Wasser nachhaltig einsetzen

Viele industrielle Prozesse brauchen Kühlwasser. Ein Projekt bei Linde Gas zeigt, wie das ökologisch und wirtschaftlich nachhaltig optimiert werden kann.
Gabriele Lüke, Ausgabe 12/20
Dass Wasser nicht einfach gleich Wasser ist, weiß jeder. Es schmeckt und riecht immer wieder anders, es kann härter oder weicher sein. Was die meisten eher nicht wissen: Für die Industrie, die Wasser für ihre Prozesse und Kühlsysteme braucht, sind diese und andere Unterschiede entscheidende Faktoren. Denn wie Wasser beschaffen ist, beeinflusst die Leistung und Haltbarkeit von Anlagen sowie den Wasserverbrauch – und damit die Kosten sowie die Nachhaltigkeit.
Kühlwasser optimieren, Maschinenlaufzeiten verlängern
Es lohnt sich also, sich mit der Zusammensetzung des Wassers zu befassen. Die Linde GmbH in Pullach beschäftigt sich seit einiger Zeit sehr intensiv damit. Das Unternehmen ist ein führender Gaseanbieter in Deutschland und Europa und Teil der Linde AG. »Wir sind existenziell auf Kühlwasser angewiesen, denn bei der Herstellung unserer Kernprodukte, der Gase, sind energieintensive Maschinen im Einsatz, die für effizienten Betrieb optimale Kühlung benötigen – im Jahr sind das 4,2 Millionen Kubikmeter Frischwasser«, erklärt der Linde-Wasserexperte Carsten Taube (49), Gruppenleiter Wassertechnologie in der Abteilung Research, Development & Services. »Unser Ziel ist es, die Anlagen fit für die Zukunft zu machen. Denn durch das Kühlwasser kommt es immer wieder zu Ablagerungen, Korrosion oder biologischem Wachstum.«
Ablagerungen bedeuten mehr Energieverbrauch
Dies lässt die Anlagen ineffizienter arbeiten: Ablagerungen führen zu mehr Energiebedarf. In Folge von Korrosion müssen sie häufiger instand gesetzt oder ersetzt werden, was den Material- und Ressourcenverbrauch steigert. Auch die einzusetzende Wassermenge wächst.
Bis zu 600.000 Euro im Jahr könne es pro Werk zusätzlich kosten, wenn Kühlwasser nicht optimal beschaffen sei, sagt Taube: »Das ökologische wie ökonomische Ziel muss also sein, die entscheidenden Parameter des Kühlwassersystems so einzustellen und zu kontrollieren, dass diese negativen Folgen so selten wie möglich auftreten.« Die Chemieindustrie ist im verarbeitenden Gewerbe der größte Wasserverbraucher. »Ein Ansatz wie unserer ist für ein Chemieunternehmen daher immer auch eine strategische Entscheidung im Sinne von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit«, so Taube. Linde hat diese Entscheidung 2012 getroffen. Umsetzen wird sie das standortübergreifende, deutschlandweite Linde-Wassernetzwerk mit Taube als führendem Kopf.
Mehrere Faktoren bestimmen Überwachungsaufwand
Vor allem die Herkunft – etwa die Gesteinsart – und das Wetter (zum Beispiel Starkregen) erklären die Unterschiede in der Wasserbeschaffenheit. Bevor das Wasser mit den Maschinen in den Betrieben in Berührung kommt, ist es daher wichtig, sich mit den möglichen jährlichen Veränderungen der Wasserqualitäten und der spezifischen Zusammensetzung auseinanderzusetzen, um eine optimale Behandlung zu gewährleisten. Dabei wird je nach Komplexität des Betriebs und der Wasserqualität auch der nötige Überwachungsaufwand festgelegt. Hier arbeiten die Wasserexperten von Linde mit dem Betriebspersonal und dem Wasserbehandler zusammen.
"Wassertage", um Korrosion zu erkenen
Aufgabe des Wasserbehandlers ist es, dem Wasser geeignete Chemikalien zuzusetzen, sodass unter den gegebenen Prozessbedingungen beispielsweise kein Kalk ausfällt oder Korrosion verhindert wird. Dies geschieht immer in dem strengen gesetzlichen Rahmen der jeweils gültigen Abwasserverordnung. »Mit der chemischen Behandlung des Wassers ist jedoch in vielen Fällen nur die Hälfte des Weges zum optimalen Betrieb geschafft«, erläutert Taube.
Das Linde-Wassernetzwerk begleitet die weitere Optimierung des Wassers. Dabei geht es nicht nur um ein genaueres Feintuning der Wasserchemie. Zunächst mussten alle Prozessbeteiligten – die Fachkräfte in den Werken wie auch die Ingenieure und Digitalexperten – erkennen und verinnerlichen, welche Bedeutung die optimale Wasserbeschaffenheit überhaupt hat. Dazu veranstaltete Linde firmeninterne Wassertage und Fortbildungen.
Die Beschäftigten lernten etwa, woran sie optisch mangelnde Wasserbeschaffenheit frühzeitig erkennen – zum Beispiel erste Spuren von Korrosion oder Ablagerungen –, um dann Alarm schlagen zu können. Parallel wurden digitale Strukturen aufgebaut. Hier ist als Kooperationspartner der Wasserbehandler Nalco GmbH mit einem digitalen Technologiepaket zur Wasserüberwachung beteiligt.
Wasseranalysesystem mit Clouddienst
Eckpfeiler der Kühlwasserüberwachung sind das durch den Wasserbehandler bereitgestellte und an jedem Kühlsystem installierte Wasseranalysesystem sowie der damit verbundene Clouddienst inklusive Alarmmanagement. Die Daten werden zusätzlich auch in die Linde-eigene digitale Infrastruktur übernommen. Sie werden in Kombination mit den vorhandenen Betriebs- und Prozessdaten über eigene digitale Analysetools und Algorithmen ausgewertet.
»Zugleich wurden individuelle Kennzahlen erarbeitet und ins System eingespielt. So können wir nicht nur im gemeldeten Problemfall die Wasserzusammensetzung sofort prüfen und anpassen, sondern wollen schon optimieren, bevor es zum Alarm kommt«, erklärt Taube.
20 Werkstandorte in einem System vernetzt
Linde vernetzt mit dem System im ersten Schritt die 20 Standorte in Deutschland mit insgesamt 25 offenen Kühlsystemen. Jedes Werk hat seinen eigenen Wasserverantwortlichen bekommen. Zusammen mit dem Wasserbehandler bedient diese Person das digitale System, sie kontrolliert und steuert darüber die Wasserbeschaffenheit.
Welche positiven Folgen erwartet das Unternehmen?
- Der Einsatz der Chemikalien wird nicht nur optimiert, sondern auch reduziert.
- Der Energieverbrauch sinkt, weil die Anlagen in ihrer Leistungsfähigkeit nun weniger eingeschränkt werden.
- Der Ressourcenverbrauch verringert sich, da die Anlagen seltener instand gesetzt werden müssen.
- Auch der Wassereinsatz insgesamt vermindert sich.
- Voraussichtlich werden dadurch mehr als drei Millionen Euro über die nächsten fünf Jahre deutschlandweit unterm Strich eingespart.
Wirkungsvolles Netzwerk
»Damit arbeiten wir kosteneffizienter und verringern unseren CO₂-Fußabdruck, werden also ökologisch und wirtschaftlich deutlich nachhaltiger«, freut sich Taube. Auch der Verband der Chemischen Industrie, bei dessen diesjährigem Responsible-Care-Wettbewerb Linde sein Wassernetzwerk-Projekt eingereicht hatte, bewertet es als Paradebeispiel.
Taube, der das Wassernetzwerk mit großem Sachverstand und viel Begeisterung vorangebracht hat, lädt zur Nachahmung ein: »Unser Wassernetzwerk ist ein komplexes Projekt mit vielen unterschiedlichen Akteuren, technischen und chemischen Herausforderungen. Es braucht Zeit, hat aber große Wirkung.«