Klimaschutz | Betrieb + Praxis

„Wir brauchen mehr Prävention“

Thorsten Jochim ©
Eine Verhaltensänderung ist notwendig, sagen Frank Walthes und Barbara Schick, Führungsduo der Versicherungskammer

Schutz vor Hochwasser? Frank Walthes und Barbara Schick, die Spitzen des Konzerns Bayerische Versicherungskammer, erklären, warum eine Police auf Dauer nicht reicht.

Von Martin Armbruster, IHK-Magazin 11-12/2024

Frau Schick, Herr Walthes, die IHK-Vollversammlung sah sich auf ihrer Sommersitzung Bilder an, wie man sie einst nur von Bangladesch kannte: Gewerbetreibende, deren Existenz im Hochwasser unterging. Wie hart spüren Sie als Regionalversicherer Katastrophen wie die Flut im Juni?

Schick: Wir haben noch nicht die finalen Zahlen, aber es ist sicher, dass uns das Hochwasser im Juni mehr belasten wird als der Hagelsturm „Denis“ vom August 2023 mit rund 250 Millionen Euro. Über unsere Rückversicherung können wir diese hohen Belastungen für unser Unternehmen jedoch entsprechend abfedern.

Bayern ist Risikogebiet

Walthes: Wir sind ein mittelständischer Regionalversicherer, das ist unsere DNA. Wir kennen unsere Kunden, Märkte und Produkte. Wir sind über unsere Vertriebspartner und Geschäftsstellen vor Ort – auch im Schadenfall. Unsere örtlichen Vertreter und Helfer sind schnell bei unseren Kunden und unterstützen bei Schadenabwendung, -minimierung oder -beseitigung. Bayern war im Jahr 2023 von allen Bundesländern am meisten von Naturkatastrophen betroffen. Solche großen Unwetterereignisse und die Inflation bedeuten für uns natürlich stetig höhere Belastungen.

Die Kosten für den Rückversicherungsschutz im NatCat-Bereich (engl. Abkürzung für Naturkatastrophen, d. Red.) haben sich in den letzten 3 Jahren nahezu verdoppelt.

Extremwetter nehmen zu

„Damit konnte niemand rechnen“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nach der Juni-Flut. Hätten Sie die Menschen im Freistaat nicht besser aufklären müssen?

Schick: Das ist eine interessante Aussage. Natürlich kann niemand den exakten Eintritt und das konkrete Ausmaß eines Unwetterereignisses vorhersehen. Es kann aber auch niemand mehr leugnen, dass extreme Wetterereignisse infolge des Klimawandels zunehmen. Dieser Fakt wird nach wie vor verdrängt.

Klimasymposien für Fachexperten, Politiker, Wissenschaftler, Kunden und Journalisten organisiert die Versicherungskammer seit fast 20 Jahren, um das Thema in allen Facetten zu diskutieren. Unsere Botschaft war und ist immer noch sehr klar: Es geht nicht nur um Versicherungsschutz. Wir brauchen mehr verbindliche Prävention und Klimafolgenanpassung.

Ursachen der Klimakrise bekämpfen

Walthes: Die Verantwortung kann nicht nur allein bei den Versicherern liegen. Wir sichern den finanziellen Schaden ab, das ist unser Job. Aber die Ursachen und den Klimawandel zu bekämpfen und die hierfür zum Beispiel baulichen Rahmenbedingungen zu schaffen, das können wir nicht allein. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe mit Politik und Gesellschaft.

Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

Walthes: Wir vermissen da etwas die Transparenz und insgesamt die Prävention. Man sagt den Menschen nicht deutlich genug, dass wir eine Verhaltensänderung brauchen. Das ist unbequem, das hören die Versicherungsnehmer und Wähler nicht gerne.

Sich nicht nur auf den Staat verlassen

Schick: Die Staatsregierung hat 2017 beschlossen, sie zahle nach Hochwasserschäden nichts mehr, wenn das Gebäude versicherbar gewesen wäre. Das heißt: Immobilienbesitzer müssen selbst für ihren Schutz sorgen. Dann kommt das nächste Hochwasser und es werden wieder Staatshilfen in beträchtlichem Umfang bereitgestellt. Und dies, obwohl Versicherbarkeit gewährleistet ist.

Was halten Sie von der Idee: Ich spare mir die Prämie, wenn die Flut kommt, rettet mich der Staat?

Walthes: Davor kann ich nur warnen. Wer versichert ist, hat Anspruch auf Ersatz des Schadens, und zwar auf den Neuwert. Wer nicht versichert ist, muss auf staatliche Nothilfen bauen. Das ist ein fundamentaler Unterschied und damit keine Alternative zur Elementarschadenversicherung.

Soforthilfe sichert keine Existenz

Schick: Schauen Sie sich bitte die Zahlen vom Juni-Hochwasser an: 5.000 Euro Soforthilfe für einen privaten Haushalt. Dort, wo das Haus versicherbar gewesen wäre, gibt es nur 2.500 Euro. Gewerbetreibende bekommen bei Versicherbarkeit nur 25 Prozent der gewerblichen Soforthilfen. Das sichert keine Existenz.

Ausreichend Versicherungsschutz für Bayern – können Sie den anbieten?

Walthes: 99,4 Prozent aller Wohngebäude in Bayern sind ohne weitere Risikoprüfung nach Tarif versicherbar. Selbst in der höchsten Gefährdungsklasse 4 versichern wir noch. Dort wird aber das Risiko individuell geprüft.

Zu viele Unversicherte

Stehen die Kunden nach Hochwasser-Traumata bei Ihnen Schlange?

Schick: Bei uns muss sicher niemand in der Schlange stehen, auch wenn wir der Marktführer in der Wohngebäudeversicherung in Bayern sind. Wir bieten Versicherungsschutz für alle Zonen an. Leider ist es immer das Gleiche. Für kurze Zeit sind die Aufmerksamkeit und die Nachfrage da, danach flaut das Risikobewusstsein der Bevölkerung wieder ab.

Nicht einmal die Hälfte der deutschen Wohngebäude sind gegen Elementarschäden versichert. Woran liegt das?

Walthes: Das muss psychologische Gründe haben, rational ist das schwer zu verstehen. Alle sind gegen Feuer versichert, sind bereit, sich gegen Fahrraddiebstahl abzusichern, und haben eine Vollkasko für das Auto – alles keine Frage. Aber Tausende Familien und Unternehmen stehen ohne Versicherungsschutz da, wenn ihre Existenz im Hochwasser untergeht.

Bewusstsein für Risiken: gering

Schick: Laut einer Umfrage des GDV glauben 70 Prozent der Bürger, sie seien vom Überschwemmungsrisiko gar nicht oder kaum betroffen. Sie können sich nicht vorstellen, dass ihr Haus betroffen ist, obwohl das heute jedem passieren kann. Deshalb müssen wir gemeinsam weiter aufklären.

Wie sieht diese Aufklärungsarbeit konkret aus?

Schick: Wir unterstützen Hausbesitzer und Unternehmen, auch Ihre IHK-Mitglieder, zum Beispiel in der Prävention. Wir erklären ihnen, wie sie sich vor Feuer und Überschwemmung, aber ebenso vor anderen Gefahren schützen können und welche Versicherungsoptionen es gibt.

Aufklärung auch über Social Media

Walthes: Wir sind auch präsent in der Fläche vor Ort. Wir haben als Kommunalversicherer gute Kontakte zu den Rathäusern und Landratsämtern. Neben persönlicher Beratung durch unsere Vertriebe und Risk-Manager setzen wir auf Aufklärung zum Beispiel über Social Media oder unsere Webseiten.

Haben Sie auf den Klimawandel auch mit neuen Produkten reagiert?

Schick: Ja, in der Landwirtschaft war es lange Zeit nur möglich, sich gegen Hagel zu versichern. Gerade für unsere Landwirte sind die zunehmenden Naturgefahren ein zentrales Thema. Vor diesem Hintergrund haben wir als einer der wenigen Versicherer die Mehrgefahrenversicherung für landwirtschaftliche Kulturen entwickelt. Diese umfasst auch die Gefahren Dürre, Starkregen und Frost. 2021 und 2022 haben wir in Bayern erlebt, wie nötig das ist. Da litten die Felder unter fast allen Naturgefahren, die es gibt.

„Eigenverantwortung im Kollektiv“

Walthes: Seit 2023 fördert der Freistaat Bayern die Beiträge für die Mehrgefahrenversicherung mit bis zu 50 Prozent. Das ist eine große Anerkennung und ein Beispiel für ein gutes Zusammenspiel von Politik, Landwirtschaft und Versicherern. Wir brauchen solche Anreizsysteme, um Bewusstsein und Sicherheit zu schaffen: Der Einzelne kann und muss etwas tun: Eigenverantwortung im Kollektiv.

Die ehrenamtlichen Helfer machen das vor. Ohne sie gingen die Kosten wohl schon heute durch die Decke.

Walthes: Das stimmt absolut. Bayern hat im Juni über 80.000 Helfer mobilisiert. Ohne die Ehrenamtlichen würde unser Gemeinwesen nicht funktionieren. Wir unterstützen das, wo wir nur können. Wir statten die Feuerwehren zum Beispiel mit Schwimmsaugern und Notdächern aus. Wir vermitteln unseren Kunden Fachfirmen und Dienstleister für Pumpen und Trocknungsgeräte, damit ihre Häuser wieder bewohnbar werden.

Vorrang für die Individualprämie

Was halten Sie von der Forderung nach einer Versicherungspflicht?

Walthes: In unserer Branche herrscht Einigkeit darüber, dass eine Pflichtversicherung allein das Problem nicht nachhaltig löst. Das würde auch eine Abkehr von der risikobasierten Individualprämie bedeuten. Politisch wird eine Einheitsprämie oder eine Deckelung gelegentlich diskutiert. Das ist ein planwirtschaftlicher Ansatz, also das Gegenteil von dem, was man 1995 mit der Deregulierung des Versicherungsmarkts erreichen wollte: eine marktwirtschaftliche, risikoadäquate Bepreisung in einem transparenten Markt.

Aber es würde doch verhindern, dass Mitbürger Haus und Hof verlieren.

Walthes: Eine Pflichtversicherung verhindert keinen einzigen Schaden. Außerdem nimmt sie per se jeden Anreiz, selbst etwas zu tun. Die Feuerversicherung existiert nur deshalb seit 200 Jahren, weil Eigenschutz und Eigenvorsorge von Beginn an ihre Basis waren.

Ohne Klimaanpassung steigen Prämien

Schick: Manche Politiker, die nicht nah genug an den Themen dran sind, machen hier eine falsche Rechnung auf: Wenn alle versichert sind, wird es auch für alle billiger. Das ist natürlich nicht richtig. 50 Prozent mehr Versicherte bedeutet auch 50 Prozent mehr Schäden.

Deutsche Versicherer haben seit 1973 schon 230 Milliarden Euro für Unwetterschäden bezahlt. Wie lange geht das noch gut?

Schick: Wenn der Klimawandel ungebremst weitergeht und keine verbindliche Prävention und Klimafolgenanpassung auf allen Ebenen stattfindet, werden die Prämien weiter steigen – bis zu dem Punkt, an dem wir eines Tages diese Risiken gegebenenfalls nicht mehr versichern können oder sich keiner mehr eine Versicherung leisten kann. Dieses Szenario gilt es gemeinschaftlich zu vermeiden.

Bund und Länder denken unterschiedlich

Was trägt die Politik dazu bei?

Schick: Da gibt es zum Beispiel das Klimaanpassungsgesetz, das am 1. Juli 2024 in Kraft getreten ist. Das klingt nach mehr, als es aus unserer Sicht ist. Und es stellt sich die Frage, ob die angestrebten Ziele zur Eindämmung der Klimakrise damit tatsächlich erreicht werden können. Insbesondere vermissen wir das sogenannte Verschlechterungsverbot aus dem Referentenentwurf. Nach der Beschlussfassung im Bundesrat gibt es nur noch ein Berücksichtigungsgebot. Bund- und Länderinteressen sind nicht immer deckungsgleich.

Wohlfahrtsverluste vorprogrammiert

Werden Sie auch von der Finanzmarktregulierung gebremst?

Walthes: Vom Grundgedanken ist diese positiv zu bewerten. Die Regulatorik hilft, Sachverhalte zu strukturieren und Risiken besser zu identifizieren und zu managen. Jetzt ist aber ein klassischer Trade-off eingetreten. Aufwände und Kosten für die Umsetzung übersteigen den Nutzen für Versicherte und Stakeholder deutlich, damit entstehen Wohlfahrtsverluste, denn diese Kosten werden über die Prämie der Versicherungsnehmer getragen.  

Ganzheitliche Gefahrenabwehr

Was lernen wir denn jetzt aus dem jüngsten Hochwasser?

Schick: Wir brauchen ein ganzheitliches Naturgefahren-Abwehrsystem und das beginnt bei der Prävention: keine Bebauung mehr in Überschwemmungsgebieten, Verpflichtung zum individuellen Hochwasserschutz, Baumaterialien bei Neubau und Sanierung an Gefährdungslage anpassen. Es gibt viel, was man tun kann.  

Katastrophen nicht provozieren

Klingt vernünftig. Warum wird das nicht gemacht?

Walthes: Weil viele offenbar die Folgen des Klimawandels noch immer nicht wahrhaben wollen. Warum baut man sonst im Ahrtal an exakt den gleichen Stellen, wo das Hochwasser meterhoch stand, die Häuser wieder in der gleichen Form auf?

Schick: Wie in den anderen Bundesländern stehen auch in Bayern Zigtausende Gebäude in Überschwemmungsgebieten. Und jährlich kommen neue dazu.

Runder Tisch mit der Politik

Was motiviert Sie da noch zum Weitermachen?

Schick: Der Weg ist das Ziel. Und diesen werden wir konsequent weitergehen. Wir werden uns weiterhin mit voller Kraft einbringen, wir fordern aber auch ein. Insofern begrüßen wir den von Ministerpräsident Markus Söder geforderten runden Tisch mit der Versicherungswirtschaft.

Zu den Personen: Frank Walthes und Barbara Schick

Frank Walthes ist Vorstandsvorsitzender der Versicherungskammer Bayern. Der promovierte Volkswirt ist außerdem Honorarprofessor an der Universität der Bundeswehr München.
Barbara Schick ist Juristin und seit 2018 stellvertretende Vorstandsvorsitzende sowie Komposit-Vorständin der Versicherungskammer Bayern.

Verwandte Themen