Unternehmen

Ungewisse Zuversicht

Kull & Weinzierl ©
Erst im Oktober 2020 in München eröffnet – das Lokal brenner kitchen

Die Unternehmer Rudi Kull und Albert Weinzierl haben in der Münchner Gastronomie Erstaunliches geschaffen. Corona stellt alles infrage.

Cornelia Knust, Ausgabe 02/21

Sie sind sich selbst die einzigen Gäste an diesem Donnerstag mitten im zweiten Lockdown. Zum leichten Lunch in der Bar ihres Hotels »Cortiina« in der Münchner Ledererstraße nehmen sie sogar ein Glas Wein. Rudi Kull (52) und Albert Weinzierl (57) wirken von Weitem so, als könne ihnen die Coronakrise den Spaß nicht verderben. Und doch ist eine Welt zusammengebrochen für den Gastronomen und den Architekten, denen in den letzten 24 Jahren in München fast alles glückte. Um 50 Prozent ist der Umsatz 2020 zurückgegangen. Gefragt, ob das angesichts der Lage nicht noch ganz gut sei, antwortet Kull: »Nein, das ist sehr schlimm. Das bedeutet, es gibt keinen Profit. Ohne Hilfen ist so ein Betrieb normalerweise tot.«

Harter Weg zurück ans Steuer

»Keiner fragt: Wie geht es dem Unternehmer?«, sagt Kull beim Gespräch am Kamin. Erstaunlich offen spricht er über seine Ängste und Ohnmachtsgefühle, gerade zu Beginn der Coronakrise, und über den harten Weg zurück ans Steuer: Den Mitarbeitern sagen zu müssen: Ihr habt keine Arbeit mehr. Zu sehen, wie erst die eigenen Kinder Angst bekommen und dann auch die Frau.

Mit Banken und Vermietern zäh zu verhandeln. Sich zwischendurch vor der Schmach einer Insolvenz zu fürchten. Sich zwei, drei Monate mit Selbstzweifeln zu quälen, warum man nicht besser vorbereitet war auf einen solchen Einschnitt. »Es dauert, bis man den Schalter umlegt, wieder rausgeht, Sport macht, erst mal versucht, gesund zu bleiben«, sagt Kull. »Man darf sich nicht zu sehr einschüchtern lassen«, würde er rückblickend anderen Unternehmern raten.

Die Lehre: vorsichtiger agieren

Eine weitere Lehre aus der Krise werde sicher sein, künftig vorsichtiger zu agieren, einen Mietvertrag noch genauer zu verhandeln, eine Investition anders zu betrachten. »Aber es ist wichtig, weiter Mut und Zuversicht zu haben für sein Geschäft. Ob das gelingt, hängt natürlich davon ab, wie gern man das macht.«

Vielfältige Geschäfte

Kull macht das eben sehr gern und möchte nach wie vor alt werden in seinem Beruf. Während Weinzierl seinen Architekturprojekten nachgeht, führt Kull das Tagesgeschäft in den vor Kurzem noch neun Betrieben, die die beiden Ingolstädter nach und nach eröffnet haben. Alle werden als Profitcenter mit Umsatz- und Gewinnbeteiligung geführt. Darüber liegt eine operative Leitungsebene, die auch ohne die beiden Gründer und 50-Prozent-Gesellschafter funktionieren würde. Noch 2019 erwirtschaftete die Kull & Weinzierl GmbH & Co. KG nach eigenen Angaben rund 38 Millionen Euro Umsatz mit 450 Mitarbeitern.

»Manchmal muss man sich von seiner Perle trennen«

Rund acht Millionen Euro davon muss man inzwischen schon für das Louis-Hotel samt Grillroom abziehen, das die beiden im August 2020 überraschend an einen Bremer Hotelinvestor verkauft haben. »Manchmal muss man sich von seiner Perle trennen«, sagt Kull. Das habe ihm die Branchenkennerin Gretel Weiß, Herausgeberin des Magazins »Food Service«, geraten. Das Boutique-Hotel am Viktualienmarkt sei gut gelaufen und habe eine tolle Reputation gehabt, sagt Kull. Noch 2016 war er damit Hotelier des Jahres und hatte Übernahmeangebote stets zurückgewiesen.

»Das war emotional brutal«

Doch wenn eine sehr hohe Pacht mit einer plötzlich radikal schlechteren Auslastung zusammentrifft, wird es eben eng. »Das war emotional brutal für mich, unverschuldet das Louis hergeben zu müssen«, sagt der Unternehmer. »Aber nachdem das getan war, fühlte ich mich befreit.« Partner Weinzierl übernahm zudem das gemeinsame Lokal Il Giornale (früher Café Extrablatt) in Schwabing allein.

Der Sommer war in der restlichen Gruppe (Bar Centrale, Brenner, Buffet Kull, Cortiina Hotel, Grapes, Riva im Tal und in Schwabing) gar nicht so schlecht, vor allem in den Lokalen mit Terrasse. Doch schon im September ging es wieder bergab – oder vielmehr hin und her. War München nun Hotspot oder nicht? Galt ein Beherbergungsverbot oder nicht? Welche Sperrstunde zählte – 23, 22, 21 Uhr? »Wir sind gar nicht mehr hinterhergekommen mit dem Dienstpläneschreiben.«

Wunsch: Themen pragmatisch mit Entscheidern besprechen

Etwas mehr Planbarkeit wäre besser gewesen, meint Kull und bedauert, dass die Gastronomie nicht eingeladen war, an den Entscheidungsprozessen der Stadt und Landesregierung teilzunehmen. Er wünscht sich einen runden Tisch, an dem die Themen pragmatisch besprochen werden.

Bei allem grundsätzlichen Verständnis für die Maßnahmen: Der vorgeschriebene Abstand zwischen den Tischen, die dadurch geringere Gästezahl, sei natürlich ein Renditekiller. Die Pizzeria Riva in Schwabing haben Kull und Weinzierl deshalb flugs mit brandneuem Design in ein etwas höherwertiges Lokal mit einer größeren Bandbreite an Speisen umgewandelt, bei dem pro Gast mehr Umsatz herauskommt. Im Oktober 2020 als brenner kitchen mutig gelauncht, hatte es dann genau eine Woche offen, bevor die Gastronomie wieder flächendeckend schließen musste.

Geschäft beliebig rauf- und runterfahren: »realitätsfern«

Dieser zweite Lockdown ab November schien zunächst leichter zu verkraften wegen des versprochenen Umsatzausgleichs durch den Staat, ergänzt durch das Kurzarbeitergeld. »Wir glaubten, die Regierung sei ernsthaft dabei, uns zu unterstützen«, sagt Kull bei einem weiteren Gespräch im Januar 2021. Das sieht er inzwischen anders. Dass zudem die Ankündigungen der Coronamaßnahmen so kurzfristig kommen, empfindet er als respektlos: »Die Regierung verspielt gerade viel Verständnis.« Zu glauben, dass man das Geschäft beliebig rauf- und runterfahren könne, sei völlig realitätsfern.

Die Angst vom Frühjahr sei inzwischen zu Wut geworden. Das Cortiina ist inzwischen ganz geschlossen – bis Anfang März: »Viele meiner Kollegen in den USA haben schon im Herbst entschieden: Sie machen einfach Anfang April erst wieder auf.«

»Ein anderes Leben spüren«

Nach Amerika war Kull einst nach der Schule aufgebrochen, um »ein anderes Leben zu spüren«. In Los Angeles fing er als Barista an, studierte Hospitality Management und bediente 1994 bis 1996 in einem New Yorker Gourmettempel. Dort habe er sich Fleiß, Disziplin und Schliff angeeignet und gelernt, wie man mit Milliardären umgeht, erzählt der Unternehmer. Zurück in Bayern mit dem Plan für ein Bistro im Stil New Yorks, wurde er in München dem Architekten Weinzierl vorgestellt. Zusammen eröffneten sie das Buffet Kull in der Altstadt. Auch mit fast allen späteren Lokalen setzten die beiden auf das Herz der Stadt. Das könnte sich aber ändern, fürchtet Kull.

Die Innenstadt als Kulturgut

Die schlechte Erreichbarkeit, das teure Parken – die Menschen aus dem Speckgürtel kommen vielleicht bald nicht mehr, auch die Touristen nicht. Er sieht Handlungsbedarf: »Die Innenstadt ist ein Kulturgut. Man sollte sie nicht selbstverständlich nehmen.«

Und die Zukunft mit Corona? Auch wenn der Impfstoff nun verteilt werde, sei die 1,50-Meter-Abstands-Vorschrift nicht weg und damit das Problem der zu geringen Marge, gibt Kull zu bedenken: »Wenn die Vorschrift nicht gekippt wird, dann stehen 80 Prozent der Betriebe vor dem Aus.« Der Wirt verdiene nichts, die Mitarbeiter bekämen nicht genug Trinkgeld und für die Gäste entstehe keine Atmosphäre: »Ich denke, es ist notwendig, dass man die Menschen in die Eigenverantwortung entlässt.« Auch die Verlängerung der befristeten Senkung des Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent in der Gastronomie würde helfen.

»Orte für eine schöne Erfahrung«

Neueröffnungen plant Kull vorerst nicht mehr. Man arbeite weiter an der Qualität. Und man müsse sich mit dem Thema »Delivery« und »To go« näher beschäftigen. Auch wenn Kull seinen Gästen lieber, wie er sagt, »Orte für eine schöne Erfahrung« anbietet: »Wenn der Laden voll ist und alles vibriert – das gibt dir einen Kick: Das ist wie Toreschießen.«

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