Mobilität | Standortpolitik

Spuren von Hoffnung

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Güter auf der Schiene – noch viele Defizite

Wo liegt die Zukunft des Gütertransports? Unternehmer diskutierten mit Politikvertretern akute Probleme, langjährige Versäumnisse und mögliche Lösungen beim Verkehrspolitischen Dialog.

MARTIN ARMBRUSTER, Ausgabe 09/2022

Es ist beschämend.« Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der IHK Nürnberg für Mittelfranken, beschönigte nichts. Das Ergebnis jahrzehntelanger deutscher Verkehrspolitik sei ein Desaster, sagte er in seiner Eröffnungsrede zum Verkehrspolitischen Dialog, zu dem die bayerischen IHKs Mitte Juli in die Nürnberger Meistersingerhalle geladen hatten. Die rund 100 Teilnehmer kamen aus Unternehmen der einschlägigen Branchen sowie aus dem Haupt- und Ehrenamt der IHKs.

Bayerns Bauskandal

In Bayern brauche niemand mehr über den endlosen Flughafenbau in Berlin den Kopf zu schütteln, so Lötzsch. Auch Bayern habe jetzt seinen Bauskandal: Münchens zweite S-Bahn-Stammstrecke kommt frühestens 2037 und wird mit 7,2 Milliarden Euro gut doppelt so teuer wie geplant. Das Projekt ist unverzichtbar. Ohne den zweiten Tunnel wird es nichts mit Stadtentwicklung, Verkehrswende und Klimaschutz. »Was in München an Geld verbuddelt wird, fehlt dann anderswo«, stellte der Nürnberger IHK-Chef fest.

In der Meistersingerhalle konnten die Teilnehmer live erleben, wie deutsche Verkehrspolitik Probleme »löst«. Der CSU- Landtagsabgeordnete Thorsten Schwab wies jede bayerische Verantwortung in Sachen zweite Stammstrecke weit von sich. Die Deutsche Bahn müsse das besser planen, der Bund sei klar in der Pflicht. Michael Theurer (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, sah das – wenig überraschend – völlig anders. Die zweite Stammstrecke sei ein bayerisches Projekt. »Wir sind nicht verpflichtet, Geld zu geben«, so Theurer.

Mentalitätsproblem »Es läuft« 

Das Land, befand Henning Mack, Präsident des Landesverbands Bayerischer Spediteure (LBS), leide unter einem Mentalitätsproblem. Solange die Amazon-Bestellungen fristgerecht bei den Kunden ankämen, sehe niemand Handlungsbedarf. Alle hätten den Eindruck: »Es läuft.«

Inzwischen aber spürten auch Normalbürger: Es läuft nicht mehr. Seit zwei Jahren sind die Lieferketten massiv gestört. Coronalockdowns in chinesischen Häfen, Unwetter in vielen Teilen der Welt, die Sanktionen gegen Russland, der blockierte Suezkanal – all das bewirkt nicht nur einen Kostensprung für die Seefracht. Kommen die Schiffe zu spät, bringt das alle folgenden logistischen Prozesse ins Wanken.

»Gerissene Lieferketten«

Georg Dettendorfer, Spediteur und Vizepräsident der IHK für München und Oberbayern, sprach von gerissenen Lieferketten. Baustellen würden die Krise verschärfen: Österreichs Autobahngesellschaft ASFINAG beginne 2025 mit der Sanierung der ersten Brücke Richtung Brenner. Die sei dann nur noch einspurig befahrbar, was viele zusätzliche Staukilometer bedeute.

Dettendorfer bot eine schonungslose Analyse. Der Transitstreit mit Tirol sei »maximal verfahren«. Die Politik tue seit Jahren nichts gegen den Fahrermangel. Die Straße sei dicht. Die Spritpreise gingen durch die Decke. Man habe nur die Option, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. An den Spediteuren scheitere das nicht.

» Pünktlichkeitsquote von 37 Prozent«

»Wir wollen, aber es funktionert nicht«, klagte Dettendorfer. Im Vergleich zum Lkw sei der Gütertransport auf der Schiene »massiv schlecht«. Er habe wenige Tage zuvor vergeblich versucht, fünf unbegleitete Lkws auf einen Güterzug Richtung Italien zu bringen. »Auf der Schiene haben wir eine Pünktlichkeitsquote von 37 Prozent. Das machen die Kunden nicht mit«, so Dettendorfer.

Ausbau Schienenprojekte gefordert

»Was würden Sie als Bundesverkehrsminister als Erstes tun?« Auf die Frage von Moderator Christoph Tripp sprachen sich die Teilnehmer der ersten Podiumsrunde ausschließlich für Schienenprojekte aus: den Brenner-Nordzulauf, den Ausbau der Rheintaltrasse zur Anbindung an die Schweizerische Neue Alpentransversale und ein attraktives Angebot der Rollenden Landstraße, um mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen.

Spott aus dem Ausland

Bei all diesen Vorhaben hinkt Deutschland im Zeitplan Jahre hinterher. Schweizer Medien spotten, deutsche Verkehrspolitik bestehe aus »leeren Versprechen«. Die SPD-Landtagsabgeordnete Inge Aures erinnerte an den Staatsvertrag mit der tschechischen Republik. Das Ziel einer durchgehend elektrifizierten Bahnstrecke Nürnberg–Prag sei am deutschen Nichtstun gescheitert.

Problematische Verzögerungen

Oder die geplante Bahnstrecke München– Mühldorf–Freilassing. Auf die wartet die Chemieindustrie Südostbayerns seit Jahrzehnten. Dafür gab es ein fixes Ziel: zweigleisig und elektrifiziert bis 2030. Nun führt ausgerechnet ein Planungsbeschleunigungsgesetz zur Verzögerung um etwa fünf Jahre.

Wie sich das in der Praxis anfühlt, schilderte Klaus Hohberger, Mitglied der Geschäftsleitung der Bayernhafen GmbH – eines besonders interessanten Unternehmens, weil es die drei Verkehrsträger Schiene, Schiff und Lkw miteinander verzahnt. »Wir sind ein Labor für den Güterverkehr. Wir wissen genau, was geht und was nicht geht«, so Hohberger.

»Zwei Jahre, um Zuständigkeiten zu klären«

Was nicht gehe, seien schnelle Genehmigungen. Als Beispiel nannte er den Bau eines trimodalen Terminals in Regensburg, mit dem man Lkws, Schiffe oder Züge mit Containern bestücken könne. Das Problem: Das Vorhaben tangiert Baurecht, Wasserrecht, Straßenrecht, Planungsrecht, Eisenbahnrecht. Für jedes Rechtsgebiet ist eine andere Behörde verantwortlich. »Wir haben knapp zwei Jahre gebraucht, um die Zuständigkeiten zu klären«, berichtete Hohberger.

Vorfahrt Bahnverkehr

Das soll nun alles besser werden. Diese Botschaft hatte Theurer als Bundesbeauftragter für den Schienenverkehr mit nach Nürnberg gebracht. Die Bundesregierung, versicherte der Staatssekretär, arbeite an der Wende. Der schon von der großen Koalition beschlossene Schienenpakt zwischen Politik und Wirtschaft soll endlich umgesetzt werden. Das heißt: Vorfahrt hat jetzt der Bahnverkehr. Der Anteil des Güterverkehrs soll bis 2030 auf 25 Prozent steigen. Anders, betonte Theurer, seien die Klimaschutzziele nicht zu erreichen.

Ein großer Schritt dazu: Die Bundesregierung will die Planungszeiten halbieren. Derzeit 20 Jahre für eine neue Bundesstraße, 30 Jahre für eine Schienentrasse – das ist untragbar, waren sich in der Meistersingerhalle alle einig. So ist das deutsche Schienennetz zwischen 2016 und 2021 nur um etwas mehr als 40 Kilometer gewachsen.

Nur 61 Prozent der Schiene elektrifiziert

Manfred Eibl, Mitglied des Bayerischen Landtags und verkehrspolitischer Sprecher der Freien Wähler, kritisierte das Schneckentempo bei der Streckenelektrifizierung. Nur 61 Prozent der rund 33.290 Kilometer Schiene seien elektrifiziert. Pro Jahr kämen ganze 65 Kilometer hinzu.

Bei der Digitalisierung hinkt die Schiene ebenfalls hinterher. Theurer berichtete, es gebe noch 250 rein mechanische Stellwerke und 500, die über Relais gesteuert würden. Mit der Digitalisierung sei ein Leistungssprung der Bahn von 30 bis 35 Prozent möglich. Und das relativ schnell.

Reform Berufskraftfahrerausbildung gefordert

BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl schlug pragmatische Lösungen für den Fachkräftemangel vor. Die theoretische Prüfung für die Berufskraftfahrerqualifikation müsse künftig wie der Lkw-Führerschein mehrsprachig und im Multiple-Choice-Modus angeboten werden. Auch die Ausbildung zum Busfahrer müsse einfacher werden. In Deutschland seien 58 Unterrichtseinheiten Pflicht, in Österreich genügten acht! »Das sollten auch wir hinkriegen«, meinte Gößl.

Die Diskussion machte eine Sorge der Unternehmer deutlich: dass die guten Ziele letztlich wieder am fehlenden Geld scheitern. Clemens Bochynek von der Studiengesellschaft für den Kombinierten Verkehr e.V. beklagte, mit der von der Ampel erzeugten Aufbruchstimmung sei es schon wieder vorbei: »Das, was die Bundesregierung vorhat, gibt der Haushalt nicht her.«

»Jahrzehnt der Schiene« trotz hoher Kosten

Staatssekretär Theurer rechnete vor, welche Summen die Verkehrswende braucht. Allein der Ausbau für den Bahnabschnitt Karlsruhe–Basel koste sieben Milliarden Euro. Für die Strecke Ostermünchen–Kiefersfelden seien weitere sechs Milliarden Euro fällig. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Baukosten rapide steigen und die Zinsen wieder anziehen. Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bayerischen Landtag, forderte, nach vielen verpassten Niedrigzinsjahren müsse nun ein »Jahrzehnt der Schiene« folgen. Andere Teilnehmer plädierten für ein Sondervermögen Bahn, analog zum Sondervermögen Bundeswehr.

Theurer wollte da nicht widersprechen – und warb für einen Schuss Optimismus. Er fahre nach der Veranstaltung mit dem ICE nach Berlin in nur drei Stunden und zehn Minuten. Der ICE habe den Flugverkehr rund um Nürnberg so gut wie überflüssig gemacht: Das sei doch eine echte Erfolgsstory.

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