen Erinnerungen«

Götz glaubt, mit den Flohmärkten einerseits das Thema Nachhaltigkeit zu bedienen, weil die Verkäufer nur vom Keller in den Hof müssen und Dinge weitergeben, statt sie wegzuwerfen. Andererseits will er die Menschen glücklich machen, die sich in dieser zunehmend virtuellen Welt nach echten Beziehungen sehnen und nach persönlichen Kontakten in der anonymen Großstadt. Dass den Leuten ihr eigener Ramsch vor den Nachbarn peinlich sein könnte – geschenkt. »Der Flohmarkt ist wieder salonfähig«, findet Götz. »Die Menschen suchen Erinnerungen, Identität, ein schöneres Leben. « Viele Besucher hätten einen richtigen Jagdinstinkt und ein klares Ziel. Er persönlich sucht auf den Märkten meistens nach Legosteinen.
Götz will die Hofflohmärkte »gerne noch sehr lange machen«. Er wünscht sich allerdings, dass die Flohmärkte auch wieder wirklich in den Höfen stattfinden. Zu den Spielregeln für die Teilnehmer gehört, nur den eigenen Hof zu benutzen und die Hausverwaltung vorher um Erlaubnis zu fragen. Dennoch sind die Bürgersteige, Verkehrsinseln und Plätze in den Vierteln regelmäßig voll mit Händlern – sie kommen manchmal von außerhalb, einige sind auch gewerblich.
Obwohl hier prinzipiell eine Ordnungswidrigkeit vorliegt, hält die Obrigkeit sich bisher zurück. Ein Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums sagt nach Befragung der örtlichen Polizeidienststellen: »Es gibt keinen Grund zur Beanstandung. « Und das Kreisverwaltungsreferat teilt mit: »Wir haben keine Beschwerdelage, es sind keine Probleme mit Hofflohmärkten bekannt. « Doch die Stimmung der Märkte in manchen Vierteln ändert sich durch das Verkaufen auf den Straßen, wie auch Götz einräumt. Mit Hausgemeinschaft hat das dann manchmal nicht mehr viel zu tun. »Ich kann nicht alle glücklich machen«, sagt er schulterzuckend.
Mit seinem neusten Projekt der »Hofgesellschaften«, das er gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin initiiert hat, will er das Prinzip der Nachbarschaft weiter stärken. Hier sollen die Hausbewohner ihre Höfe zur Bühne machen, kreativ werden, basteln, spielen, musizieren. Der Slogan dazu: »Viertelliebe trifft Kreativhelden. «
 

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