Standortpolitik

»Unsere Wirtschaft muss agiler werden«

Felix Zeiffer ©
Rät Firmen, jetzt an ihrer Nachhaltigkeit zu arbeiten – Wissenschaftlerin Laura Marie Edinger-Schons

Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Mannheim, über grünen Wandel und die Chancen, die sich für den Mittelstand daraus ergeben.

Martin Armbruster, Ausgabe 01/21

Frau Professorin Edinger-Schons, wenn Sie sich den Zustand der Welt heute anschauen – befällt Sie an manchen Tagen nicht ein Gefühl der Resignation?

Für mich ist genau das der Treiber. Manche Dinge muss man selbst sehen, um sie zu glauben. Lieferketten – das klingt abstrakt, wenn man in Deutschland sitzt und Mode oder Kosmetik kauft. Das ändert sich radikal, wenn man sieht, unter welchen Bedingungen viele Menschen arbeiten und leben müssen, um diese Produkte herzustellen.

Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis?
Vor fast 15 Jahren stand ich am Rand einer Schwefelmine in Ostjava. Das war ein schockierender Moment. Als Tourist hält man das nur ein paar Minuten aus. Dann wird einem schwindlig von den Schwefeldämpfen. Ich habe dort viele Arbeiter gesehen, die dreimal täglich in diesen Vulkan reinklettern, um Schwefel abzubauen. Die Arbeiter leben im Schnitt nur circa 35 Jahre. Viele große Konzerne kaufen dort ihre Rohstoffe, setzen sich aber nicht für den Schutz der Arbeiter ein. Spätestens da fragt man sich, was schiefläuft in unseren globalen Lieferketten.

Der 8. Bayerische CSR-Tag im September 2020 hatte so viele Anmeldungen wie nie. Ist dies ein Beleg für die Kraft des Trends Corporate Social Responsibility?

Es ist mehr als ein Trend. Die Diskussion hat sehr deutlich gezeigt, unter welchem Druck die Unternehmen stehen. Da reden wir nicht über Fridays for Future. Es geht um Regulierung, die ansteht, zum Beispiel in Bezug auf das Lieferkettengesetz und neue Berichtspflichten. Das hat für die Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle sehr reale Folgen.

Kritiker warnen vor möglichen Wettbewerbsnachteilen eines Lieferkettengesetzes.
Deshalb wollen viele Unternehmen eine einheitliche Regelung in der EU. BASF-Vorstandsmitglied Saori Dubourg hat kürzlich bei einer Veranstaltung vorgerechnet, warum. BASF hat 70000 Lieferanten. Wenn zehn Nachhaltigkeitskriterien geprüft werden müssen, sind das schon 700000 Datenpunkte, die generiert, verwaltet und geprüft werden müssen. Wenn nun jedes Land unterschiedliche Kriterien fordert, wird der Aufwand für international agierende Unternehmen absurd hoch.

Was sind denn die entscheidenden Treiber?
Es kommt viel Druck aus der Finanzwelt. Das EU-Vorhaben Sustainable Finance wird jetzt konkret umgesetzt. Der Druck kommt aber auch von einigen Unternehmen. Im Moment haben wir eine Regulierungslandschaft, die nachhaltig agierende Firmen klar benachteiligt. Dass das so nicht bleiben kann, ist jedem klar.

Führt das nicht zu schweren Konflikten in der Wirtschaft?
Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren großen Wert auf Nachhaltigkeitsberichterstattung gelegt. Die wollen nun Transparenz und sprechen sich tendenziell eher für diese Gesetzgebung aus. Auf der anderen Seite haben wir Unternehmen, die hinterherhinken und jetzt zu Recht Panik haben. Die stehen vor einem riesigen Transformationsaufwand.

Ist dieser Aufwand für Mittelständler überhaupt machbar?
Vaude (Outdoor-Ausrüster, die Red.) hat gezeigt, wie gut das geht. Antje von Dewitz, Chefin des Familienunternehmens, hat vor zehn Jahren begonnen, einen ganz strammen Nachhaltigkeitskurs zu fahren. Vaude berichtet nach mehreren Berichtsstandards, einschließlich der Gemeinwohlökonomie. Die haben ihr mittelständisches Unternehmen komplett durchleuchtet und dadurch viel über sich und über Nachhaltigkeit gelernt. Vaude ist ein ganz starker Verfechter des Lieferkettengesetzes, um ein »level playing field« – also ein gleiches Spielfeld für alle – zu schaffen.

Bei Outdoorjacken geht das auch leichter als in der Industrie.
In der Realität verschwinden diese Klischees. Es sind nicht mehr die üblichen Verdächtigen, die nachhaltig agieren. In der Rhein-Neckar-Region ist die Chemiebranche stark. Dort haben wir zum Beispiel Fuchs Petrolub. Das ist ein Schmierstoffhersteller, der 2016 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen hat. Oder die BASF, die sich sehr proaktiv für Nachhaltigkeitsthemen wie die Kreislaufwirtschaft einsetzt und gerade den CSR-Preis der Bundesregierung erhalten hat.

Was halten Sie von dem Einwand, man dürfe in der Krise Unternehmen nicht mit Nachhaltigkeit belasten?
Die Coronakrise als Entschuldigung für Nichtstun zu missbrauchen, das funktioniert einfach nicht. Alle globalen Probleme verschärfen sich derzeit. Corona war nur der Anfang. Neue Krisen werden kommen. Wenn wir schlau sind, lernen wir jetzt, wie wir unsere Gesellschaften nachhaltiger und resilienter machen können.

Wie können Unternehmen glaubwürdig Nachhaltigkeit vertreten?
Als ersten Schritt sollten sie eine Bestandsaufnahme machen und klären, wo sie wirklich stehen. Welche Themen sind für sie am relevantesten? Wo haben sie den negativsten Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft, wo haben sie die Chance, eine positive Wirkung zu entfalten? Der Handlungsdruck wird sich drastisch erhöhen. Wer nichts für Nachhaltigkeit tut, wird es bald sehr schwer haben auf dem Markt. Viele Mittelständler und insbesondere Familienunternehmen arbeiten schon traditionell wertebasiert. Das ist doch ihre große Chance.

Was ist künftig gefragt?
Unsere Wirtschaft muss agiler werden, den Fokus auf Dialog und Netzwerke richten. Unternehmer müssen lernen, zuzuhören und Empathie für ihre Anspruchsgruppen zu entwickeln. Dazu gehört auch, Macht abzugeben und sich von alten Managementmethoden zu verabschieden.

Zur Person

Prof. Laura Marie Edinger-Schons (38) ist Leiterin des Lehrstuhls für nachhaltiges Wirtschaften
an der Universität Mannheim. Die Wirtschaftswissenschaftlerin erhielt für ihre Arbeit unter anderem den Lehrpreis der Fachschaft BWL der Universität Mannheim, den Max-Weber-Preis für Wirtschaftsethik und den Roman-Herzog-Forschungspreis für soziale Marktwirtschaft.

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