Standortpolitik

Der wahre Wert der Unternehmen

Value Balancing Alliance e.V. ©
»Den Bilanzierungsrahmen werteorientiert erweitern« – Christian Heller, Value Balancing Alliance

Die Value Balancing Alliance (VBA), eine Initiative aus 20 Konzernen, Universitäten und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, will Unternehmen mithilfe werteorientierter Bilanzierung nachhaltiger machen. Wie das gelingen soll, erklärt VBA-Vorsitzender Christian Heller.

Gabriele Lüke, Ausgabe 09/2021

Der Value Balancing Alliance (VBA) geht es um den »wahren« Wert von Unternehmen. Was verstehen Sie darunter?
Was Unternehmen tun, hat immer Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft: positive wie negative. Aktuell werden solche Effekte höchstens in der gesetzlich vorgegebenen Nachhaltigkeitsberichterstattung erläutert. Sie bestimmen aber doch ebenso wie die finanziellen Kennzahlen den Wert eines Unternehmens mit – dies wird durch die aktuelle Nachhaltigkeits- und Klimadiskussion auch in der Wirtschaft mehr und mehr so gesehen.

Das haben wir aufgegriffen und entwickeln nun eine Methodik, die die finanzgetriebene Bilanzierung um eine werteorientierte ergänzt. Über beide Stränge zusammen ergibt sich dann der »wahre« Wert eines Unternehmens.

Der wahre Wert ist dann die Voraussetzung für den Umbau von Unternehmen zu nachhaltigeren Unternehmen?
Nur wenn ich mehr als die klassischen finanziellen Kennzahlen erhebe, kenne und gleichberechtigt neben den Profit stelle, kann ich auch meine Unternehmenssteuerung ändern, strategische Entscheidungen anders fällen.

»Methodik verschafft den Unternehmen nun breitere Datenbasis«

Sie gehen den Weg zu mehr Nachhaltigkeit also über eine werteorientierte Erweiterung der klassischen Rechnungslegung und des Controllings?
Genau das ist bislang zu kurz gekommen. Unsere Methodik verschafft den Unternehmen nun die breitere Datenbasis, die sie brauchen, um ihre Steuerung und Bewertung nachhaltig auszurichten. Wichtig ist uns: Unser Ansatz ersetzt die klassische finanzielle Bilanzierung nicht, er er- weitert den Bilanzierungsrahmen aber über die klassischen Finanzkennzahlen hinaus. Damit werden Unternehmen auch dem Ruf des Finanzmarkts nach mehr Transparenz und den Standards zur CSR-Berichterstattung besser gerecht. Und zugleich können sie Risiken und Chancen jenseits der rein finanziellen Aspekte besser erkennen.

Aktuell werden Posten wie Löhne, Weiterbildungen oder auch Investitionen in stärkere CO2-Reduktion, die die Nachhaltigkeit steigern, ausschließlich auf der Kosten-Seite verbucht.
Richtig. Dabei leisten sie auch einen positiven Transformationsbeitrag zu mehr Nachhaltigkeit. Unsere werteorientierte Bilanzierung verbucht sie daher partiell auch auf der Haben-Seite.

Doppelte Materialität

Was hätten die Unternehmen denn in Zukunft neu zu berechnen?
Das Stichwort lautet doppelte Materialität. Unser Ansatz basiert auf zwei Säulen: Erstens messen und berechnen wir Beitrag und Wirkung – den Impact – eines Geschäftsmodells auf Gesellschaft und Umwelt und zweitens nehmen wir über die klassischen Finanzkennzahlen hinaus auch Human-, Sozial- und Naturkapital in die Bilanzierung auf.

Wie wird gesellschaftlicher Impact konkret messbar?
Wir bewerten externe Effekte monetär. Dabei greifen wir auf etablierte Ansätze zurück: etwa die Wohlfahrtsökonomie, den Total-Cost-Ansatz oder Modelle des Weltklimarats. Den Impact durch den Klimawandel für die Gesellschaft berechnen wir beispielsweise mit circa 90 Euro pro Tonne CO2, also deutlich höher als den offiziellen CO2-Preis von 25 Euro. So können wir Kosten und Nutzen ganzheitlich abbilden – jenseits des reinen Marktpreises.

Wie hoch ist der Umstellungsaufwand in den Unternehmen?
Wer sich bereits mit Nachhaltigkeitsaspekten beschäftigt, dürfte innerhalb von circa drei Monaten startklar sein. Innerhalb der VBA unterstützen sich die Mitglieder gegenseitig in Lerngruppen und teilen Wissen.

»Negativer Impact auf Gesellschaft und Umwelt wird teurer werden«

Werden Produkte und Dienstleistungen für die Kunden der Unternehmen am Ende teurer?
Das, was einen negativen Impact auf Gesellschaft und Umwelt hat, wird teurer werden. Wie wir am CO2-Preis sehen, werden sich aber die Unternehmen Vorteile verschaffen, die ohne Kompensation komplett auf Null-Emission gehen. Perspektivisch sind die Kosten für das »Weiter so« auf jeden Fall höher als für nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften.

Und am Ende steht dann das komplett nachhaltige, faire Unternehmen?
Das wäre ein Ziel. Dennoch kann die werteorientierte Bilanzierung unternehmerische Entscheidungen nicht ersetzen, nur beeinflussen. Die Verantwortung bleibt beim Management.

Ich bin aber sicher, dass Unternehmen, die über ihre ökonomische Leistung hinaus keinen Mehrwert für Umwelt und Gesellschaft leisten, mittelfristig keine Zukunft haben. Wer weniger Ressourcen verbraucht, Biodiversität schützt, sein Unternehmen gut führt und sozial nicht gleichgültig ist, wird sich einen globalen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

»Nachhaltigkeitsleistungen in einem kohärenten Rahmen vergleichen«

Was ergab Ihre Pilotstudie?
Es war das erste Mal, dass eine Gruppe von Unternehmen über Sektoren hinweg die gleiche Methodik angewendet hat. Sie haben dadurch deutlich bessere Informationen über positive und negative Wirkungen ihres Geschäftsmodells erzielt. Erste Mitglieder haben bereits Maßnahmen zur Verbesserung angestoßen. So ermöglicht unsere Methode auch, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsleistungen in einem kohärenten Rahmen vergleichen können.

Die EU-Kommission hat einen Entwurf zur Überarbeitung der CSR-Richtlinie veröffentlicht. Spielt Ihnen das in die Karten?
Wir befürworten dies ausdrücklich, wir sind sogar direkt in die Entwicklung eingebunden und stellen für die nichtfinanzielle Berichterstattung unter anderem über das EU-Projekt »Transparent« Prinzipien für die Rechnungslegung von Naturkapital zur Verfügung. Zudem sind wir Mitglied der Platform on Sustainable Finance.

Wie kam es dazu, dass sich die VBA überhaupt formierte?
Mehrere Konzerne arbeiteten bereits unabhängig voneinander an einer werte- orientierten Bilanzierung. Impulse waren nicht zuletzt die Pariser Klimaverträge, denen nicht nur Staaten, sondern auch Unternehmen zugestimmt haben. Der Chemiekonzern BASF hat dann eine koordinative Rolle übernommen und die Aktivitätengebündelt.Schließlichhabenacht Unternehmen und vier große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften im Sommer 2019 die VBA gegründet. Heute besteht sie aus mehr als 20 internationalen Unternehmen.

EU-Projekt »Transparent« mit KMU

Können auch kleine und mittlere Betriebe die Methode nutzen?
Unsere Methode muss und wird für jedes Unternehmen nutzbar sein. Wir sind mit ersten mittelständischen Unternehmen im Austausch. Auch für das EU-Projekt »Transparent« wird es von hoher Bedeutung sein, dass unsere Methode den Praxistest im Mittelstand besteht.

Sie wünschen sich auch Mittelständler als Mitglieder?
Ohne Erfahrung mit mittelständischen Unternehmen wären wir unvollständig. Und auch die kommenden EU-Gesetze zur CSR-Berichterstattung werden mittelständische Unternehmen betreffen.

Wie schnell könnte die neue Bilanzierungsform Standard werden?
Sie wird sicher nicht mit einem Paukenschlag eingeführt, sondern eher evolutionär im Kontext von internationalen Abkommen und internationaler Gesetzgebung.Aber wir müssen jetzt schon anfangen.

Wer unterstützt die Value Balancing Alliance?
Es ist mittlerweile ein breites Netzwerk entstanden, das unsere Ideen treibt. Zu den Akteuren gehören die EU-Kommission, die OECD oder das World Economic Forum. Auch sind wir mit der Wissenschaft im Dialog, etwa mit den Universitäten Harvard und Oxford, Hamburg und Mannheim.

»Drei Komponenten für Erfolg«

Wie sieht Ihr Ausblick aus?
Schlussendlich benötigen Sie drei Komponenten, um nachhaltiger zu werden: den politischen und unternehmerischen Willen, die notwendigen Kompetenzen und eben die Daten. Zum aktuellen Zeitpunkt kann ein Unternehmen noch an der Gestaltung der Methoden mitwirken. Früher oder später wird es durch den Gesetzgeber klare Vorgaben hierzu geben.

Mehr Informationen auf der VBA-Website.

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